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Nr. 4

1897

JUGEND *

Und in der That... sie zitterte so heftig
dass ihr Schwager ihr das frischgefüllte
Glas sofort wieder aus der Hand nahm
und über den Tisch hinüber zuschob
Schnell ergriff ich’s und leerte es an ihrer
Stelle.

„Räuber!“, rief sie und griff nach
meinem Glase, das leider noch voll vor
mir stand. Ein Theil des Inhalts ergoss
sich auf’s Tischtuch, den Rest führte sie,
eh’ ich’s verhindern konnte, zum Munde.
Ein paar grosse blassröthliche Flecken ver-
breiteten sich auf dem Leibchen ihres
weissen Kleides. Sie greift danach.

„Da ... bekleckert!“ lacht sie. „Schad’t
nix. „Rinaldini, lieber Räuber... raubst
den Weibern Herz und Ruh’...“

„Um Himmelswillen, Xandi, kommen
Sie!“ dräng’ ich beängstigt.

Sie steht schwerfällig auf, greift hastig
nach meinem Arm.... ich fühle, wie sie
sich schwer und bebend aufstützt. Dann
blickt sie halb scheu, halb herausfordernd
über die Versammelten, die uns auch jetzt
wie auf Verabredung ignorirten.

„Auf in den Kampf, Torero!“ singt sie
mit einer von Angst und Ausgelassenheit
halb gebrochenen Stimme. Und dann zu
mir mit würdevollem Ruck: „Flüchten wir
uns aus der Reihe der Danausen in eine
bessere Welt. Wenn die wüssten, wie mir
zu Muthe ist... aber mir ist überhaupt
gar nicht zu Muthe ... mir ist zu Angst.1

Und dann lachte sie krampfhaft über
das schwache Wortspiel und konnte nicht
mehr aufhören ...

Sonderbar! Ich versichere dich, Rosa,
mir war, als sollte ich eine ganz fremde
Person in das Verlobungsstübchen führen,
die mit Xandi nur eine zufällige äussere
Aehnlichkeit hatte... Und das sollte nun
der Augenblick sein, um den meine kühn-
sten Träume seit Monaten nur scheu und
beklommen herumgeflattert waren ... Gott
im Himmel, Rosa, wie täppisch oft die
Wirklichkeit zugreift, mit ihren dicken,
groben Fingern .... wie
schmählich geht sie mit un-
seren liebsten Träumen um !

Schweren Herzens also
führ’ ich das Mädchen in
das discrete röthlicheAmpel-
licht des Nebenzimmers und
schiebe sachte hinter uns die
Thür zu. Da macht Xandi
plötzlich eine Bewegung,
als wolle sie meinen Arm
zurückhalten, ja, als wolle
sie wieder hinaus ... Was
ist das? denk’ ich bestürzt,
mag sie mich nun schliess-
lich doch nicht? Ich seh’
sie an .... da steht sie ganz
still, blass, mit herabhän-
genden Armen, geschlosse-
nen Augen und einem tiefen
Leidenszug im Gesichte, und
das Köpfchen sinkt ihr nach
rechts, wie einer Ohnmäch-
tigen . ..

„Mach’s kurz... kurz...“
kommt es ihr schwach und
undeutlich über die Lippen,
die trocken, gleichsam ver-
schmachtend, sich halb
öffnen.

„Aber Xandi ...“

„Mach’s kurz!“ drängt sie
in steigernder Angst und zit-
tert von Kopf bis Fuss.

Eine Liebeserklärung auf Kommando!
Ich kann dir nicht beschreiben, wie mir
war-: masslos erregt, halb in Leiden-

schaft, halb abgestossen von ihrem un-
begreiflichen Wesen ... und in einem ge-
wissen zögernden Trotz diesem drängenden,
schmerzvollen Eigenwillen gegenüber, der
mir die Worte, gleichsam eh’ sie reif waren,
von den Lippen reissen wollte.

„Sie wissen ja, Xandi...“, brachte ich
mühsam heraus. Ihre wirre Angst begann
auf mich überzugehen, mir schlugen die
Zähne aufeinander .... eine unheimliche
Situation ....

„Ja ... was weiss ich denn ...?“ flüstert
sie wie eine Nachtwandlerin immer noch
mit geschlossenen Augen.

„Xandi, quäl’ mich nicht!“ schrei ich.
Da stösst sie einen tiefen Seufzer aus und
fällt mir um den Hals, drückt sich an mich,
fest, fest... Rosa, mir^verging Hören und
Sehen. Ich will sie küssen ... kann nicht :
Sie küsst mich, küsst mir Rock. Vor-
hemd, Kragen, Hals, wohin es trifft, wie
eine Tolle, wie... wie...

