Nr. 11
JUGEND
1896
Gezeichnet von O. Eckmann.
Der Fremde.
Ich ging des Morgens hinaus in’s Feld,
Da hat sich Einer mir zugesellt.
Der schritt mir schweigend zur Seite her,
Fragte nicht, ob er willkommen war,
Nannte weder Namen noch Stand,
Grüsste weder mit Mund noch Hand. --
Die lachende Sonne lag auf dem Gras;
Wir beide schritten durch’s Feld fürbass.
Da sass am Wege auf einem Stein
Ein Weib und wiegte ihr Kindchen ein.
Und wiegte emsig und sang’s zur Ruh;
Mit Wohlgefallen schaute ich zu.
Der Fremde sprach: „Lass’ uns weiter geh’n!
„Du solltest mich einmal wiegen seh’n!
„Ich wiege so weich, ich wiege so sacht,
„Keine Mutter ist, die es besser macht.
„Ich wieg’ der Kinder so viel, so viel,
Verlangt kein’s mehr nach Reigen und Spiel.
„Kühl ist mein Garten und still mein Haus,
„Da ruh’n sie gerne, da schlafen sie aus.“ —
Wir schritten weiter durch’s Feld fürbass;
Die Mittagssonne lag auf dem Gras.
Da standen Zweie am Waldesrand,
Herz am Herzen, und Hand in Hand.
Sie wähnten verschwiegen den Liebesort
Und küssten sich selig fort und fort.
Sie küssten sich und nannten sich „Du“;
Mit Wohlgefallen schaute ich zu.
Der Fremde sprach: „Lass’ uns weitergeh’n!
„Du solltest mich einmal küssen seh’n!
„Ich küsse so lang, ich küsse so stark,
„Ein Kuss von mir geht durch Bein und Mark.
„Ich küsse tief bis in’s Herz hinein,
„Die ich geküsst, sind auf ewig mein.
„Kühl ist mein Garten und still mein Haus,
„Da ruh’n sie von meinem Kusse aus.“ —
Wir schritten weiter durch’s Feld fürbass;
Die Abendsonne lag auf dem Gras.
Da stand gebückt nicht ferne dem Pfad
Ein Alter und schnitt die reife Saat.
Er schnitt und schnitt ohne Rast und Ruh’;
Mit Wohlgefallen schaute ich zu.
Der Fremde sprach: „Lass’ uns weiter geh’n!
„Du solltest mich einmal schneiden seh’n!
„Ich schneide so schnell, ich schneide so reich,
„Tausend Garben auf einen Streich.
„Ich schneide die vollen, die tauben mit,
„Und keines Halmes vergisst mein Schnitt.
„Mein Haus ist gross, meine Scheuern weit,
„Ich hab’ für alle noch Platz bereit!“ —'
Wir schritten weiter durch’s Feld fürbass;
Der Nachtthau hing sich an Zweig und Gras.
Da blickten Kreuze im Sternenschein;
Der Fremde wandte sich querfeldein:
„Du magst alleine hier weitergeh’n!
„Ich bin zu Hause.-Auf Wiederseh’n!“ — P. o. eck.
Die stille Gasse.
Im süssen Schlendern musst’ ich einst gelangen
Zu einer Gasse wundersam verloren,
Wo nur die eignen Schritte lässig klangen
Wie eines Fremden, der dort nicht geboren.
Mir waPs, als ob ich meine Unrast trüge
Auf dies ihr Antlitz, das voll stiller Züge.
Drei Kinder sich im Kreise rastlos schwangen
Und eine alte Weise fröhlich laut sie sangen.
Sonst sah ich nur noch eine alte Frau
In einem Garten, der von Blumen roth und blau.
Mit mühevoller Hand sie zitternd goss,
Indess das Auge ihr in Thränen floss.
Ob sie das helle Lied der Drei gerührt
Und sie in schönen, nun ach! todten Wunsch geführt,
Ich wusst’ es nicht. Die alten Häuser schwiegen,
Wo neben jedem kleine Gärten liegen.
Verziert mit Löwenköpfen, niedrig sind die Thore,
Im Hof strömt Wasser aus metalPnem Rohre
Und wie es strömte früher, strömt es heute,
Die Kinder seh’n’s, es sah’n’s die alten Leute,
Als sie noch Kinder waren und noch sangen
In vielen Liedern, süssen, frohen, bangen.
Sie haben weiter nie daran gedacht,
Es kam der schöne Tag, es wich die Nacht,
Am selben Ort sind alle stets geblieben,
Es hat sie nichts hinaus zur Thür getrieben.
Sie starben dort, wo sie dem Tag geboren,
So zwischen Lied und Thränen still verloren.
Sonst kam kein Wort von ihrem herben Munde,
Ihr tiefstes Wesen schlief im tiefsten Grunde.
Nur auf die Dinge fällt ein selt’ner Schein
Und schön wird oft, was niedrig und gemein. —
Da endete das Lied der Kinderschaar
Und in die Stille dröhnte sonderbar
Der Lärm der Gassen, wo ich früher war. g. gugiz.
i 66
JUGEND
1896
Gezeichnet von O. Eckmann.
