Nr. 4
JUGEND
1897
0: Eck mann'.
sich die eigene Brust zerfleischt, um mit
seinem Blute die Jungen zu ernähren“.
Auch einem Zebra sagte der Mann eine
Menge unhaltbarer Dinge nach, und ein
drolliger Baribal musste sich in die Rolle
des schrecklichen Grizzlibären fügen.
Einem gut besetzten Affenkäfig verlieh
der phantasiereiche Erklärer dadurch be-
sonderes Interesse, dass er so ziemlich
jede dort vertretene Spezies mit einem
falschen Namen belegte. Ein grosser
Mantelpavian erhielt dabei Titel und Wür-
den eines Orang oder Waldmenschen,
auch Gorilla und Schimpanse genannt,
welcher, mit einer Keule bewaffnet, die
Wälder Afrika’s unsicher macht, Neger-
kinder raubt und den Negerdamen mit
unverschämten Zärtlichkeiten nachstellt,
wie etwa ein alter hässlicher Börsianer
den leichtfüssigen Priesterinnen der Tanz-
muse.
Das Schönste und Wunderbarste aber,
was der Zoologe im Schnürrock zu sagen
wusste, kam jetzt. Er zerrte aus einem
Kasten ein kleines, braunes Thier, das
sich ängstlich zu einem Muff zusammen-
rollte, und begann; indess die Corona in
athemlosem Staunen lauschte:
„Dies, meine Herrschaften, ist der Ich-
neumon, von dem Sie gewiss schon ge-
hört haben. In Aegypten, wo er lebt,
wird er heilig gehalten, denn er ist ein
fürchterlicher Feind des Krokodils, welches
dort in Massen vorkommt und eine schreck-
liche Landplage ist. Es weint wie ein
kleines Kind, zieht dadurch den Menschen
an und frisst ihn lebendig. Der Ichneu-
mon aber ist der Todfeind dieses Unge-
heuers, er schleicht sich in das Krokodil-
nest und trinkt die dort befindlichen Eier
aus, er klettert auf den Rücken des Kro-
kodils und frisst ihm die Augen aus dem
Kopfe, worauf es nicht mehr sieht und
elendiglich verhungern muss. Ja, noch
mehr: Wenn das Krokodil, auch Heymann
oder Alligator genannt, mit weit aufge-
rissenem Rachen vor seiner Höhle liegt,
springt ihm der Ichneumon mit einem
Satz in den Schlund, frisst sich durch
Kehle und Magen durch, bis an’s Herz,
zerreisst dasselbige und dann beisst er
ein Loch durch die Bauchwand und kommt
so wieder an’s Tageslicht. Mit drei Jahren
ist der Ichneumon, in Ermangelung dessen
Aegypten eine unbewohnbare Wüstenei
wäre, ausgewachsen und wird dann nicht
mehr viel grösser. Dieses Thier ist das
Merkwürdigste in der ganzen Menagerie,
und ich bitte jetzt um ein kleines Trink-
geld für das Personal!“
Der Mann klapperte mit einer Blech-
büchse und hielt sie der Reihe nach jedem
Besucher unter die Nase, wodurch er so
Manchen aus einer Art traumseliger Er-
starrung weckte. Mit offenen Mäulern und
Augen hatten die Leute dagestanden und
das Wunderthier angegafft. Ein dicker
Spiessbürger, der eine Angströhre aus der
Zeit Ramses des Grossen auf dem Kopfe
trug, brach endlich das Schweigen und
sagte tiefsinnig:
„Ja, ja! So ein kleines Thier und so
gescheidt!“ Und die Andern nickten dem
Redner beifällig zu.
Aber schliesslich zahlt der gebildete
Mensch doch nicht vergeblich jeden Monat
seine zehn Mark für Brehm’s Thierleben
ab, und desshalb ging nun auch mir an-
gesichts von so viel Unwissenschaftlich-
keit und Humbug die Galle über. Ich bat
um’s Wort und sagte zu den ehrenwerthen
Menageriebesuchern:
A „Meine Herrschaften! Lassen Sie sich
von dem Menschen da doch nichts weiss
machen. Erstens frisst der Ichneumon
keine Krokodileier, sondern er nährt sich
schlicht und redlich durch das Stehlen von
Hühner- und Enteneiern. Ferner springt
er dem Krokodil nicht in den Rachen und
nicht auf den Rücken, frisst weder dessen
Herz noch dessen Augen. Erlogen ist
ferner, dass das Krokodil wie ein Kind
weine, und erlogen ist, dass es eine Land-
plage in Aegypten sei, es ist dort viel-
mehr fast ebenso eine Rarität, wie bei
uns. Schliesslich — und das ist der Haupt-
schwindel! — ist das vorliegende Thier
gar kein Ichneumon, sondern ein gemei-
nes Murmelthier, wie Ihnen der ärmste
Savoyardenknabe bezeugen kann. Man hält
denn doch ein verehrliches, bildungsbe-
dürftiges Publikum nicht in dieser Weise
zum Narren!“
Ich war zu Ende, blickte aber vergeb-
lich nach einem zustimmenden Nicken im
Kreise umher, — nichts als drohende
Mienen! Kein Beifallsgemurmel! Der dicke
Herr, der vorher so tiefsinnig „Ja, ja!“
geseufzt, öffnete den Mund und brüllte
mich an:
„Was Narr? Wer Narr ? Wer ist bild-
ungsbedürftig, Sie junger Herr, Sie? Was
gehen Sie die Viecher an da herinnen?
