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Nr. 2

6

1897

JUGEND -

Bernhard Pankok (München).

Sie grWe Aiebe

Im Saale außen raste der Souperwalzer,
und die Atmosphäre, die über der Gesellschaft
lagerte, war bereits etwas schwül und heiß. So-
gar die waizenblonden Töchter der Consistorial-
räthiu hatten etwas von Mänaden an sich; ihre
Scheitel waren nicht mehr so tadellos glatt, wie
zu Anfang des Balles, ihre Wangen hatten Farbe
bekommen und ihre Augen Feuer! Nicht gerade
so viel, daß es den Herrn Papa kompromittirt
hätte, aber Farbe und Feuer war's doch! Der
Provisor von vis-ä-vis desilirte im Tanzschritt
an uns vorbei mit zerknitterter Hemdbrust und
schwärzlich angehauchten Handschuhen — ganz
Bacchant! Sogar Rektor Breitfuß hatte in der
Aequatorgegend seiner umfangreichen Persönlich-
keit einen Orden anstecken mit der Inschrift: „Dem
flotten Tänzer."

Wir saßen — unser vier — möglichst fern
den Tanzenden in der stillsten Ecke des Souper-
zimmers um eine rothhalsige Flasche und redeten
davon, welche Liebe die stärkste sei. Veranlassung
zu dem Gespräche hatte des Doktors Kinder-
mädchen gegeben, das seinem Herrn aus Gram
über das Unglück, von einem Unteroffizier ver-
lassen worden zu sein, über die Sublimatpastillen
gerathen und gestorben war.

Der gute Assessor, der stark lyrisch veranlagt
war und seit Jahren mit einer tiefen Herzens-
wunde kokettirte — es war ihm die beste Partte
in der Stadt von einem Ulanenlieutenant weg-
gekapert worden — flötete etwas von der dämo-
nischen Macht der Liebe, während der Doktor die
Verspeisung aller todbringenden Bonbons und
Pülverchen in solchen Fällen als namenlos ab-
geschmackt, köchinnenmäßig und zweckwidrig be-
zeichnete.

Der Assessor wurde jetzt pathetisch:

„Sagen Sie was Sie wollen, es hat etwas
Großes, ein Leben hinzuwerfen als nicht mehr
lebenswcrth, wenn man es niit einem geliebten
Wesen nicht theilen soll. Im Kampf mit einein
übermächtigen Geschick den Platz räumen, ist keine
Schande, ja der Rückzug in das unbekannte Land
fordert mehr Muth als das Ertragen eines dcmü-
thigenden Schicksals."

„O Sie Hamlet!" höhnte der Doktor. „Wenn
einer nur das nöthigste Maß von Selbstachtung
hat, wird er sich für zu gut halten, um sich wegen
verschmähter Liebe aus der Welt zu drücken.
Einer Küchenfee mag's noch zu verzeihen sein,
wenn ich aber so was von^einem MannsbftZ
höre, geht mir die. Galle über."

„Wenn es sich uni einen Einzelnen handelt,
mögen Sie Recht haben, wenn auch nicht in allen
Fällen. Der Mensch kann viel erdulden und doch
den Muth zum Weiterleben behalten; wer weiß
das besser, als ich? Aber wenn sich Zweie in
heißer Liebe zngcthan sind und ihnen jede Aus-
sicht genommen ist, sich einst besitzen zu können,
wenn sie dann die Vereinigung im Tode suchen,
die ihnen im Leben versagt ist, das ist nicht
köchinnenhaft und nicht feige!"

„Sie sollen den Muth und die Kraft haben,
ihrer Liebe zu leben, sich einander zu erobern!"

„Aber meine Prämisse sagt ja, daß unüber-
steigliche Hindernisse sie trennen."

„Die gibt's nicht für Liebesleute, die starken
Willen haben — vorausgesetzt, daß nicht die Ehre
dagegen spricht! Und dannheißt's eben entsagen
Aber sonst müßten zwei, die einander wirklich
mit einer ganzen, großen Leidenschaft lieben,
immer zusammenkomnien können, und wäre das
Wasser noch so tief. Courage gehört freilich dazu,
und wehleidig darf einer unter Umständen auch
nicht sein, denn die feine Gesellschaft schlägt grob
zu, wenn man die Cirkel ihrer selbstsüchtigen
Sitte stört. Das ist aber alles gleichgültig. Wenn
zwei anständige Menschenkinder einander ange-
hören wollen, so haben sie auch daS Recht dazu.
Das ist ein Naturrecht. Familie-, Rang- und
Standesunterschiede, das sind nur künstliche Be-
griffe.