Der Fremde.
Ich ging des Morgens hinaus in’s Feld,
Da hat sich Einer mir zugesellt.
Der schritt mir schweigend zur Seite her,
Fragte nicht, ob er willkommen war,
Nannte weder Namen noch Stand,
Grüsste weder mit Mund noch Hand. --
Die lachende Sonne lag auf dem Gras;
Wir beide schritten durch’s Feld fürbass.
Da sass am Wege auf einem Stein
Ein Weib und wiegte ihr Kindchen ein.
Und wiegte emsig und sang’s zur Ruh;
Mit Wohlgefallen schaute ich zu.
Der Fremde sprach: „Lass’ uns weiter geh’n!
„Du solltest mich einmal wiegen seh’n!
„Ich wiege so weich, ich wiege so sacht,
„Keine Mutter ist, die es besser macht.
„Ich wieg’ der Kinder so viel, so viel,
Verlangt kein’s mehr nach Reigen und Spiel.
„Kühl ist mein Garten und still mein Haus,
„Da ruh’n sie gerne, da schlafen sie aus.“ —
Wir schritten weiter durch’s Feld fürbass;
Die Mittagssonne lag auf dem Gras.
Da standen Zweie am Waldesrand,
Herz am Herzen, und Hand in Hand.
Sie wähnten verschwiegen den Liebesort
Und küssten sich selig fort und fort.
Sie küssten sich und nannten sich „Du“;
Mit Wohlgefallen schaute ich zu.
Der Fremde sprach: „Lass’ uns weitergeh’n!
„Du solltest mich einmal küssen seh’n!
„Ich küsse so lang, ich küsse so stark,
„Ein Kuss von mir geht durch Bein und Mark.
„Ich küsse tief bis in’s Herz hinein,
„Die ich geküsst, sind auf ewig mein.
„Kühl ist mein Garten und still mein Haus,
„Da ruh’n sie von meinem Kusse aus.“ —
Wir schritten weiter durch’s Feld fürbass;
Die Abendsonne lag auf dem Gras.
Da stand gebückt nicht ferne dem Pfad
Ein Alter und schnitt die reife Saat.
Er schnitt und schnitt ohne Rast und Ruh’;
Mit Wohlgefallen schaute ich zu.
Der Fremde sprach: „Lass’ uns weiter geh’n!
„Du solltest mich einmal schneiden seh’n!
„Ich schneide so schnell, ich schneide so reich,
„Tausend Garben auf einen Streich.
„Ich schneide die vollen, die tauben mit,
„Und keines Halmes vergisst mein Schnitt.
„Mein Haus ist gross, meine Scheuern weit,
„Ich hab’ für alle noch Platz bereit!“ —'
Wir schritten weiter durch’s Feld fürbass;
Der Nachtthau hing sich an Zweig und Gras.
Da blickten Kreuze im Sternenschein;
Der Fremde wandte sich querfeldein:
„Du magst alleine hier weitergeh’n!
„Ich bin zu Hause.-Auf Wiederseh’n!“ — P. o. eck.
Die stille Gasse.
Im süssen Schlendern musst’ ich einst gelangen
Zu einer Gasse wundersam verloren,
Wo nur die eignen Schritte lässig klangen
Wie eines Fremden, der dort nicht geboren.
Mir waPs, als ob ich meine Unrast trüge
Auf dies ihr Antlitz, das voll stiller Züge.
Drei Kinder sich im Kreise rastlos schwangen
Und eine alte Weise fröhlich laut sie sangen.
Sonst sah ich nur noch eine alte Frau
In einem Garten, der von Blumen roth und blau.
Mit mühevoller Hand sie zitternd goss,
Indess das Auge ihr in Thränen floss.
Ob sie das helle Lied der Drei gerührt
Und sie in schönen, nun ach! todten Wunsch geführt,
Ich wusst’ es nicht. Die alten Häuser schwiegen,
Wo neben jedem kleine Gärten liegen.
Verziert mit Löwenköpfen, niedrig sind die Thore,
Im Hof strömt Wasser aus metalPnem Rohre
Und wie es strömte früher, strömt es heute,
Die Kinder seh’n’s, es sah’n’s die alten Leute,
Als sie noch Kinder waren und noch sangen
In vielen Liedern, süssen, frohen, bangen.
Sie haben weiter nie daran gedacht,
Es kam der schöne Tag, es wich die Nacht,
Am selben Ort sind alle stets geblieben,
Es hat sie nichts hinaus zur Thür getrieben.
Sie starben dort, wo sie dem Tag geboren,
So zwischen Lied und Thränen still verloren.
Sonst kam kein Wort von ihrem herben Munde,
Ihr tiefstes Wesen schlief im tiefsten Grunde.
Nur auf die Dinge fällt ein selt’ner Schein
Und schön wird oft, was niedrig und gemein. —
Da endete das Lied der Kinderschaar
Und in die Stille dröhnte sonderbar
Der Lärm der Gassen, wo ich früher war. g. gugiz.
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