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Nr. 4

• JUGEND

1LS7

In vorgerückter Stunde

H. M. Kley (Karlsruhe).

wünschten Trumeau mir gegenüber meine
eigene Karikatur in Kalkfarben gemalt
mit verzerrter Höflichkeit herausgrinsen.
Ordentlich mitleidig wurde ihr Lächeln,
als ich dankend zusagte; gestottert hab’
ich wie ein Missethäter. Und dann kam
ein Tag . . . und eine Nacht. . . Dann . . .
gestern Morgen wach’ ich aus kurzem
Schlaf ganz verwandelt auf; die verzehrende
Unruhe wie weggeblasen, nur noch die
reine Glückseligkeit. So blieb es auch
Nachmittags. Ich fühlte gar nicht mehr,
dass ich ging . . . mir war, als trüge mich
etwas durch ein leichtes, warmes, helles
Wolkenreich, wo mir die Dinge nur als
reizende Schatten begegneten. Na, der
Lutz war nun gerade kein reizender Schat-
ten, als er mir auf dem Hohenwege mit
einer seiner schnodderigen Redensarten
entgegenkommt: „Herrieh ... Sie sehen
ja aus, wie eine aus Elysium entsprungene
höhere Tochter!“ Und ich muss nicht
ganz zurechnungsfähig gewesen sein, wie
ich ihm antwortete: „Nun sollen Sie mich
aber erst sehen, wenn der heutige Abend
vorbei ist. . .“ Ich Esel!

Um sechs Uhr fing ich schon an
Toilette zu machen - von sechs bis halb
neun Uhr dauerte der Spass . .. Und wie
ich schon drunten am Hausthor bin, merk’
ich, dass ich meine Halsbinde vergessen
habe . . . Verrückt, was?

Endlich komm’ ich hin... da ist das
Zimmer schon voll, und die Cilly kommt
mir entgegen und schilt über meine Ver-
spätung. Und Xandi sitzt in einem grossen
Schaukelstuhl und hat so ein gewisses
ängstliches Lächeln in den grossen schim
mernden Augen, so dass ich ganz gerührt
bin und mir heimlich schwöre, ihr lebens-
lang die Hände unter die Füsse zu legen.

Wirklich waren wir zwei die einzigen
Unverheiratheten, die übrigen lauter Ehe-
paare aus der engeren und weiteren Ver-
wandtschaft des Hauses. Und so führ’
ich denn Xandi zu Tische, und wir sprechen
.... Gott weiss wovon ; richtig, ich glaube,
vom Buddhismus. Aber der Caviar, ob-
wohl prima, ganz mild und grobkörnig,
machte Durst, und ich meinte, wir hätten
es beide nöthig, uns Muth zuzutrinken,
und schenke fleissig ein. Richtig bring’
ich’s zu einer ganz molligen Sentimen-
talität und fange an, von meinen ver-
storbenen Eltern zu reden und von unserm
alten Haus in Danzig mit dem Beischlag
davor . . . Sie trank auch fleissig, und
wir reden uns beide in eine butterweiche
Herzlichkeit hinein. „Ich hätte Ihre
Mutter kennen mögen,“ sagt sie leise mit
leuchtenden Augen und einer Sammtröthe
auf den reizenden Bäckchen .... „Wie
Frau Cilly die Tafel aufhebt, will ich
mich — nachdem ich Xandi wieder in

ihrem Schaukelstuhl untergebracht habe

— auf ein Viertelstündchen ins Rauch-
zimmer zurückziehen, um mich zur Haup'-
attaque zu sammeln, aber sie Hess nicht
los, ging schliesslich mit ins Rauchzimmei
und steckte sich eine Cigarette an. Hast
Du sie mal rauchen sehen? Eine Grazie
. . . man könnte toll werden! Aber nach
dem Gespräch von vorhin war’s mir doch
nicht recht, es passte mir nicht in den
Stil . . . Die Herren neckten sie, und sie
antwortete mit einer gewissen aufgeregten
Keckheit, die ich noch nicht kannte.

Und dann rief Frau Cilly zur Bowle,
und wir fanden uns wieder im Speise-
zimmer zusammen.

Du verkehrst ja wohl auch bei CilL

— da hast Du vielleicht das kleine Raun
chen links neben dem Speisezimmer be
merkt. — Ich glaube, es wird sonst be'
Gesellschaften nicht mitbenutzt, abei
gestern Abend stand es offen, und die
Hausfrau führte mich hinein, um . .
mir ihren Blumentisch zu zeigen. . . .
Na, das Herzklopfen ging von Frischem
los, als ich da auf meinem künftigen

Schlachtfelde Umschau, hielt.Da

brannte nur eine rothe Ampel, ganz magisch,
weisst Du, und auf dem Blumentisch
plätscherte so ’ne discrete kleine Fontaine,
und dahinter entdeckte ich eine tiefe
Fensternische mit Polsterbänkchen, wo

zwei Stufen hinaufführten. . . . Tadellos,
sag’ ich Dir! Wer da erst mal drinsitzt,
muss sich verloben, er mag wollen oder
nicht. Gott weiss, wieviel Opfer dort
schon geblutet haben — und noch bluten
werden!

