1897
JUGEND
Nr. 4
Die Bacchantin
Novellette von Leo Hildeck.
„Sieh . . . grüss Gott, Hans! Na, da
kann ich ja wohl gleich . . . oder dark man
noch nicht?"
„Was denn?“ tönt es gereizt und grol-
lend zurück.
„Na . . . gratuliren, mein’ ich! Hu . . .
friss mich nur nicht gleich ungebraten!
Allerdings siehst Du nicht entfernt aus
wie ein glücklicher Bräutigam . . . Herr-
gott ja, ich bin ja schon still .... Huitt
. . . Louis!“
Der Kellner hat den Stammgast schon
bemerkt und kommt, das vernickelte Ser-
virbrett mit dem Kaffee scheinbar lässig
auf der Rechten schaukelnd, in der Linken
den „Reichsanzeiger“, würdevoll lächelnd
heran.
Eine Zeit lang sitzen die beiden Freunde,
jeder hinter seiner Zeitung verborgen, an
dem runden Marmortischchen einander
stumm gegenüber, von dem gewohnten
Geschwätz und Geklapper des Cafes um-
tönt. Dann erschallt hinter der „National-
zeitung“ ein kurzes verlegenes Räuspern.
„Du Rosa! . . .“ brummt Hans.
„Hm . . .?“
„Sag mal . . . ahem . . . wie kommst
Du ’n eigentlich auf den Blödsinn?“
„Welchen Blödsinn?“
„Den mit der Verl . . . mit der Gratu-
lation . ..“
„I zum Kuckuck, die ganze Stadt spricht
ja davon! Lutz hat mir z. B. gesagt. . .
nee, weisst Du, wenn Du wieder so guckst
. . . fällt mir gar nicht ein, mir die Zunge
zu verbrennen. Servus!“
Er hat das Geld für den Kellner auf
die Marmorplatte gelegt, steht auf und
knöpft den Heberrock zu.
„Du... ich komm’ ein bischen mit,“
sagt Hans, sich ebenfalls erhebend, mit
sichtlicher Unruhe. „Hast Du ’n Augen-
blick Zeit? Ich habe so ’n Anflug von
Katerkopfweh ... wir schlendern 'mal über
die Wälle . . . hm?“
„Hm.“
Die graue stille Nebelluft des Winter-
nachmittags dringt ihnen entgegen. Nur
hin und wieder ein gleichgiltiges Wort
wechselnd, gehen sie die belebte Strasse
entlang und biegen über eine schmale
Brücke, die ein Stück Stadtgraben über-
wölbt, nach dem Wall ein, den sie lang-
sam ersteigen.
„So’n Katerwetter!“ sagt Assessor Ernst
Braun, genannt Rosa, seit er einmal zu-
fällig von einem Jugendfreund Namens
Karl erzählt hat, vor sich hin.
„Hm .. . Du . . . also Lutz hat... Muss
mich auch der Teufel reiten, ihm gestern
Nachmittag zu begegnen und in meiner
verrückten Seligkeit. . . Gott, es ist zum
Wahnsinnigwerden . . . Rosa, Du leidest
doch zuweilen an guten Einfällen . . . sag’
mal, könntest Du ihm die Geschichte nicht
wieder ausreden?“
„Ja . . . wie denn ?“
„Na . .. meinetwegen sag’ ihm, ich . ..
ich hätt’ einen Korb gekriegt.. . schmück’
ihn nur schön aus, sei dekorativ,Mensch!“
„Hör’ mal, Hans, das glaubt mir keine
Seele. Wir Alle wissen, wie sie in Dich
verschossen war. Da müsst’ ich sie schon
als eine Kokette ersten Ranges hinstellen,
und das verdient sie doch nicht.. oder ..?“
„Schlauberger! Du versteht es ... Ja,
gut, ich will Dir beichten; bist ja der all-
gemeine Beichtvater, und hast noch nie
geklatscht. . . Kokett... nein, den Vor-
wurf verdient sie nicht, wenigstens nicht
von mir aus. Mit mir hat sie wahrlich
nicht gespielt. Die mag heute .. . Nein,
nur nicht daran denken ... es ist um das
letzte Bestehen Verstand zu verlieren.