Haben wir Sie um Ihre Meinung gefragt?
Waren Sie vielleicht schon in Aegypten?
Haben Sie schon einmal einen Ichmeinon
gesehen? Haben Sie die Weisheit mit
Löffeln gefressen ? Wollen Sie anständigen
Leuten ihr Geschäft verderben?“
Welche Fülle von Fragen ! Ich stotterte:
„Entschuldigen Sie: ich — meinte .,.
„Nichts wird entschuldigt! Meinen thut
er, nicht gewiss wissen! Wenn Sie nichts
gewiss wissen, behalten Sie Ihre Meinung
für sich! Jedes Kind weiss, dass der
Ichmeinon Krokodileier frisst und dass
das Krokodil weint wie ein kleines Kind
— haben denn Sie nie von Krokodils-
thränen gehört? So ein ungebildeter Mensch
und will anderen Leuten eine Rede halten ?
Machen Sie, dass Sie hinauskommen, Sie
Naturforscher!“
Höhnisches Lachen von allen Seiten,
das unverkennbar meiner Person galt, folgte
dieser Rede. Einige Parapluies wurden
geschwungen. Laut und nachdrücklichst
rieth man mir zu beschleunigtem Aufent-
halt in frischer Luft. Der Thierbändiger
schnappte in seinem Zorn noch immer
vergeblich nach Worten und fuchtelte vor
meinen Augen mit einem Instrumente aus
Rhinozerosleder, das mir aus verschiedenen
Colonialdebatten des deutschen Reichstags
,'^j
Chr. WM.
S 0
JUGEND
1897
0: Eck mann'.
sich die eigene Brust zerfleischt, um mit
seinem Blute die Jungen zu ernähren“.
Auch einem Zebra sagte der Mann eine
Menge unhaltbarer Dinge nach, und ein
drolliger Baribal musste sich in die Rolle
des schrecklichen Grizzlibären fügen.
Einem gut besetzten Affenkäfig verlieh
der phantasiereiche Erklärer dadurch be-
sonderes Interesse, dass er so ziemlich
jede dort vertretene Spezies mit einem
falschen Namen belegte. Ein grosser
Mantelpavian erhielt dabei Titel und Wür-
den eines Orang oder Waldmenschen,
auch Gorilla und Schimpanse genannt,
welcher, mit einer Keule bewaffnet, die
Wälder Afrika’s unsicher macht, Neger-
kinder raubt und den Negerdamen mit
unverschämten Zärtlichkeiten nachstellt,
wie etwa ein alter hässlicher Börsianer
den leichtfüssigen Priesterinnen der Tanz-
muse.
Das Schönste und Wunderbarste aber,
was der Zoologe im Schnürrock zu sagen
wusste, kam jetzt. Er zerrte aus einem
Kasten ein kleines, braunes Thier, das
sich ängstlich zu einem Muff zusammen-
rollte, und begann; indess die Corona in
athemlosem Staunen lauschte:
„Dies, meine Herrschaften, ist der Ich-
neumon, von dem Sie gewiss schon ge-
hört haben. In Aegypten, wo er lebt,
wird er heilig gehalten, denn er ist ein
fürchterlicher Feind des Krokodils, welches
dort in Massen vorkommt und eine schreck-
liche Landplage ist. Es weint wie ein
kleines Kind, zieht dadurch den Menschen
an und frisst ihn lebendig. Der Ichneu-
mon aber ist der Todfeind dieses Unge-
heuers, er schleicht sich in das Krokodil-
nest und trinkt die dort befindlichen Eier
aus, er klettert auf den Rücken des Kro-
kodils und frisst ihm die Augen aus dem
Kopfe, worauf es nicht mehr sieht und
elendiglich verhungern muss. Ja, noch
mehr: Wenn das Krokodil, auch Heymann
oder Alligator genannt, mit weit aufge-
rissenem Rachen vor seiner Höhle liegt,
springt ihm der Ichneumon mit einem
Satz in den Schlund, frisst sich durch
Kehle und Magen durch, bis an’s Herz,
zerreisst dasselbige und dann beisst er
ein Loch durch die Bauchwand und kommt
so wieder an’s Tageslicht. Mit drei Jahren
ist der Ichneumon, in Ermangelung dessen
Aegypten eine unbewohnbare Wüstenei
wäre, ausgewachsen und wird dann nicht
mehr viel grösser. Dieses Thier ist das
Merkwürdigste in der ganzen Menagerie,
und ich bitte jetzt um ein kleines Trink-
geld für das Personal!“
Der Mann klapperte mit einer Blech-
büchse und hielt sie der Reihe nach jedem
Besucher unter die Nase, wodurch er so
Manchen aus einer Art traumseliger Er-
starrung weckte. Mit offenen Mäulern und
Augen hatten die Leute dagestanden und
das Wunderthier angegafft. Ein dicker
Spiessbürger, der eine Angströhre aus der
Zeit Ramses des Grossen auf dem Kopfe
trug, brach endlich das Schweigen und
sagte tiefsinnig:
„Ja, ja! So ein kleines Thier und so
gescheidt!“ Und die Andern nickten dem
Redner beifällig zu.
