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Nr. 2

JUGEND

1897

die Beiden sich verlobt hatten, wendete sich ihr
Schicksal. Er entdeckte die groben llnterschleife
eines Kollegen und bewahrte das Geschäft vor
grossem Schaden. Man lieft ihn vorrücken, er
kam in eine Stellung, die seinen Fähigkeiten ent-
sprach, der Tod raffte seine Vordermänner weg
und heute ist er ein geehrter Mann in glänzen-
den Verhältnissen. Selbstverständlich holte er
seine Else heim, sobald sein Einkommen nur an-
nähernd für ihren Hausstand ausreichte. Bitte:
nach zwanzig Jahren Wartens, meine Herren!
Ist das nicht größer und schöner, als wenn die
Zwei damals nach dem groben „Nein!" von
Elsens Vater Chemikalien gegessen oder den Tod
in den Wellen gesucht hätten?"

„Freilich, freilich, das ist Heldenthum!" meinte
nun auch der Assessor.

„Wären sie zu rechter Zeit mit einander durch-
gegangen, so hätte dies das Verfahren wesentlich
abgekürzt!" warf der Doktor ein, der im Uebrigen
zu der Erzählung zustimmend genickt hatte.

„Und wissen Sie, wer die Beiden sind?"
fragte der Vorredner wieder. „Die da!"

Er deutete auf ein ältliches Ehepaar, das an
einem der Nachbartische saß, so uninteressant als
möglich aussah und uns doch den ganzen Abend
schon interessirt hatte. Wir hatten nämlich mit
vieler Heiterkeit beobachtet, wie die Frau nicht
müde wurde, mit ihrem Manne Streit zu suchen,
ihn durch alle erdenklichen Ansprüche und Wünsche
in Athem hielt, mit Allein unzufrieden war, init
den Kellnern zankte und ihren Gatten durch Un-
arten gegen die Nachbarn in Verlegenheit brachte.
Mit der Geduld eines erwachsenen Lammes lieft
er Alles über sich ergehen und schwang sich höch-
stens hin und wieder zu einem beschwichtigenden
Brummen auf.

„Die da!" — der Assessor seufzte förmlich
wegen der bitteren Enttäuschung. „Das ist also
Ihre große Liebe, die stärker ist, als der Tod?"

„Ja, das ist sie", sagt der Andere recht ernst-
haft. „Wenn die dort ein paar prachtvolle Heroen-
menschen wären, schön, geistvoll, Jedes wirklich
begehrenswerth für das Andere, was >väre da
weiter dabei, daß sie es der Mühe werth fanden,
ein halbes Menschenalter lang auf einander zu
warten. Aber so, wie sie sind, waren sie Helden!
Keines schön, keines besonders fähig, Keines
von besonders bestrickenden menschlichen Eigen-
schaften ! Geduckt und gedrückt, getreten und ver-
folgt vom Mißgeschick, früh alt, unlustig, mür-
risch, müde, haben sie doch immer aneinander
geglaubt und den Kamps weiter geführt gegen
das kleinlichste Elend, gegen Dürftigkeit und Ver-
achtung. Sie waren nicht stark genug, einander
einfach in die Arme zu nehmen, zu halten und
zu sagen: „Wir haben uns, mag nun kommen,
was will!" Aber sie waren stark genug, für
einander zu leiden. Das ist die Stärke der Schwa-
chen! Und ivcil die Liebe das kann, ist sie heilig,
weil sic das kann, ist sie so groß, weil sie das
kann, regiert und erhält sie die Welt!"

m


Das Ehepaar am Nachbartische erhob sich. Da
stieß die Frau einen ziemlich scharfen Schrei aus:
„Nein, Du Ungeschick! Nun sitzt er den ganzen
Abend ans meinem Fächer! Man muß sich schämen
mit Dir!"

Er nahm das zerdrückte Gebilde in seine un-
gelenkten Finger und sagte gutmüthig:

„Sei nicht bös, Else, ich kauf Dir einen neuen!"
Ohne ihn iveiter eines Wortes zu würdigen,
rauschte sie, ihm voran, aus deni Saal und er
hintendrein, beladen mit einem verwelkten Strauß,
einem Pelzkragen, einem Ridikül, einer Bon-
bonniere und einer langen Seidenschärpe, die
er auf dem Boden nachzog. FRm von ostini.

Entwickelung
Welch’ genialer Lebenslauf
Im Dichten und im Pumpen!

Doch findest Du zehn Jahre d’rauf
Philister oder Lumpen. —

Vom Paradies

Soll ich mich ärgern? Soll ich mich freu’n
Ueber den Heidenspass?

Der direkte Weg vom Sündenfall
Führt auf — den deutschen Parnass.

WILHELM WEIGAND.

schwarze Weisheit

Nach afrikanischen Sprüchwörtern von Ludwig
Jacobowsky.

Mag die Gaus auch übermüthig schrein,
wird ihr Kleines doch ein Gänschen fein.

weißer Turban*) thut es nicht allein;
Gottesfurcht muß tief im Herzen fein.

Schilt den Kern nicht winzig klein;

Linst wird er ein Palmbaum sein.

Thörickst, wer das Kleidchen mißt,

LH' das Kind geboren ist.

Loos des armen Mannes
So ein Huhn vom armen Mann!

Eier legt es nicht.

wenn es eins mal legen kann,

Brütet es dann nickst.

Brütet es geduldig aus,

Schlüpft nichts aus dem Loch,
wenn ein Küchlein schlüpft heraus,
Holt's der Habicht doch! —

H. Meyer-Cassel (Zürichj.

*) Das Zeichen des heiligen Mannes.

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