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Nr. 4

1897

° JUGEND °

als unvortheilhaft bekannt war. Der Lärm
hatte auch die offenherzige Dame von der
Kasse herbeigelockt. Den Affenpinscher
der ihr aus dem Busen gefallen war,
schwangsie wie einen bedrohlichen Gegen-
stand in der Rechten und schrie dazu in
merkwürdiger Begriffsverwirrung nach der
Polizei. Es ward immer lauter. Ein be-
nachbarter junger Tiger fing an zu knurren,
der Eisbär fiel ein, der Löwe brüllte, die Pa-
pageien kreischten, derElephant trompetete,
die Affen fuhren wie irrsinnig in ihrem
Käfig umher, Alles richtete funkelnde
Augen auf mich, und das einzige Wesen,
das mich mit einigem Verständniss ansah,
hatte keine Arme, mir zu helfen: Das übel
verleumdete Murmelthier.

Unter einem wahren Höllenspektakel
trat ich den Rückzug an und die drohende
Menge rückte mir nach bis zum Ausgang.
Beschämt und gedemüthigt gewann ich
das Freie, und der Mann mit dem fabel-
haften Hut rief mir noch nach:

„Ein anderes Mal behalten Sie Ihre
Weisheit für sich, bis man Sie fragt — Sie
Gelbschnabel! — Sie Esel!“

Draussen stand ein Gendarm, notirte
grollend meinen Namen und erwiderte auf
meinen Protest nur:

„Wer hinausgeworfen wird, hat immer
Unrecht!“

Dann stand ich allein. Ich hatte mein
Publikum offenbar überschätzt und ver-
gessen, dass ihm eine stupide, ein wenig
gruselige Kinderfabel immer plausibler und
angenehmer ist, als eine nüchterne, selbst-
verständliche Wahrheit. Einmal und nicht
wieder! Ich rede, der Mahnung meines
Widersachers aus der Thierbude getreu1
nie mehr ungefragt zum Volke. Und ob
man nun ihm und mir in der Menagerie
des Lebens ein Murmelthier für einen
Ichneumon ausgibt, eine Meerkatze für
einen Gorilla, schielende Katzenbuckelei
für Loyalität, rothen Meersburger für
Chateau Larose, stiermässige Neinsagerei
für gesinnungstüchtige Opposition, den Pro-
fessor Knaackfuss für einen zweiten Dürer
.den Confektionsmillionär Singer für einen

Volksfreund, den Herrn Felix Faure für
einen Diplomaten, Frömmelei für Religio-
sität oder sonst irgend etwas für sonst irgend
etwas ganz Anderes — ich schweige.
Ich schweige selbst, wenn sie behaupten,
unser liebes Centrum sei eine Stütze des
Kaiserthrones, Abdul Hamid die personi-
fizirteThatkraft und Ehrlichkeit, das Zaren-
reich sei ein Kulturstaat, der bulgarische
Ferdinand ein Genie, die Berliner politische
Polizei ein moralisches Institut, die höhere
Tochter von heute das Urbild himmlischen
Frauenthums, unsere deutsche Bureau-
kratie das Ideal weitsichtiger, grossherziger
Menschlichkeit, und die englische Kolonial-
politik das edelste und selbstloseste Ding,
das man sich vorstellen kann. Ich schweige,
wenn die Einen erklären, unsere Höfe mit
ihrem Schranzen- und Streberthum seien
der einzige Hort reiner Sitten, ich schweige
auch, wenn Andere die behaglich bro-
delnde Masse unseres besitzenden Bürger-
thums für das gleiche Wunderding halten,
und wenn wieder Andere den Satz auf-
stellen, die wahre Tugend lebe nur im
Schatten der Ballonmütze und unter der
Aegide der blutrothen Cravatten. Was geht
es mich an — mögen sie’s selber ausfressen!

Ich fühle keinen Beruf mehr, die zu
Wissenden zu machen, die dumm bleiben
wollen. Und seitdem nennt man mich
nett und erträglich, stellenweise sogar ge-
scheidt. Mag man den Leuten einen Häring
für einen Ichthyosaurus aufschwatzen —
wenn nur ich selber auf das Quiproquo
nicht hineinfalle!

Der Ruf des Mannes aus der Menagerie
hat mich’s gelehrt:

„Der klügste Mann ist immer der,
welcher seine Weisheit für sich allein
behält.“ bob.

Vademecum sürKrimmMger

Lrster Thcil.

Mensch und Jurist

„Hier bin ich ganz Jurist,

Es blieb der „Mensch" zu Haus!" —
So leicht, wie einen Nock,

Ziehst Du den Menschen aus?



„Fünfundzwanzig!"

Aus dem Albuin eines Stockprügelphilosophen.
Fünfundzwanzigtausend Denker

thäten sich den Ropf zerbrechen,
wie des Urquells alles Hebels,

wie des Bösen Macht zu brechen?

Einer faselt von Erziehung
dieser Menschheit durch — „Aesthetik"!
Wahnbild! — Dicht am

Haselbüsche wächst die einzig prakt'sche

Ethik!

Geht mir weg, ihr Philosophen,

brillentragend blinde Narren:
Ucberseht das kleine Stöckchen

über Eurem großen Sparren!

Fünfundzwanzigtausend Denker,

euer Lampenöl war ranzig:
Das Rolumbusei es steht nur
Aufs 'Kommando:

„F ü ii fu n d z w a n z ig I"

wär' ich Herrgott, einen Wald von
Besen bänd' zum Ruthenkranz ich,
Ließe stündlich niedersausen

auf den Globus „Fünfundzwanzig!"

Holde Zukunft, ha, schon schaue

Deinen hehren Morgenglan;' ich:
Statt der Sonne leuchtest Du uns,

heil'ge Zahl Du, —
»Fünf-
undzwanzig!"

R. o,

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