Die Erfindung im Relief, ein Beitrag zur Geschichte der Kleinkunst.
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nur dürftig angedeutet, die Bodenlinien fehlen zumeist, die Freifiguren an den vortretenden Pfeilern
überschneiden die anschließenden Darstellungen in den Feldern. So möchte ich mit Dodgson, der
die Zeichnungen publizierte, annehmen, daß es ein «Bildhauer oder Architekt oder Bildhauer-
architekt» war, der die Blätter gezeichnet hat; der Entwurf eines Malers muß anders ausgesehen
haben.
Wenn Mantegna Szenen entwirft, die der Medailleur Miglioli in einem Revers oder irgend-
ein Stuckbildhauer zu einem Truhenschmuck ins Relief umsetzt,1 so sind es Kompositionen, die
antiken Darstellungen, Münzen oder Triumphalreliefs entlehnt oder nachgefühlt sind; also Werke
eines Malers, vom Relief genommen, dem Relief wiedergegeben; bewußte Reliefkunst, die es auch
in Mantegnas Malereien wie in dem Triumph Julius Caesars bleibt. Ein Gegenbeispiel ist Giulio
Romanos Grabmal des Petrus Stroza in Mantua. Ein Maler, der als vielbeschäftigter Architekt die
Forderungen eines im wesentlichen struktiven Grabmals kennen mußte, schafft ein Werk, das in
seiner aufregenden Zufälligkeit deutlich die ungehemmte Malerphantasie verrät. Über einem fein-
ziselierten Marmorunterbau stehen vier Frauen, Karyatiden, die über quadratischen Platten das
antikisierende Gebälk tragen; darauf dann der Sarkophag mit dem Toten. Aber die Frauen! Die
beiden vorderen stehen in richtiger Symmetrie, nur daß die linke die Hand auf eine Stele legt,
die schräg in die Tiefe verläuft; die beiden anderen verschwinden ins Relief, die Symmetrie ist
gelöst, in freiem Rhythmus wandern sie, die rechts vom Rücken, die links von der Seite gesehen,
der andern nach. So kommt es, daß die Hauptansicht, zu der sich auch die struktiven Gebälk-
teile verzerren, zur Seite gerückt ist und von hier aus ohne Uberschneidung die figuralen Teile
sich frei entwickeln.
Parmigianino hat, falls er in der Tat der Schöpfer der zwei ihm zugeschriebenen Grabmal-
entwürfe ist, den Maler in sich besser gebändigt; es ist das Denkmal eines Bischofs und das
eines «jeune Savant», die nur in graphischen Reproduktionen erhalten sind; sie greifen den tra-
ditionellen Wandaufbau bis zur Abschlußfigur mit der Madonna auf und zeigen nur in den Ein-
zelheiten ein lebendiges Gestalten. Bei Raffael können wir im Anschluß an das für Pietro
d'Ancona gearbeitete Tonmodell einer Kinderfigur auch auf wirkliche Modelle für die Aus-
schmückung der Chigikapelle in S. Maria del Popolo schließen, die der florentinische Bildhauer
Lorenzetto ausführte. Wichtiger für unsere Fragestellung ist die Zeichnung «Christus in der Vor-
hölle «in der Uffiziensammlung, die einem Relief in der Abbazzia di Chiaravalle zugrunde liegt.
Frizzoni, der die Zeichnung in dem Raffael gewidmeten Band der Uffizienzeichnungen veröffent-
licht (Nr. 12), möchte das Relief dem Caradosso Foppo zuweisen, der mit Raffael in Rom Kontakt
hatte und sich leicht seiner Zeichnungen bedienen konnte (usufruire!). Eher dürfte es sich bei
dieser wie das Relief ins Tondo gesetzten Komposition um den bewußten Entwurf Raffaels für die
Bildhauerarbeit handeln. Wenn auch neben der Hauptszene die unwichtigen Figuren noch nicht
endgültig fixiert sind, so ist doch der Geist der Raffaelschen Komposition, der persönliche Aus-
druck in Typen, Gebärden und Gewandfalten in die Bildhauerarbeit eingeflossen. Darin unter-
scheidet sich die Zeichnung und das Relief — Spender und Empfänger — von der breitesten
Gruppe von Skulpturentwürfen, die, wenn sie auch von Malern herrühren, nur den architektonischen
Aufbau, die struktive Bedeutung der einzelnen Glieder, ihre Anordnung und Proportion festhalten
und vermitteln; die figuralen Teile werden nur flüchtig angegeben, ihr Sentiment nur angeschlagen
— die formale Gestaltung bleibt dem Bildhauer überlassen.
Ein überzeugendes, in einem beziehungsreichen Aufsatz von Georg Sobotka2 veröffentlichtes
Beispiel ist der Entwurf Carlo Marattas für das Grabdenkmal des Papstes Innozenz XI. Wenn sich
Monnot auch an die Vorzeichnung gehalten hätte, man müßte seine bildhauerische Leistung als
durchaus selbständige Tat bewerten.
1 Robert Eisler, Die Hochzeitstruhen der letzten Gräfin von Görz: Jahrbuch der Zentr.-Komm. 1905, und Fritz Knapp,
Andrea Mantegna: Klassiker der Kunst XVI, Einl.
