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1897

wie eine wirbelnde Sonne, die Platte aus
dem Himmel zurück, Feuer um sich
schleudernd, zischend wie durch Wasser,
und ein geller Freudenschrei krachte
aus allen Kehlen empor: Jetzt! Jetzt!
Jetzt liegt der Schädel zerschmettert! . . .

Da härte ich eine leise bittende
Stimme an meinem Ohr: „Un soldo,
signor /« und sah, wie ich meine Augen
aujthat, die kleine, blasse, magere Hand
eines Kindes, bettelnd vor mich hin-
gehalten, und ich begriff meinen Traum.

OTTO JULIUS BIERBAUM.

Modernisirte Spruchweisheit

Ls ist eine alte Erfahrung,

Daß „Ehrlich am längsten währt";

Sa denke, mein Sohn, und handle,

Dann bleibst Du hochgeehrt.

Doch kommst Du damit nicht weiter,

Mein Sohn, so thut mir's leid —

Dann denke: „es währt auch manchmal
Zu lang mit der Ehrlichkeit!"

GO

Der weife Mann sprach früher:

„Durch Schaden wirst Du klug!"

Gar Mancher dafür die Beweise
Am eig'nen Leibe trug.

Noch heute leuchtet das Sprüchlein
In Hellem Weisheitsschein:

„Durch Schaden magst klug Du werden —
Doch braucht? nicht der eig'ne zu sein!"


„EiuJeder der Schmied seines Glückes ist — "
Drum schwinge den kjammer bei Zeiten
Und haue zu, wo Du auch bist,

Unter Ehristen, Türken und lheiden l

Doch will Dein Glück trotz aller Mühe
Dann doch nicht zu Dir wandern,

So schwinge den lhammer nicht minder kühn
Und — haue aus die Andern!

w. 23.

Quid licet bovi?

Den Fraß sollst Du den Gchsen nicht
verbieten, den sie finden.

Jedoch dem Gchsen, der da spricht,
Darfst Du das Maul verbinden.

s. q.

Nr. Z

leuchtenden Lettern. Diese aber sagten
alle den einen Satz: Jedem das Glück!

Mich er fasste eine ohnmächtige Wuth.
0 ich Esel von Campanile ! Dass ich hier
stehen muss und Zusehen, wie sie Alle
ins Glück Jahren, diese nackten Veloci-
pedler! Ich will nimmer! Ich will mit-
radeln ! Ich will auch mit in diese klare
Unendlichkeit. Ich will. . .

Plautz! Da fiel ich um, mit meiner
ganzen Thurmlänge quer über den
Markusplatz und lag nun schiej auf
dem Orlogio auf. So, jetzt sperr' ich
wenigstens den Weg, dacht’ ich mir in
elender Bosheit. Da haute der eine der
beiden Glockenschlägerriesen mich mit
seinem Hammer auj den Kopf. Rasend
vor Schmerz drehte ich mich um und
rollte nun langsam zu Boden.

Aber nun frage ich Sie: Ist es

nicht haarsträubend ?! Meine Constitu-
tion, eben noch schlank, hoch, steil, ganz
aufeinander, verschob sich, gliederte sich
ins Breite, und ich ward eine elend
lange Loggia mit tausend Säulenpaaren.
Und ein Gewimmel in mir! Fabelhafil
Aus jedem Säidenpaar traten Menschen
heraus, nackt wie die vorigen, Jüng-
linge und Mädchen, und übten sich im
Diskuswurf. Natürlich waren es wieder
diese Zehncentesimi-Stücke, die sie von
sich warfen. Herrgott, wie sausten die
durch die Luftl

Und alle zielten nach einem Ziel.
Es war ein grauer Steinkoloss, so hoch
wie breit, und sah grässlich aus. Ich
sah nur den Kopf. Der war blind;
hatte nicht Auge noch Nase, noch Ohr:
nichts als ein quermalmendes Maid. Und
irgendwo stand das Wort: ELEND.

Und die nackten Leute warfen und
warfen mit ihren Kupfer platten nach
diesem grauen Schädel. •Aber der wurde
nur grösser von den Scheiben, die ihn
trafen, denn immer, wenn eine kam,
sperrte er das malmende Maul auf und
Hess sie rasselnd in sich einsinken. So
schwoll er sichtbarlich, und das Mal-
men seiner Zähne klang wie dumpfes,
stumpfes Sägen.

Mir schien, die Nackten wurden
müde, zu werfen. Da kam ein Mann.
Er war grösser als die andern und
fröhlicher. Denn sie Alle waren ernst.
Er lachte zu dem knirschenden Maid
auf, nahm eine Platte, wischte mit einem
Rucke das Porträt des schnurrbartgewalt-
igen Königs Humberto davon ab und
schwang sie ein-, zweimal hinter sich.
Dann Hess er sie mit einem starken
Rucke fliegen. Und sie fidir in den
Himmel. Alle sahen ihr nach. Es war
ein Schweigen, in dem kein Athem ging.
Da plötzlich kam, glühend und gross

* JUGEND *

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F R. Wittel (München).
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