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Nr. 4

S

JUGEND

189?

H. Christiansen (Parisj

I.

Der feurige wird gar zu schlecht gerathen!
Die Sonne that mit ihrer Wärme rar
Und will ihn setzt im Uebereifer braten.

Zu spät! Lin Herz, das schon erkaltet war,
Ist nicht mehr ganz durchdringbar späten

Gluthen.

Lin guter Herbst ist noch kein gutes Jahr.
So mochte manche Sonne sich verbluten,

Um gutzumachen, was sie sonst versäumt,
was frommt verdorrter Saat ein Ueberfluthen?
Zu spät! welch' Wort! Don Trauerrand

umsäumt,

Den Tod uns meldend ungeborner Freuden!
Ein Loos, dem wild sich meine Seele bäumt.
Nur dieses nicht! Ist mir's bestimmt, zu leiden,
Nun, so enthalte mir das Schicksal vor,
was ich an Seligkeit geträumt uns beiden.
Nur führ' es an das schon geschloss'ne Thor
Nicht heut, was uns bcsel'gcn könnt' vor Tagen,
Und halt' des Glückes Fratze uns nicht vor.
Wohl kann ich schweigend eher Wunden tragen,
Als unter dieses Schicksals Hohn mich ducken,
Denn teuflischer als gänzliches versagen
Ist des: „Zu spät!" bedauernd Achselzucken.

II.

Lin psychologisch Abenteuer hatt' ich.

Zwar, Abenteuer — ich! daß Gott erbarm'!
Und Hab' Psychologie auch herzlich satt ich —
Lint beides sich, so hat es seinen (Marcus.
Von Eltville ging nach Schlangenbad ich heut,
Ach Gott, nur einen Paletot am Arm.

Und wie die Landschaft schönen Rückblick beut,
Seh' ich ein Mädchen, fünfzig Schritt wohl ferne,
Die sich auf gleichem weg des gleichen freut.
Nach der Toilette konnte gut und gerne
Sie eine Bürgermcisterstochter sein.

Ihr Antlitz abgewandt — verhüllte Sterne I
Ich stehe noch und blicke nach dem Rhein —
Sie dreht sich um, will weiter und bleibt stehen,
Ls war ihr doch wohl peinlich, so allein!

Sie wollte nicht an mir vorübergeh'n.

Sonst wär' ich wohl entgegen ihr gegangen,

Heut mußte ich voll Mitleid weg mich drch'n.
(Die Lhe bessert uns!) Ihr Herzensbangen
war mir empfindbar auf die fünfzig Schritt.
Ihr Gang schien ganz von meinem abzuhangen.
Zög'r' ich — sie zögert auch. Auf einmal schnitt
Den weg ein and'rer. Ritterlich gesvnnen
Bog ich hinein; mich dauert', was sie litt.
Und wie sie schnell nun freies Feld gewonnen,
Schien sie, als Kreuzweg und Gefahr vorbei,
Sich lässig gehend am Erfolg zu sonnen.

Ich hatte knappe Zeit; drum, einerlei,

Nur schnell vorbei I Nieder den Blick geschlagen,
Als ob nur Luft zu meiner Linken sei.

Aus Schonung that ich's, kann ich ehrlich sagen,
Doch dieses rücksichtsvolle Seitwärtssehu,

Das könnt' das gute Seelchen nicht vertragen:
Fast neben mir sah ich sie plötzlich gehn.
Denn wcnn's auch ehrbar war, mich zu ver-
meiden —

Daß ich sie mied, das schien ihr wen'ger schön.
Mich aber ärgert' das. Nach allen Seiten
wandt' ich die Blicke in die Landschaft hin,
Nur nicht nach ihr: Begegnet' wer uns beiden,
Der glaubte wohl, daß ich ihr Liebster bin,

Den sie gekränkt und trachtet zu erweichen
Und der sich abgekehrt in trotz'gem Sinn.
Dann, als ihr weg sein Ende mocht' erreichen —
Dder ihr Langmuth — merkt' ich sie ver-
schwinden,

Grad' als ich im Begriff war, ihr zu weichen,
Gerührt,, solch 'ne Natur hier zu ergründen,
So problematisch, wie ich nie in Städten
von zwauzigtausend Seelen hofft' zu finden.
Nur kann als Forscher ich's nicht ganz vertreten,
Daß so die Kenntniß doch mir nicht bescheert war
— Dieweil die winde ihre Spur verwehten —
Eh' cs den Kopf zu dreh'n der Mühe wcrth war.

III.

Nach Rüdesheim fuhr ich von Bingerbrück,
„Im kleinen Schiff" setzt' ich nach Rheinstein

über,

Und schickte dann den Fährmann gleich zurück.
Und hatte ihm gesagt, wenn ich „holüber"
Ihm winken würde, sollt' er wieder kommen.
Denn völlig einsam weilte ich dort lieber.
Und als'gen Lorch das Abendroth entglommen,
Gab ich das Zeichen ihm mit meinem Tuche,
Und pünktlich kam das Schiffchen ange-
schwommen. —

Das eben ist ein Wort von Rains Fluche:
Reich ruft, Arm kommt I Unausgelöschte Zeilen,
Schmachvolle, aus dem großen Schuldenbuche!
Doch eh' wir mit der Selbstverdannnung eilen —
Gb nicht auch wir, die man die Freien schätzt,
Nur harrend des „Holüber" hier verweilen?
Stets liegt am andern Strande grade seht
Die Last, die wir zum Hafen führen müssen
Und oft zur Klippe noch zu guter Letzt.

Und ob wir uns von Noth getrieben wissen,
Db „nur" von Pflicht — es ist ein fremdes Gut,
Um das wir durch den Sturm die Segel hissen.
Doch bleibt uns eins: wenn einstens Kraft

und Muth,

Mit well' und wind zu ringen, uns entsinken —
Gehorsam kommt ein Kahn durch dunkle Fluth
Zu uns heran, wenn wir „Holüber" winken.

©. s.

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