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1897

Liebesbriefe

von Ida Baccini,
deutsch von Hans Jürgens. '

War es Langeweile, war es Mü-
digkeit, war es jene grundlose
Schwermuth, welche nervöse Men-
schen zeitweise zu befallen pflegt?

War es Verstimmung, hervorgeru-
fen durch das abscheuliche Wetter,
den grauen Himmel, das eintönige
Geräusch der Regentropfen, die
gegen das Fenster schlugen? Wer
weiss es? Wenn es nicht körper-
liche Ursachen sind,wer kann sagen,
von was für Nichtigkeiten manch-
mal unsere trüben Stimmungen
herrühren?

Aber, mochte es nun Müdigkeit,
mochte es das Wetter, mochte es
sein, was es wollte, unleugbare
Thatsache war es, dass ich mich
traurig, vereinsamt, von aller Welt
verlassen fühlte. Ich wollte da-
gegen ankämpfen, wollte mich mit
irgend etwas zerstreuen und fing
an, in den Schubladen meines Toi-
lettentisches herumzukramen.

Es mag komisch, vielleicht kin-
disch klingen, aber eine solche
Beschäftigung war von jeher meine
Passion gewesen, wenn es galt,
schwere Gedanken abzuschütteln.

In dem obersten Fache, unter
einem bunten Durcheinander von
Bändern, Spitzen und getrockneten
Blumen, lag ein grosses Packet
Briefe, sorgfältig von einem blauen Seiden-
bändchen zusammengehalten. Seit zwei
Jahren war der Knoten nicht mehr gelöst
worden, seit zwei Jahren hatte „er“ mir
keine Zeile mehr geschrieben.

Wir hatten uns leidenschaftlich geliebt,
mit der ganzen Kraft einer späten Liebe.

Als der Kampf um’s Dasein uns trennte,
ihn nach Rom, mich an Florenz bannte,
überschwemmten wir uns gegenseitig mit
Briefen. Täglich gingen sieben bis acht
Seiten lange Episteln hin und her, eines
suchte das andere an überschwenglichen
Ausdrücken zu überbieten, eines quälte
das andere mit kindischer, lächerlicher
Eifersucht. Und so brachten wir es mit
samt unserem Reichthum an Liebe fertig,
die Schätze, die für zehn Jahre ausgereicht
hätten, in wenigen Monaten zu vergeuden.

Die Reaktion liess selbstverständlich
nicht lange auf sich warten. Beide sehn-
ten sich schliesslich nach Ruhe.

Ich fing an, mich zu fragen, wohin diese
grosse Leidenschaft uns führen sollte, der
wir unsere Arbeits- und Erholungsstunden
opferten. Was sollte daraus werden? —
Eine Heirath? Er war längst nicht mehr
frei. Die Möglichkeit eines einstigen Zu-
sammenlebens, war durch seinen und mei-
nen Beruf ausgeschlossen. Also? War die
Aussicht, auf Jahre und Jahre hinaus nur
auf schriftlichen Austausch unserer Gefühle
angewiesen zu sein, so sehr verlockend?
— — Ich hatte, wie man sieht, den

JUGEND

Karl Bauer (München)

Fehler, etwas zu vernünftig zu sein, und
wo die Vernunft anfängt, hört meistens
die Liebe auf, und an ihrer Statt bleibt
ein blasses Phantasiegebilde zurück, dem
wir, uns selber zum Tröste, die schönen
Namen Freundschaft, Achtung u. s. w.
beizulegen pflegen. — Fromme Täuschung,
die Liebe, diese heilige verzehrende Flam-
me lässt, wenn sie erlöscht, nichts als
ein Häufchen Asche zurück. Gar nichts
weiter. — Die Briefe wurden kürzer, spär-
licher, endlich hörten sie ganz auf. Kein
Wort der Aufklärung, des Bedauerns, wir
verstanden uns, auch ohne ein solches;
er hatte sich freilich aus einem gewissen
Zartgefühl bemüht, mich bis zuletzt an
seine unveränderte Liebe glauben zu ma-
chen. Aber auch in seinen Briefen hatte
die Liebe der Ritterlichkeit Platz gemacht,
an Stelle der elementaren Leidenschaft
war die liebenswürdige Phrase getreten.
Wir täuschten uns Beide nicht darüber.