Aber schlag’ mich todt: für mich ist sie
nicht mehr vorhanden, nicht rühran!“
Rosa pfeift leise lächelnd vor sich hin.
„Glaubst mir’s nicht. . . sieh, das nehm
ich Dir weiss Gott nicht übel. So ein
Mädel, mit den Prachtaugen, und Geist,
und Temperament.. . und dazu die Gro-
schens . . . Ich ahne jetzt schon, wie ich’s
bereuen werde. Pass auf, in ein paar
Wochen ist sie mit irgend einem Laffen
aus ihrem Gefolge verlobt, und wir alle
Beide zerreissen uns heimlich vor Wuth
und Jammer.“
„Ich würde sie nehmen,“ wirft Rosa
mit einem beobachtenden Seitenblick hin.
„Thu’s, aber dann sofort, gleich heute!
Nächste Woche hab’ ich vielleicht den
Eindruck schon verwunden, und . . .“ Er
schüttelt sich plötzlich. „Nein, ich über-
wind’ es nicht, und sie ebensowenig.
Also hör’. Du weisst ja, wie es stand.
Ich habe Dir’s nicht zugeben wollen . . .
aber ich war halb verrückt vor Verliebt-
heit. Diese Augen . . . das ist ja doch
zum Radschlagen! Na . . . kennst sie ja.
Erst dacht’ ich : nee, das ist nicht für dich
gewachsen, mein Junge .. . So ’n einfacher
Baumeister.!.. und sie... reich, verwöhnt,
umworben, mit dieser fremdartigen Schön-
heit, dem feinen Halblächeln, als mache sie
sich heimlich über Deine feinsten Geist-
reichigkeiten lustig . . . Schwamm drüber!
Schliesslich merk’ ich was. Gerade als
ich anfange, mich wegen drohender Feuers-
gefahr zurückzuziehen, wird sie unruhig,
ernsthaft, . . . wärmt sich jedesmal die
Hand, eh’ sie sie mir zum Abschied reicht,
zieht jede Conversation gewaltsam in die
Länge . . . Junge, sag’ ich zu mir, Donner-
wetter, bild’ Dir nichts ein! Der Alte war
zuerst ’n bischen . . . na, sagen wir: zurück-
haltend. Aber sie hat ja das ganze Haus
in der Tasche; ich spüre ordentlich, wie
die Gesellschaft so nach und nach wärmer
wird, immer wärmer, schliesslich richtige
Schmelzatmosphäre... Und sie selbst...
jedesmal ein tieferes Roth auf den Wachs-
bäckchen, unruhige Stimme, und die ver-
rätherischen Hände . . . Die verheirathete
Schwester,... ach, Du kennst ja die Cilly...
zieht mich ebenfalls in ihr Haus... kurz,
die Sache fängt an, reif zu werden. Manch-
mal glaubt’ ich’s selber nicht, stand halbe
Stunden vor dem Spiegel und hielt dem
langen Kerl, der mich da so aufgeregt an-
starrte, Vernunftpredigten. Haifabernix...
Herrgott... das waren Tage ... Tage ...
Donnerstag also sprech’ ich bei der
Cilly vor, der ich Vischer’s „Auch Einer“
versprochen hatte, und weissage recht nett
darüber. Auf einmal unterbricht sie mich
mit ihrem appetitlichsten Grübchenlächeln
und fragt: „Essen Sie eigentlich gern Ural-
caviar?“ Erstaunt such’ ich die Ideen-
association ... da sagt sie, immer mit dem-
selben Schalkslächeln: „Mein Mann hat
nämlich von einem russischen Freunde
ein Fässchen geschickt bekommen; wollen
Sie vertilgen helfen? Nur einige Ehe-
paare . .. und meine Schwester Xandi . . .
Sie können in Smoking kommen, ganz
gemüthlich . . .“
Aha! denk’ ich und krieg’ ein tolles
Herzklopfen und sehe aus einem ver-
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Die Bacchantin
Novellette von Leo Hildeck.