„Was meinen Sie?" fragte der Assessor nun
unseren vierten Tafclgenossen, der bis jetzt schwei-
gend dagesessen. „Welches ist das Stärkere von
dem, was Liebe kann: Sterben oder Leben?" ^

„Leben, immer und immer leben!" sagte der
Geftagte, ein Mann, der als Ballvater eines
hübschen Töchterchens hier war. Die Mutter der
Kleinen war vor fünfzehn Jahren gestorben und
man sagte, ihr Gatte betrauere sie noch immer
mit unverminderter Zärtlichkeit.

Er fuhr fort:

„Ich kenne in hiesiger Stadt ein Ehepaar,
das im Kampfe um sein Glück das Heldenhafteste
geleistet hat, das Sie sich denken können — mehr
wahrscheinlich, als Sie sich denken können und
sicher mehr, als so ein Sprung zweier Lebens-
müder in's Wasser ausmacht! Wollen Sie die
Geschichte hören? Ich erzähle kurz."

Natürlich stimmten wir zu und er erzählte:

„Nun denn: er war Offizier und sie die
Tochter einer nicht unbegüterten aber kinder-
reichen Kanfmannsfamilie. Er warb um sie —
der Vater wies ihn mit ziemlich schroffen Worten
ab und, der^ Andere^ beging die Thorheit, jenen

durch ein unüberlegtes Wort auf immer sich zum
unerbittlichen Feinde zu machen. Trotzdem gaben
sich die Liebenden das Wort, auf einander zu
warten. Er, Heinrich hieß er, sah bald ein, daß
er in seinem Berufe schwache Aussichten hatte,
seiner geliebten Else einmal eine Existenz zu
bieten. Er war von schwächlicher Gesundheit,
überhaupt nicht zum Soldaten geboren und sah
das Scheitern an der Majorsecke mit ziemlicher
Gewißheit voraus. Er guittirte den Dienst und
versuchte es zuerst, Dank einer gewissen Feder-
gewandtheit, die er besaß, sein Brod als Jour-
nalist zu verdienen. Aber er hatte Unglück, die
Blätter, für die er arbeitete, kamen nicht in die'
Höhe, mehr als Mittelmäßiges leistete er nicht,
und als er endlich bei einer großen Zeitung
Unterkommen fand, verwickelte er diese durch ein
Versehen in solche Unannehmlichkeiten, daß seine
publizistische Carriere ein jähes Ende nahm. Er
widmete sich dem Kaufmannsstande, von Stelle
zu Stelle hernmgestoßen, stets fleißig und ehrlich,
aber immer nur im Stande, sich zur Roth das
eigene karge Brod zu verdienen. Die Möglich-
keit einer Verbindung mit Else rückte in immer
I größere Ferne. Das Mädchen aber hatte zu
i Hause schwer zu dulden, lvurde von Vater und
' Geschwistern seelisch mißhandelt, zu unangeneh-
men Verwandten geschickt, gehöhnt und belei-
digt. Schließlich lief sie bei Nacht und Nebel
' aus dem Hause und suchte sich eine Stellung als
^Gouvernante. Man hatte sie zur Heirat mit
1 einem Andern zwingen wollen durch ein fait
accompli, indem man nämlich die Verlobungs-
i., karten ausschickte. Heinrich ging über's Meer,
^gewann ein kleines Vermögen und verlor es
; wieder; wenn er nicht ganz nnterging, so war
\ es immer nur die Pflicht, die ihn ausrecht hielt.

' Zehn Jahre, nachdem er seinen Abschied genom-
> men, kehrte er, überzeugt, daß auch drüben für
'ihn das Glück nicht wohne, nach Europa zurück,

' gealtert und leidend, aber nicht eutmuthigt, ob-
wohl er arm und aussichtslos wiederkam. Er
und Else sahen sich und schwuren sich auf's Neue,
^ auszuhalten. Elsa's Vater starb und hinterließ
■ seiner Tochter keinen Heller. Sie sing, dem zu-
, erst gewählten Berufe körperlich nicht mehr ge-
wachsen, einen kleinen Putzkram an und reussirte.
t Rach zwei Jahren brachte sie der Bankerott ihrer
\ hauptsächlichsten Lieferanten um Hab und Gut;

sie begann von Neuem und mühsam erhielt sie
u sich über Wasser. Er war inzwischen in einem
. großen Etablissement, einerBrauerei, untergekom-
men, schlecht bezahlt, mit untergeordneter Arbeit
* betraut. .Endlich,; fast zwanzig^Jahre, nachdem

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