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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — Neue Folge, Band 2.1928

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Frohlich-Bume, Lili: Studien zu Handzeichnungen der italienischen Renaissance
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https://doi.org/10.11588/diglit.69891#0177
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STUDIEN ZU HANDZEICHNUNGEN
DER ITALIENISCHEN RENAISSANCE.
VON L. FRÖHLICH-BUM.
FÜNF UNBEKANNTE ZEICHNUNGEN DES ANDREA DEL SARTO.
Zu dem reichen Material an Handzeichnungen des Andrea del Sarto, das besonders durch die Veröffent-
lichungen Berensons1 und Di Pietros2 der allgemeinen Kenntnis zugänglich wurde, seien hier fünf
Zeichnungen hinzugefügt, die als Entwürfe zu ausgeführten Wandgemälden Andreas von besonderem Inter-
esse sind. Es sind dies drei Blätter der Sammlung Königs in Haarlem, von denen eines nur einseitig, die
beiden andern doppelseitig Rötelskizzen zu Andreas Fresken tragen. Diese beiden letzteren Blätter sind
dadurch besonders bemerkenswert, daß sie beide auf einer Seite komplette Entwürfe für die Szenen der
auszuführenden Gemälde enthalten, die aber durchaus nicht »finiti« sind, wie die eine verlorengegangene
Bisterzeichnung, dieVasari3 als Seltenheit von der Bland Andreas erwähnt. Ihr Charakter als Entwürfe, den
die Unentschlossenheit in der Gestaltung verschiedener Motive ebenso erweist, wie die einschneidenden
Änderungen, die bei der Ausführung des Freskos noch vorgenommen wurden, kann aber nich verhindern,
daß sie den Weg weisen, der von Andreas ersten Entwürfen zu seinen vollendeten Fresken führt.
Als erstes sei das Blatt (Abb. 226) mit Studien für Einzelgestalten zum Zug der Heiligen drei Könige
im Vorhofe der Annunziata in Florenz (Abb. 227) besprochen4. Das Fresko entstand im Jahre 1511 und ist
von Vasari genau beschrieben. Die Gruppe am rechten Bildrande unten gibt die Bildnisse von Jacopo
Sansovino und Andrea del Sarto im Gewand ihrer Epoche und setzt damit ihrer Freundschaft ein Denk-
mal. Der Kopf des Musikers Francesco d’Agnolo blickt (im Linksprofil) hinter Sansovino hervor. Es war
bis jetzt nur ein Entwurf für die Gestalt des Sansovino in den Uffizien bekannt5. Unser Blatt zeigt die
Skizzen zu vier Gestalten dieses Freskos und die Andeutung einer fünften. Mit raschen Strichen sind die
Figuren des Jacopo Sansovino und Andrea skizziert, die Gruppierung ist für die Ausführung beibehalten
worden, doch kommt in der Zeichnung die Geschlossenheit zum einheitlichen Block noch nicht so stark
zum Ausdruck. Auch zeigt die Haltung der beiden Figuren, die mit der leichten Neigung des Kopfes die
Natürlichkeit des beobachteten Modells verraten, größere Freiheit. Die Gesichter sind durch wenige Linien
— Augen, Nase und Mund andeutend — gestaltet, Fluß und Drapierung der Gewänder mit flüchtigen
Strichen im Sinne der fertigen Komposition markiert. Noch weniger von der definitiven Ausführung zeigt
die darüber befindliche Studie für den jungen König, der auf dem Fresko als Hauptfigur rechts im Zuge
schreitet, zunächst der erwähnten Gruppe von Künstlerbildnissen. Hier ist nur ein Gesamtumriß des Kopfes
aus einer doppelt geführten Eilinie gestaltet, die Figur ist schmal und lang gebildet, die Verbreiterung mit
dem um die beiden Arme geworfenen Mantel nur angedeutet, ohne die Idee des umgeschlagenen Stoffes
klar zu machen, die Beine sind, unbedeckt vom langen Gewand, in ihrer schlanken Gestrecktheit skizziert.
Eine in Anschauung und Wiedergabe so flüchtige Skizze mutet zeitlos an, jeder Künstler fast jeder Epoche
hat in dieser Weise seine Beobachtungen festgehalten — es schiene unmöglich, eine solche Zeichnung,
fände man sie allein und ohne Zusammenhang mit einem ausgeführten Werk, zu datieren, geschweige denn
sie einem bestimmten Künstler zuzuteilen. Anders verhält es sich schon mit der großen, das Blatt beherr-
schenden Figurenstudie zu dem Knecht des Freskos links vorne, der eine Last, in das Tuch seines Mantels
gewickelt, trägt. Dieser Entwurf stammt nicht aus einer fast immateriellen Sphäre wie die eben besprochene
Skizze zum König, der Manifestation einer Gestalt in wenigen hauchdünnen Linien, sondern hier spricht
der daseinsbewußte Renaissancemensch, erfüllt von den Problemen seiner Zeit, der Gestaltung erdenfester,
realkonstruierter, einem Richtigkeits- und Schönheitskanon unterworfener Menschenbilder. Skizzenhaft ist die

1 Berenson, Drawings of Florentine Painters, Vol. I, p. 272.
2 Di Pietro, I Disegni di Andrea del Sarto negli Uffizi, Siena. 1910.
3 Vasari Milanesi, V, p. 57. Berenson, a. a. O., p. 268.
4 Rötel, 253 X 179 mm.
5 Nr. 6435; abgebildet bei Di Pietro, a. a. O., als Fig. 4.

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