Aber schliesslich zahlt der gebildete
Mensch doch nicht vergeblich jeden Monat
seine zehn Mark für Brehm’s Thierleben
ab, und desshalb ging nun auch mir an-
gesichts von so viel Unwissenschaftlich-
keit und Humbug die Galle über. Ich bat
um’s Wort und sagte zu den ehrenwerthen
Menageriebesuchern:
A „Meine Herrschaften! Lassen Sie sich
von dem Menschen da doch nichts weiss
machen. Erstens frisst der Ichneumon
keine Krokodileier, sondern er nährt sich
schlicht und redlich durch das Stehlen von
Hühner- und Enteneiern. Ferner springt
er dem Krokodil nicht in den Rachen und
nicht auf den Rücken, frisst weder dessen
Herz noch dessen Augen. Erlogen ist
ferner, dass das Krokodil wie ein Kind
weine, und erlogen ist, dass es eine Land-
plage in Aegypten sei, es ist dort viel-
mehr fast ebenso eine Rarität, wie bei
uns. Schliesslich — und das ist der Haupt-
schwindel! — ist das vorliegende Thier
gar kein Ichneumon, sondern ein gemei-
nes Murmelthier, wie Ihnen der ärmste
Savoyardenknabe bezeugen kann. Man hält
denn doch ein verehrliches, bildungsbe-
dürftiges Publikum nicht in dieser Weise
zum Narren!“
Ich war zu Ende, blickte aber vergeb-
lich nach einem zustimmenden Nicken im
Kreise umher, — nichts als drohende
Mienen! Kein Beifallsgemurmel! Der dicke
Herr, der vorher so tiefsinnig „Ja, ja!“
geseufzt, öffnete den Mund und brüllte
mich an:
„Was Narr? Wer Narr ? Wer ist bild-
ungsbedürftig, Sie junger Herr, Sie? Was
gehen Sie die Viecher an da herinnen?
Haben wir Sie um Ihre Meinung gefragt?
Waren Sie vielleicht schon in Aegypten?
Haben Sie schon einmal einen Ichmeinon
gesehen? Haben Sie die Weisheit mit
Löffeln gefressen ? Wollen Sie anständigen
Leuten ihr Geschäft verderben?“
Welche Fülle von Fragen ! Ich stotterte:
„Entschuldigen Sie: ich — meinte .,.
„Nichts wird entschuldigt! Meinen thut
er, nicht gewiss wissen! Wenn Sie nichts
gewiss wissen, behalten Sie Ihre Meinung
für sich! Jedes Kind weiss, dass der
Ichmeinon Krokodileier frisst und dass
das Krokodil weint wie ein kleines Kind
— haben denn Sie nie von Krokodils-
thränen gehört? So ein ungebildeter Mensch
und will anderen Leuten eine Rede halten ?
Machen Sie, dass Sie hinauskommen, Sie
Naturforscher!“
Höhnisches Lachen von allen Seiten,
das unverkennbar meiner Person galt, folgte
dieser Rede. Einige Parapluies wurden
geschwungen. Laut und nachdrücklichst
rieth man mir zu beschleunigtem Aufent-
halt in frischer Luft. Der Thierbändiger
schnappte in seinem Zorn noch immer
vergeblich nach Worten und fuchtelte vor
meinen Augen mit einem Instrumente aus
Rhinozerosleder, das mir aus verschiedenen
Colonialdebatten des deutschen Reichstags
,'^j
Chr. WM.
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