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Ludwig von Baldass.
Reichtum, den der Ausblick auf eine weite Ebene in sich birgt, ist wohl am erschöpfendsten wie-
dergegeben in der großen Landschaft des Prado (Fig. 6), in die Quentin Massys eine Versuchung
des heiligen Antonius, und zwar bezeichnenderweise im Gegensatz zu Patinirs Gewohnheit in
Aufsicht, gemalt hatte. Die Anordnung ist so klar, daß jedes Hilfsmittel zur Ablesung der Tiefen-
abstände entbehrt werden kann. In der eigentlichen Landschaft tritt das erzählende Moment
zurück. Der in unendlich scheinende Weiten geleitete Blick soll vor allem durch den Stimmungs-
zauber des dargestellten Weltbildes gebannt werden.
Die Stilwandlung, die sich in den letzten großen Gemälden Patinirs bemerkbar macht, ist die
Frucht eines tiefgehenden künstlerischen Erlebnisses. Ein weitgreifender Einfluß der Spätwerke des
Hieronymus Bosch wird sowohl im Figurenstil und in der Wahl der Gegenstände als auch in der
Landschaftsaurfassung offenbar. Die Paradies- und Höllenszenen auf dem Charonbilde, die kleinen
Genreepisoden der Christophorustafel, die von Patinir selbst gemalten Versuchungen im Mittelgrund
des Antoniusbildes sind ganz im Geiste des Herzogenboscher Meisters gemalt. Aber auch die Unter-
ordnung des Details unter die Gesamtwirkung, die freie Entwicklung der Ferne, der Stimmungs-
charakter des großzügig gesehenen Landschaftsbildes erinnern an die reifsten Schöpfungen des Bosch,
an den Heuwagen im Escurial und den Antoniusaltar in Lissabon. Der Gerard David nach-
empfundene Reiz der Intimität, der die reifen Werke der mittleren Periode Patinirs, die Wiener
Taufe Christi und die Madrider Ruhe auf der Flucht, auszeichnet, wird in den späten Gemälden
des Meisters einer allumfassenden Weite aufgeopfert. Schon bei den Hintergrundlandschaften der
Spätwerke des Hieronvmus Bosch konnte von Weltlandschaften gesprochen werden; denn alles,
was dem Auge schön erschien: Wasser und Land, Gebirg und Ebene, Wald und Feld, Burg und
Bauernhütte, erschien hier auf einem Bilde vereint. Aber erst Patinir dachte das seit Jan van Eyck
die niederländische Malerei beschäftigende Problem zu Ende. Erst seine reifen Werke, in denen
die Landschaft sich konsequent vom vorderen Bildrand bis zum Horizont entwickelt, während die
Ludwig von Baldass.
Reichtum, den der Ausblick auf eine weite Ebene in sich birgt, ist wohl am erschöpfendsten wie-
dergegeben in der großen Landschaft des Prado (Fig. 6), in die Quentin Massys eine Versuchung
des heiligen Antonius, und zwar bezeichnenderweise im Gegensatz zu Patinirs Gewohnheit in
Aufsicht, gemalt hatte. Die Anordnung ist so klar, daß jedes Hilfsmittel zur Ablesung der Tiefen-
abstände entbehrt werden kann. In der eigentlichen Landschaft tritt das erzählende Moment
zurück. Der in unendlich scheinende Weiten geleitete Blick soll vor allem durch den Stimmungs-
zauber des dargestellten Weltbildes gebannt werden.
Die Stilwandlung, die sich in den letzten großen Gemälden Patinirs bemerkbar macht, ist die
Frucht eines tiefgehenden künstlerischen Erlebnisses. Ein weitgreifender Einfluß der Spätwerke des
Hieronymus Bosch wird sowohl im Figurenstil und in der Wahl der Gegenstände als auch in der
Landschaftsaurfassung offenbar. Die Paradies- und Höllenszenen auf dem Charonbilde, die kleinen
Genreepisoden der Christophorustafel, die von Patinir selbst gemalten Versuchungen im Mittelgrund
des Antoniusbildes sind ganz im Geiste des Herzogenboscher Meisters gemalt. Aber auch die Unter-
ordnung des Details unter die Gesamtwirkung, die freie Entwicklung der Ferne, der Stimmungs-
charakter des großzügig gesehenen Landschaftsbildes erinnern an die reifsten Schöpfungen des Bosch,
an den Heuwagen im Escurial und den Antoniusaltar in Lissabon. Der Gerard David nach-
empfundene Reiz der Intimität, der die reifen Werke der mittleren Periode Patinirs, die Wiener
Taufe Christi und die Madrider Ruhe auf der Flucht, auszeichnet, wird in den späten Gemälden
des Meisters einer allumfassenden Weite aufgeopfert. Schon bei den Hintergrundlandschaften der
Spätwerke des Hieronvmus Bosch konnte von Weltlandschaften gesprochen werden; denn alles,
was dem Auge schön erschien: Wasser und Land, Gebirg und Ebene, Wald und Feld, Burg und
Bauernhütte, erschien hier auf einem Bilde vereint. Aber erst Patinir dachte das seit Jan van Eyck
die niederländische Malerei beschäftigende Problem zu Ende. Erst seine reifen Werke, in denen
die Landschaft sich konsequent vom vorderen Bildrand bis zum Horizont entwickelt, während die