2 Jahrbuch der kgl. preußischen Kunstsammlungen 1914, Heft L
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nur dürftig angedeutet, die Bodenlinien fehlen zumeist, die Freifiguren an den vortretenden Pfeilern
überschneiden die anschließenden Darstellungen in den Feldern. So möchte ich mit Dodgson, der
die Zeichnungen publizierte, annehmen, daß es ein «Bildhauer oder Architekt oder Bildhauer-
architekt» war, der die Blätter gezeichnet hat; der Entwurf eines Malers muß anders ausgesehen
haben.
Wenn Mantegna Szenen entwirft, die der Medailleur Miglioli in einem Revers oder irgend-
ein Stuckbildhauer zu einem Truhenschmuck ins Relief umsetzt,1 so sind es Kompositionen, die
antiken Darstellungen, Münzen oder Triumphalreliefs entlehnt oder nachgefühlt sind; also Werke
eines Malers, vom Relief genommen, dem Relief wiedergegeben; bewußte Reliefkunst, die es auch
in Mantegnas Malereien wie in dem Triumph Julius Caesars bleibt. Ein Gegenbeispiel ist Giulio
Romanos Grabmal des Petrus Stroza in Mantua. Ein Maler, der als vielbeschäftigter Architekt die
Forderungen eines im wesentlichen struktiven Grabmals kennen mußte, schafft ein Werk, das in
seiner aufregenden Zufälligkeit deutlich die ungehemmte Malerphantasie verrät. Über einem fein-
ziselierten Marmorunterbau stehen vier Frauen, Karyatiden, die über quadratischen Platten das
antikisierende Gebälk tragen; darauf dann der Sarkophag mit dem Toten. Aber die Frauen! Die
beiden vorderen stehen in richtiger Symmetrie, nur daß die linke die Hand auf eine Stele legt,
die schräg in die Tiefe verläuft; die beiden anderen verschwinden ins Relief, die Symmetrie ist
gelöst, in freiem Rhythmus wandern sie, die rechts vom Rücken, die links von der Seite gesehen,
der andern nach. So kommt es, daß die Hauptansicht, zu der sich auch die struktiven Gebälk-
teile verzerren, zur Seite gerückt ist und von hier aus ohne Uberschneidung die figuralen Teile
sich frei entwickeln.
Parmigianino hat, falls er in der Tat der Schöpfer der zwei ihm zugeschriebenen Grabmal-
entwürfe ist, den Maler in sich besser gebändigt; es ist das Denkmal eines Bischofs und das
eines «jeune Savant», die nur in graphischen Reproduktionen erhalten sind; sie greifen den tra-
ditionellen Wandaufbau bis zur Abschlußfigur mit der Madonna auf und zeigen nur in den Ein-
zelheiten ein lebendiges Gestalten. Bei Raffael können wir im Anschluß an das für Pietro
d'Ancona gearbeitete Tonmodell einer Kinderfigur auch auf wirkliche Modelle für die Aus-
schmückung der Chigikapelle in S. Maria del Popolo schließen, die der florentinische Bildhauer
Lorenzetto ausführte. Wichtiger für unsere Fragestellung ist die Zeichnung «Christus in der Vor-
hölle «in der Uffiziensammlung, die einem Relief in der Abbazzia di Chiaravalle zugrunde liegt.
Frizzoni, der die Zeichnung in dem Raffael gewidmeten Band der Uffizienzeichnungen veröffent-
licht (Nr. 12), möchte das Relief dem Caradosso Foppo zuweisen, der mit Raffael in Rom Kontakt
hatte und sich leicht seiner Zeichnungen bedienen konnte (usufruire!). Eher dürfte es sich bei
dieser wie das Relief ins Tondo gesetzten Komposition um den bewußten Entwurf Raffaels für die
Bildhauerarbeit handeln. Wenn auch neben der Hauptszene die unwichtigen Figuren noch nicht
endgültig fixiert sind, so ist doch der Geist der Raffaelschen Komposition, der persönliche Aus-
druck in Typen, Gebärden und Gewandfalten in die Bildhauerarbeit eingeflossen. Darin unter-
scheidet sich die Zeichnung und das Relief — Spender und Empfänger — von der breitesten
Gruppe von Skulpturentwürfen, die, wenn sie auch von Malern herrühren, nur den architektonischen
Aufbau, die struktive Bedeutung der einzelnen Glieder, ihre Anordnung und Proportion festhalten
und vermitteln; die figuralen Teile werden nur flüchtig angegeben, ihr Sentiment nur angeschlagen
— die formale Gestaltung bleibt dem Bildhauer überlassen.
Ein überzeugendes, in einem beziehungsreichen Aufsatz von Georg Sobotka2 veröffentlichtes
Beispiel ist der Entwurf Carlo Marattas für das Grabdenkmal des Papstes Innozenz XI. Wenn sich
Monnot auch an die Vorzeichnung gehalten hätte, man müßte seine bildhauerische Leistung als
durchaus selbständige Tat bewerten.
1 Robert Eisler, Die Hochzeitstruhen der letzten Gräfin von Görz: Jahrbuch der Zentr.-Komm. 1905, und Fritz Knapp,
Andrea Mantegna: Klassiker der Kunst XVI, Einl.
2 Jahrbuch der kgl. preußischen Kunstsammlungen 1914, Heft L
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