Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

DOI Heft:
I. Teil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Baldass, Ludwig: Die niederländische Landschaftsmalerei von Patinir bis Bruegel
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0131
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die niederländische Landschaftsmalerei von Patinir bis Bruegel.

119

Antwerpen erhebt, erfordert einen größeren Zeitraum. Wir werden den Beginn der Patinirschen
Maltätigkeit kaum nach 1500, seine Geburt um das Jahr 1475 ansetzen können. Damit stimmt es
(iberein, daß der Stich des Cornelis Cort mit Patinirs Bildnis, der wohl auf Dürers verschollene
Zeichnung von 1521 zurückgeht, einen etwa fünfundvierzigjährigen Mann zeigt.

Das künstlerisch Schwächste an den Werken Patinirs sind zweifelsohne seine Figuren. Es ist
daher verständlich, daß er diese bisweilen von einem befreundeten Maler in seine Landschaften
hineinsetzen ließ. So rührt die von einem Gemälde des Meisters von Flemalle inspirierte Madonna 1
auf einem die Ruhe auf der Flucht darstellenden Bilde im Kaiser Friedrich-Museum (Fig. 4) von
einem Maler aus der Gefolgschaft des Joos van Cleve her. Es spricht daher alle Wahrscheinlichkeit
dafür, daß das Gemälde nach Patinirs im Jahre 1515 erfolgter Übersiedlung nach Antwerpen ent-
standen ist. Die Landschaft beweist, daß mit dem Ortswechsel kein größerer Einschnitt im gemalten
Werke Patinirs gemacht werden darf. Das Gemälde steht in der Bildung des Details den beiden
Bildern der Wiener kaiserlichen Gemäldegalerie noch sehr nahe. Den Reichtum an Einzelmotiven
und den epischen Charakter teilt es mit dem verbrannten Altarwerk. An der Tiefenwirkung
arbeiten die Wolken, deren eine die Spitze des großen Felsens umkränzt, erheblich mit.

Das reifste Werk der mittleren Schaffenszeit Patinirs ist die wundervolle Ruhe auf der Flucht
nach Ägypten in der Prado-Galerie zu Madrid (Taf. XI). An Stimmungsgehalt der Landschaft und
malerischer Durchbildung der Einzelheiten sind nicht nur Davids reife Werke sondern auch die
bisherigen Schöpfungen Patinirs weit überholt. Bei dem Berliner Bilde stieß die schiefe Ebene
des Mittel- und Hintergrundes noch recht unvermittelt an die Terrainwelle des Vordergrundes an.
Hier ist die Brücke zwischen Nähe und Ferne vollkommen ausgebaut. Das Hauptgewicht der land-
schaftlichen Darstellung liegt im Mittelgrund; die weich verschwimmende weite Ferne läßt die
ruhig-wohlige Stimmung, die der Gegenstand erheischt, ausklingen.

Zu den letzten großen Gemälden des Meisters leitet die Landschaft mit dem heiligen Hierony-
mus, im Prado-Museum zu Madrid (Fig. 5) über.2 Auffallend ist vor allem der bedeutend summa-
rischer behandelte Vordergrund, der der genau differenzierten Pflanzen, Blumen und Gesträuche ent-
behrt. Die Personen sind wie bei den früheren Bildern wieder ganz zur Staffage herabgesunken. Der
Davidsche Einfluß, den die Madonna der Madrider Ruhe auf der Flucht ebenso wie die Vegetation
dieses Bildes noch deutlich aufwies, erscheint endgültig überwunden. Gegenüber der Betonung der
Einzelheiten macht sich ein bisher kaum zu konstatierender großer Zug der Gesamtanordnung
geltend. Die vollkommen einheitliche Aufsicht für das ganze Bild bemerken wir zum ersten Male
bei dem Charonbilde im Prado.3 In gerader Linie fließt der Styx von der Bildebene bis zum
Horizont und teilt Elvsium vom Tartarus. Demselben Mittel zur Darstellung der Verkürzung be-
gegnen wir dann auf der ungefähr gleichzeitigen großen Landschaft mit dem heiligen Christophorus *
im Escurial (Taf. XII). Die Hauptfigur zeigt nicht mehr Davidsches sondern deutlich Massyssches
Gepräge. Die vielen Einzelepisoden, die die weite Landschaft beleben, sind einander völlig gleich-
wertig. Sie alle sind dem landschaftlichen Gesamtbild gänzlich untergeordnet. Der malerische

1 S. Tschudi: Jahrbuch der königl. preußischen Kunstsammlungen XIX (1898), S. 98.

2 Das Gemälde mißt 64 cm in der Höhe und io3 cm in der Breite. Eine kleine Wiederholung des Bildes (h. 21,
br. 3l cm) mit sehr charakteristischen, im Stile Patinirs gehaltenen Abweichungen tauchte bei Böhler in München auf und
gelangte ins Museum von Elberfeld. Die linke Hälfte dieses Bildes findet sich genau gleich auf einem etwas größeren
Fragment (h. 36, br. 33*5 cm) in der Sammlung Oppenheimer in London (abgebildet in Sedelmeyers Katalog der Sammlung
Rodolphe Kann, Paris 1907, II, Nr. 107). Mangel an Autopsie beider Gemälde hindern mich, ein Urteil über die Eigen-
händigkeit abzugeben; doch scheint in dem Fragment die ursprünglichere Wiederholung erhalten zu sein, die ihrerseits dem
Bildchen in Elberfeld zum Vorbild diente.

3 Abgebildet bei Friedländer, Von Eyck bis Bruegel, Taf. 17. Photographie von Anderson, Rom, Nr. 16706.

* Friedländer (Von Eyck bis Bruegel, S. 184) hat noch ein anderes Christophorusbild in der Sammlung Chiaramonte-
Bordonaro zu Palermo in seine Liste der Gemälde Patinirs aufgenommen. Mir ist die Tafel mit der sehr ungeschickt be-
wegten Hauptfigur und der aufgeklappten Landschaft nur aus dem ganz schlechten, offenbar nach einer völlig ungenügenden
Photographie hergestellten Lichtdruck in Dülbergs Frühholländer in Italien (Taf. XVIII «Werkstatt des Cornelis Engebrechtsz»)
bekannt, der kein l'rteil gestattet.

XXXIV. iS
 
Annotationen