Also ich bewundere pflichtschuldigst
den Blumentisch, und wir plaudern noch
ein Augenblickchen. Wie wir wieder her-
ein kommen, sitzt die Gesellschaft schon
bei der Bowle. Ein Kolossaldings, sag’
ich Dir, eine verkleinerte Nachbildung
des Heidelberger Fasses in getriebenem
Silber, sehr schön, und der Inhalt duftete
einem schon entgegen — nicht zu ver-
achten! Der kleine Ostbauer mit dem
Renommirschmiss, weisst Du, hielt gerade
einen seiner Dialektvorträge, wohl um
Stimmung zu machen, denn einstweilen
war die Sache noch ziemlich mau. „Wo
stecken Siedenn?“fragtXandi heuchlerisch,
aber roth bis in die Schläfen und reicht
ihrem Schwager das Glas zum Füllen über
den Tisch. „Nebenan“, sag’ ich. „Da ist
esija reizend. Wissen Sie, Fräulein Xandi,
wenn es uns hier zu laut wird...“ „Oder
zu langweilig,“ fällt sie ein und nimmt
mit so heftig zitternder Hand ihr Glas
in Empfang, dass es zu beiden Seiten
überfliesst. „Wir sind heute alle so schreck-
lich langweilig, finden Sie nicht?“ . . . .
„Soll ich ein Compliment machen?“ ...

„Hilfe ...nein! Aber trinken, trinken!“
Und sie stürzt das Glas hinunter und weist
es mir. „Mein drittes Glas ... die Bowle
ist ausgezeichnet. Bitte, Guido!“ Und
sie reicht es abermals über den Tisch.
„Da nehmen Sie sich ein Muster, Herr
Baumeister,“ ruft der Schwager schmun
zelnd. „Fräulein Xandi,“ sag’ ich halb-
laut, „Sie haben bereits bei Tische den
feurigen Rheinwein . . .“ „Never mind,
ich will munter sein heute Abend. Hier
— auf die Erfüllung Ihres höchsten
Wunsches!“

Unsere Gläser klangen.

„Wenn ich ein bischen fleissig trinke,
werd’ ich. immer so riesig nett, sagen sie
zu Hause.“

„S0...0? Warum wollen Sie denn heut
Abend so riesig nett sein, Xandi?“ frag
ich keck und blick’ ihr tief in die Augen.

Sie trinkt schnell, dann lehnt sie sich
ganz zurück, den Kopf auf die Stuhllehne,
und blickt mich mit schwimmenden Augen
an. —

„Aus Unsinn!“ sagt sie wie abwesend.
Und dann fängt sie plötzlich überlaut an,
zu lachen. „Ach Gott... ich wusste eben
gar nicht mehr, was Sie gefragt hatten.
Jetzt weiss ich’s wieder. Sie sind ein ko-
ketter Herr ... und kokette Herren sind
eigentlich viel ... wie sag’ ich gleich ...
viel... viel... koketter, als kokette Damen."

L Und sie lacht noch heftige"-

J„Aber weil Sie... Sie sind, will ich’s
Ihnen verzeihen.absolvo te, Gon-

frater!“ macht sie mit tiefer salbungsvoller
Stimme und schlägt das Kreuz über mich.

Ich hatte sie nie so gesehen. Ich fühlte
das grösste Mitleid mit ihr, so wahnsinnig
aufgeregt war sie.

Sie trocknete sich die Lachthränen und
wies mir das Tuch.

I, „Thränen um Ihretwillen ... sind Sie
nicht stolz? Und es sind nicht einmal die
ersten .. .“

^Hastig greif ich unter dem Tischtuch
nach ihrer Hand und blicke erschreckt
von Einem zum Andern. Schien Keiner
was gehört zu haben. Ueberhaupt... sie
thaten, als wären wir Luft oder hätten
Tarnkappen auf. Sie sprachen krampfhaft
vom Gewicht der Jockeys und dergleichen
Calico.

Ich drücke also Xandi’s Hand und
flüstere: „Hier nicht... lassen Sie uns in’s
Nebenzimmer gehen...“

^„'„Lasse mich ... lasse mich ...“ trällert
sie nach der Gounod’schen Melodie ....
„Guido, noch ein Glas zur Stärkung auf
den Todesweg!“ deklamirt sie mit komisch
sein sollendem Pathos.

„Trinken Sie nicht mehr, Xandi!“ bitte
ich leise, „Sie werden ja immer aufgeregter.“

da

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