Ich löste das Band und etwa hundert
Briefe zerstreuten sich auf dem Teppich,
einen zarten Duft um sich verbreitend.
Dieser Duft stieg mir zu Kopfe und liess
vergangene Tage vor meiner Phantasie auf-
steigen. Ich war nicht mehr allein, ich
spürte keine Müdigkeit mehr, „er“ war
wieder da, neben mir und ich stand wieder
unter dem Zauber seiner Persönlichkeit.

„Lass uns zusammen lesen, schien sei-
ne Stimme zu flüstern, überzeuge Dich

Nr. 1

von meiner Liebe.“ Und ich las
mit klopfendem Herzen:

„Liebste, lass nie einen Zweifel
an meiner Liebe zu Dir aufkommen.
Du weisst, was Du mir bist. Oder
weisst Du es nicht? Du bist mir
das Heiligste, Erhabenste; Du bist
der goldene Strahl, der die letzten
Jahre meiner Jugend verklärt. Du
bist mein Glück, meine Seligkeit!
Auch für Dich, Liebste, werden
noch Tage der Vereinsamung, der
Trübsal kommen, dann rufe mich,
ich werde unverzüglich zu Dir
eilen, ich werde die Schranken,
welche die Menschen und die Ver-
hältnisse zwischen uns aufgerichtet
haben, niederreissen, ich werde zu
Dir eilen, um Dir zu beweisen, dass
ich Dir gehöre, dass ich lebe und

sterbe in Dir-“

Thränen verdunkelten meine
Augen und das holde Traumbild
entschwebte langsam in der herein-
brechenden Dämmerung.

Am andern Morgen war ich auf
dem Wege nach Rom, getrieben
von einer krankhaften Neugier, die
mit der Liebe gewiss nichts zu
thun hatte. Und da wir nun ein-
mal ein Gewissen besitzen, dem
wir von unseren Handlungen Re-
chenschaft ablegen müssen, beruh-
igte ich das meinige dadurch, dass
ich mir einredete, diese Reise in
die ewige Stadt sei unumgänglich
nothwendig. Zwingende, geschäft-
liche Gründe, Unterredungen mit allen
möglichen Leuten dienten mir als Vorwand.

In Chiusi angekommen, befiel mich mit
einem Male die Angst vor einer Enttäu-
schung, und ich liess zu meiner Beruhigung
ein Telegramm abgehen mit folgendem
Inhalt: Ich komme um 3 Uhr an. Holen
Sie mich ab, ich bin etwas leidend. —

War ich leidend? Vielleicht, wenigstens
in der Einbildung.

Als der Zug in die Halle einfuhr, goss
es in Strömen. Mit etwas unsicherer Hand
fuhr ich über die angelaufenen Waggon-
scheiben und sah gespannt hinaus. —
Mein Gott, „er“ war nicht da! Gewiss
hatte er mein Telegramm nicht erhalten,
sonst wäre er sicher gekommen, schon
aus Höflichkeit.

Langsam stieg ich aus, immer nach
ihm ausspähend, immer noch hoffend, ein
dunkles, blasses Gesicht, das mir zu-
lächelte, auftauchen zu sehen. Doch es
kam Niemand. Ich verliess die Halle,
meine Reisetasche in der einen Hand,
in der andern den aufgespannten Regen-
schirm.Eben wollte ich einen derDroschken-
kutscher heranwinken, als ein älterer Herr
von sympathischem, vornehmem Aussehen
auf mich zutrat.

„Verzeihung!“ sagte er mit tiefer Ver-
beugung, „habe ich vielleicht die Ehre,
Frau Irma L... vor mir zu sehen?“

„Ja, ich bin es,“ antwortete ich über-
rascht. „Aber ich begreife nicht-“

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