Den Kopf bog sie mir herunter mit der
Kraft einer Wahnsinnigen und küsste mir
das kleine, braune Mal, das ich im Nacken
habe. Dazwischen raunte sie sinnverwir-
rendes Zeug von diesem Mal, das sie vor
jenem Monat zuerst gesehen, als ich ihr
einen herabgefallenen Fächer aufhob . . .

Ich wehre mich gegen diese Tigerwuth,

will sie zurückdrängen_nein, erst das

Mal...! Und sie greift mir in den Nacken,
reisst mir den Kragen vom Hals, den
Kragen und die Binde, springt lachend
davon, küsst das Innere des Kragens und
schwenkt beides in der Hand, wie eine
Trophäe. Lacht, lacht, den Kopf im Nacken,
und die schwarzen Augen glühen und rollen.

Und was sie alles redete... Dass sie
mich zermalmen möchte, erwürgen aus
Rache dafür, dass ich sie so gequält, so
unsagbar elend gemacht, sie so ganz ihres
Stolzes, ihrer selbst entkleidet... Dabei
stürzte sie von Neuem auf mich zu und

umkrallte meinen Hals, dass mir für einen
Augenblick die Luft ausging, und dann
wieder das wilde Küssen...

Plötzlich riss sie sich die Nadeln aus
dem Haar, dass die schwarzen Wellen an
ihr niederrollten, und schüttelte die fliegen-
den Mähnen... „Pass auf,“ sagte sie, „jetzt
bin ich Herodias und tanz’ um Deinen
Kopf.“

Und sie drehte sich mit ausgebreiteten
Armen, die wie Schwingen auf und ab zitter-
ten, erst langsam dann immer schneller,
dass ihr Kleid sich wie eine weisse Glocke
wölbte, sprang dann um sich herum mit
einer unbändigen Grazie, stiess hart mit
mir zusammen, dass wir beide wankten
und wirbelte von neuem rundum...

Ja... träumte ich denn wirklich nicht?
Ich hielt mir die Stirn mit beiden Händen —
— und wankte nach der Nische, weisst
Du ... Gott, mein Gott, was für Seligkeiten
hatt’ ich nicht von der Nische erwartet!
Und da sitz’ ich nun wie ein Haufen Un-
glück zusammengerutscht auf dem Bänk-
chen.... Was thun? Ach... ich weiss
ja noch nicht einmal, was ich fühle und
denke, und ...

Da springt sie noch um und um durch’s
Zimmer und schwingt die Arme und ver-
sucht zwischen keuchendem Athen» mit
halbgebrochener Stimme zu singen.. . .
Rennt gegen den Blumentisch, ein Paar
Töpfe stossen aneinander, fallen um, klax
. .. zerbrechen . .. „Xandi — aber Xandi!“
ruf’ ich verzweifelt, Sie will die Stufen
herauf, stolpert, fällt auf die Knie...

ratsch — zerreisstdas Kleid_Keuchend,

Thränen lachend kniet sie neben mir, an
mich gelehnt; dann richtet sie sich auf,
schwer auf meinen Arm, auf mein Knie
gestützt, und ... ruck!... mit einer Kopf-
bewegung wirft sie ihr mächtiges Haar
ganz nach vorn, mir über den Kopf, so
dass ich von dem duftigen Dunkel ganz
umhangen bin, und drängt mit einem gluck-
senden Kichern Kopf an Kopf.... „Nun
sitzen wir... im Schatten,“ stammelt sie
dicht an meinem Ohr; „nein
Licht.. endlich Licht! Son-
ne. . . .“

Der Haarduft berauschte
mich; ich schlag mit beiden
Händen den köstlichen Vor-
hang zurück und reisse sie
an mich... „Für’s Leben!“
stammelt sie an meinem
Munde in höchster Leiden-
schaft, „mein Alles, mein
Glück, Einziger.. Einziger..“
Und da, Rosa, da fuhr
ich zurück und hielt den

Athen, an_ Ihr eigener

Hauch hatte mein Gesicht
getroffen — wie der Athen»
eines Trinkers von über-
mässigem Weingenuss ekel-
haft verpestet. . ..

Der Abscheu schüttelt
mich, ich versuche sie von
mir zu schieben . . . um-
sonst, sie umklammert mich
eisern ... Gewaltsam wende
ich den Kopf ab, löse die
Hände des Mädchens müh-
sam von meinem Nacken
und schiebe sie rasch von
mir. Sie taumelt rückwärts,
hält sich an der Wand-
draperie und richtet sich
plötzlich steif auf, während
sie mich scharf mustert.

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