„Sieh . . . grüss Gott, Hans! Na, da
kann ich ja wohl gleich . . . oder dark man
noch nicht?"
„Was denn?“ tönt es gereizt und grol-
lend zurück.
„Na . . . gratuliren, mein’ ich! Hu . . .
friss mich nur nicht gleich ungebraten!
Allerdings siehst Du nicht entfernt aus
wie ein glücklicher Bräutigam . . . Herr-
gott ja, ich bin ja schon still .... Huitt
. . . Louis!“
Der Kellner hat den Stammgast schon
bemerkt und kommt, das vernickelte Ser-
virbrett mit dem Kaffee scheinbar lässig
auf der Rechten schaukelnd, in der Linken
den „Reichsanzeiger“, würdevoll lächelnd
heran.
Eine Zeit lang sitzen die beiden Freunde,
jeder hinter seiner Zeitung verborgen, an
dem runden Marmortischchen einander
stumm gegenüber, von dem gewohnten
Geschwätz und Geklapper des Cafes um-
tönt. Dann erschallt hinter der „National-
zeitung“ ein kurzes verlegenes Räuspern.
„Du Rosa! . . .“ brummt Hans.
„Hm . . .?“
„Sag mal . . . ahem . . . wie kommst
Du ’n eigentlich auf den Blödsinn?“
„Welchen Blödsinn?“
„Den mit der Verl . . . mit der Gratu-
lation . ..“
„I zum Kuckuck, die ganze Stadt spricht
ja davon! Lutz hat mir z. B. gesagt. . .
nee, weisst Du, wenn Du wieder so guckst
. . . fällt mir gar nicht ein, mir die Zunge
zu verbrennen. Servus!“
Er hat das Geld für den Kellner auf
die Marmorplatte gelegt, steht auf und
knöpft den Heberrock zu.
„Du... ich komm’ ein bischen mit,“
sagt Hans, sich ebenfalls erhebend, mit
sichtlicher Unruhe. „Hast Du ’n Augen-
blick Zeit? Ich habe so ’n Anflug von
Katerkopfweh ... wir schlendern 'mal über
die Wälle . . . hm?“
„Hm.“
Die graue stille Nebelluft des Winter-
nachmittags dringt ihnen entgegen. Nur
hin und wieder ein gleichgiltiges Wort
wechselnd, gehen sie die belebte Strasse
entlang und biegen über eine schmale
Brücke, die ein Stück Stadtgraben über-
wölbt, nach dem Wall ein, den sie lang-
sam ersteigen.
„So’n Katerwetter!“ sagt Assessor Ernst
Braun, genannt Rosa, seit er einmal zu-
fällig von einem Jugendfreund Namens
Karl erzählt hat, vor sich hin.
„Hm .. . Du . . . also Lutz hat... Muss
mich auch der Teufel reiten, ihm gestern
Nachmittag zu begegnen und in meiner
verrückten Seligkeit. . . Gott, es ist zum
Wahnsinnigwerden . . . Rosa, Du leidest
doch zuweilen an guten Einfällen . . . sag’
mal, könntest Du ihm die Geschichte nicht
wieder ausreden?“
„Ja . . . wie denn ?“
„Na . .. meinetwegen sag’ ihm, ich . ..
ich hätt’ einen Korb gekriegt.. . schmück’
ihn nur schön aus, sei dekorativ,Mensch!“
„Hör’ mal, Hans, das glaubt mir keine
Seele. Wir Alle wissen, wie sie in Dich
verschossen war. Da müsst’ ich sie schon
als eine Kokette ersten Ranges hinstellen,
und das verdient sie doch nicht.. oder ..?“
„Schlauberger! Du versteht es ... Ja,
gut, ich will Dir beichten; bist ja der all-
gemeine Beichtvater, und hast noch nie
geklatscht. . . Kokett... nein, den Vor-
wurf verdient sie nicht, wenigstens nicht
von mir aus. Mit mir hat sie wahrlich
nicht gespielt. Die mag heute .. . Nein,
nur nicht daran denken ... es ist um das
letzte Bestehen Verstand zu verlieren.
