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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — NF: 2.1928

DOI Artikel:
Weixlgärtner, Arpad: Die weltliche Schatzkammer in Wien, 2: (neue Funde und Forschungen)
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https://doi.org/10.11588/diglit.69891#0316
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Die weltliche Schatzkammer in Wien.

drehbaren Scheibe Orpheus und die Tiere auf einem Hügel unter einem Baum zeigt. Emaillierte Tierlein
sind auch am Fuß des Ständers angebracht, hier und dort überdies Edelsteine in sorgfältig ausgeführten
Fassungen (Inv.-Nr. 1097). Die Unterseite der Scheibe ist weiß und skabiosenblau und apfelgrün und schwarz
emailliert, die Verzierung ist außer der den Kreisumfang entlang laufenden Schrift ein zartes Federgerank.
Ernst Kris ist die wichtige Feststellung zu verdanken, daß die niedlichen Figürchen des Orpheus und der
Tiere (sie sind alle in Gold gleichsam wie geschundene Muskelwesen gebildet und dann mit dem verschieden-
farbigen Email wie mit der Haut überzogen) von derselben Hand herrühren wie eine kleine, ebenfalls in
den Sammlungen für Plastik und Kunstgewerbe (Inv.-Nr. 3065) aufbewahrte Wachsbossicrung des gleichen
Gegenstandes. Diese wieder wurde von Heinrich Modern nachgewiesen als der Entwurf zu einem von zwei
1606 und 1607 datierten und mit dem Monogramm des Paul de Viancn versehenen getriebenen Silberreliefs
im Besitz des Fürsten Fürstenberg auf Schloß Heiligenberg im Großherzogtum Baden, darstellend Orpheus
unter den Tieren und die Fleilige Nacht75. Das 1606 datierte Orpheusrelief versetzt uns in eine Zeit, da
Vianen in Prag am Ilofe Rudolfs II. noch zusammen mit seinem Landsmann Jan Vermeyen, der 1606 noch
vor dem 15. September dieses Jahres gestorben ist, gearbeitet haben kann. Es ist wahrscheinlich, daß
Vianen, wie es schon die Art eines Künstlers ist, den ein ihn interessierendes Thema nicht losläßt, die
genannten drei Darstellungen von Orpheus unter den Tieren ungefähr zur selben Zeit geschaffen hat.
Daß er auch die übrige Goldschmiedearbeit des Orphcuskleinods (die Fassung der Steine, vor allem aber
das reiche Schmelzwerk) gemacht habe, ist nach des Künstlers signierter und vom Jahre 1608 datierter
Nereidenkanne (Inv.-Nr. 1866) wenig wahrscheinlich. Damit, daß er hier das herrliche matte Gold ohne
Email und Edelsteine allein, nur im Gegensatz zum Braun und Rot des Jaspachats, aus dem der Kannen-
körper geschnitten ist, wirken läßt, bekundet er einen völlig anderen künstlerischen Geschmack76, als der
ist, der aus der beinahe überschwänglichen, bunte Farben und zierliche naturalistische und ornamentale
Formen und Email, Edelsteine, Kristall und verschieden behandeltes Gold in reichster Fülle anhäufenden
Goldschmiedearbeit des Orphcuskleinods zu uns spricht.
In der Fassung der Nereidenkanne, aber auch in den Silberreliefs bei Alfons Rothschild in Wien oder
in den großen kreisrunden Bleiplaketten mit der Entführung der Europa und mit Kadmus und dem Drachen
aus der Sammlung Lanna im Prager Kunstgewerbemuseum zeigt sich Vianen zwar als ein Meister der
Kleinarbeit, die bei ihm aber stets oder doch vorwiegend naturalistisch bleibt: er stellt Menschen, Tiere und
Landschaften dar, dem Ornament aber weicht er aus. Das Goldemail aber sowohl an dem durchbrochenen
Rankenwerk des Ständers als auch an den Fassungen der Edelsteine ähnelt immerhin den entsprechenden
Partien an der Krone, wenn es auch einerseits etwas zierlicher und andererseits etwas üppiger und wirrer
wirkt als dort. Die deutschen Verse sprechen nicht gegen den niederländischen Künstler, der am Kaiserhof
zu Prag sicherlich deutsch gesprochen hat. Das bei Modern (a. a. O., S. 69) faksimilierte Gesuch Vianens
an den Kaiser ist z. B. deutsch. Die Edelsteine sind altertümlich auf langen Hälsen gefaßt, ähnlich wie etwa
an der sogenannten Wenzelskrone aus dem 14. Jahrhundert.
Im Grünen Gewölbe zu Dresden befindet sich das Orpheuskleinod nochmals, in getreuer Wiederholung,
offenbar von seinem Meister ein zweites Mal hergestellt. An unserem Stück ist oben zu sehen, daß es
unvollständig ist. Die Bekrönung des Dresdner Stückes, eine Glaskugel, die im Innern ein Uhrwerk birgt
und auf der oben ein drehbarer kleiner emaillierter Mann mit einem Stabe als Zeiger steht, fehlt auf unserem
Wiener Exemplar77. Die Zuschreibung des Dresdner Stückes an Gabriel Gipfel ist nach dem Gesagten zu
überprüfen.
Die naturalistische Kleinkunst, gipfelnd in einer meisterhaften Darstellung winziger Tierlein, verbindet
das Orpheuskleinod mit zwei köstlichen Schalen im Kunsthistorischen Museum. Die eine (Inv.-Nr. 1665) besteht
aus milchblauem orientalischen Chalzedon, die andere (Inv.-Nr. 1985) aus zimtbraunem Achat. Beide Gefäße
wirken vor allem durch das edle Gestein, aus dem sie gedreht sind. Die Fassung tritt, von weitem gesehen,
dem herrlichen Halbedelstein gegenüber ganz zurück, ist aber, nicht nur für sich, sondern auch im Zusammen-

75 Heinrich Modern, Paulus van Vianen. Jb. XV, S. 86, Abb. auf S. 102.
76 Mit dem Nereidenkrug aufs engste verwandt scheint mir der Bezoar mit dem Schwein unter der Eiche (Inv.-Nr. 957)
zu sein. Auch hier ist lediglich das matte Gold dem wolkigen Braun des Steines oben und dem dunkelbraun gesprenkelten
bläulichen Grau der Tiermuschel unten entgegengestellt. Das Schwein verrät den Meister der Tierdarstellung, das aufs feinste
ausgeführte Blatt- und Fruchtwerk des Baumes den naturalistischen Kleinmeister.
77 Sponsel, Führer durch das Königliche Grüne Gewölbe zu Dresden, Dresden 1915, S. 274 t.
 
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