Aber schlag’ mich todt: für mich ist sie
nicht mehr vorhanden, nicht rühran!“
Rosa pfeift leise lächelnd vor sich hin.
„Glaubst mir’s nicht. . . sieh, das nehm
ich Dir weiss Gott nicht übel. So ein
Mädel, mit den Prachtaugen, und Geist,
und Temperament.. . und dazu die Gro-
schens . . . Ich ahne jetzt schon, wie ich’s
bereuen werde. Pass auf, in ein paar
Wochen ist sie mit irgend einem Laffen
aus ihrem Gefolge verlobt, und wir alle
Beide zerreissen uns heimlich vor Wuth
und Jammer.“
„Ich würde sie nehmen,“ wirft Rosa
mit einem beobachtenden Seitenblick hin.
„Thu’s, aber dann sofort, gleich heute!
Nächste Woche hab’ ich vielleicht den
Eindruck schon verwunden, und . . .“ Er
schüttelt sich plötzlich. „Nein, ich über-
wind’ es nicht, und sie ebensowenig.
Also hör’. Du weisst ja, wie es stand.
Ich habe Dir’s nicht zugeben wollen . . .
aber ich war halb verrückt vor Verliebt-
heit. Diese Augen . . . das ist ja doch
zum Radschlagen! Na . . . kennst sie ja.
Erst dacht’ ich : nee, das ist nicht für dich
gewachsen, mein Junge .. . So ’n einfacher
Baumeister.!.. und sie... reich, verwöhnt,
umworben, mit dieser fremdartigen Schön-
heit, dem feinen Halblächeln, als mache sie
sich heimlich über Deine feinsten Geist-
reichigkeiten lustig . . . Schwamm drüber!
Schliesslich merk’ ich was. Gerade als
ich anfange, mich wegen drohender Feuers-
gefahr zurückzuziehen, wird sie unruhig,
ernsthaft, . . . wärmt sich jedesmal die
Hand, eh’ sie sie mir zum Abschied reicht,
zieht jede Conversation gewaltsam in die
Länge . . . Junge, sag’ ich zu mir, Donner-
wetter, bild’ Dir nichts ein! Der Alte war
zuerst ’n bischen . . . na, sagen wir: zurück-
haltend. Aber sie hat ja das ganze Haus
in der Tasche; ich spüre ordentlich, wie
die Gesellschaft so nach und nach wärmer
wird, immer wärmer, schliesslich richtige
Schmelzatmosphäre... Und sie selbst...
jedesmal ein tieferes Roth auf den Wachs-
bäckchen, unruhige Stimme, und die ver-
rätherischen Hände . . . Die verheirathete
Schwester,... ach, Du kennst ja die Cilly...
zieht mich ebenfalls in ihr Haus... kurz,
die Sache fängt an, reif zu werden. Manch-
mal glaubt’ ich’s selber nicht, stand halbe
Stunden vor dem Spiegel und hielt dem
langen Kerl, der mich da so aufgeregt an-
starrte, Vernunftpredigten. Haifabernix...
Herrgott... das waren Tage ... Tage ...
Donnerstag also sprech’ ich bei der
Cilly vor, der ich Vischer’s „Auch Einer“
versprochen hatte, und weissage recht nett
darüber. Auf einmal unterbricht sie mich
mit ihrem appetitlichsten Grübchenlächeln
und fragt: „Essen Sie eigentlich gern Ural-
caviar?“ Erstaunt such’ ich die Ideen-
association ... da sagt sie, immer mit dem-
selben Schalkslächeln: „Mein Mann hat
nämlich von einem russischen Freunde
ein Fässchen geschickt bekommen; wollen
Sie vertilgen helfen? Nur einige Ehe-
paare . .. und meine Schwester Xandi . . .
Sie können in Smoking kommen, ganz
gemüthlich . . .“
Aha! denk’ ich und krieg’ ein tolles
Herzklopfen und sehe aus einem ver-
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