1897
JUGEND
Nr. 5
von der „Zwecklosigkeit des Ganzen“
sprach, packte ich bereits die Koffer . . .
Dann ging ich in den Wald, wo der
Poet träumerisch stand und sich die
Löwenmähne mit den Fingern kämmte.
Ich sagte ihm, dass ich ahreise ... Er
lispelte ein Abschiedslied und Thränen
traten ihm in die Augen . . . Ich weinte
bitterlich ... Er küsste mir die Hand
und bat um unsere Adresse, da er im
Winter bei uns vorsprechen wolle . . .
Ich erfüllte seine Bitte, denn ich hätte
ihm jetzt keinen Wunsch versagen
können und gab ihm schluchzend Papas
Geschäftsadresse (Telephon Nr. 1804)
... Er sah in diesem Moment ideal
aus, etwa wie Goethe von Kaulbach
gemalt.
III.
(Ballrobe: Kleid aus rosafarbenem
Crepe de chine im Empiregenre, mit
fest-anliegendem Unterkleid aus licht-
blauer Seide; ganz kurze Aermel aus
Spitzen.)
. . . Wenn man einen Winter durch-
tanzt, so lernt man den Charakter
der Männer kennen. Wie schwerfällig
' tanzen die Politiker, wie ungeschickt
die Beamten, wie leichtfüssig die Kas-
siere, wie unsicher die Ehemänner,
wie siegesbewusst die Offiziere . . .
Unter allen Offizieren tanzt aber keiner
graziöser, als der junge Graf .. Welch’
idealer Schwung, welch’ poetische Auf-
fassung! . . . Auf jedem Ball begegne
ich ihm — und ich tanze in diesem
Winter wahrlich genug — und immer
tanzt er unermüdlich mit allen reichen
Mädchen. Papa meint, das sei der
Tanz um das goldene Kalb — Papa
ist in seinen Gleichnissen sehr unhöf-
lich — denn der junge Graf zeichnet
mich ganz besonders aus. Wie er
mich nur durch sein Monocle betrach-
tet — wie durch einen glitzernden
Edelstein ... Er spricht wenig und
fast immer dasselbe, aber er betont
seine Worte so eigenartig, so vornehm,
so aristokratisch, dass man ihm stunden-
lang zuhören könnte — auch wenn er
schweigt. . . Von Pferden spricht er
am liebsten und er begreift nicht,
dass mir Papa kein Reitpferd hält...
Ich auch nicht... Er meint, dass gute
Reiterinnen die besten Tänzerinnen
seien und bewundert mich, da ich
auch ohne Reitpferd so herrlich tanze,
„wie eine Sylphide“ . . . Aber es ist
auch ein Vergnügen, mit ihm durch
den Saal zu fliegen und von allen be-
wundert zu werden . . . Wenn ich in
den Saal trete und ihn erblicke, klopft
mir das Herz und ich wage kaum auf-
zuschauen ... Ich fühle aber bald, dass
er näher kommt und höre Papas ärger-
liche Stimme: „Ah, da ist der Tanz-
meister schon wieder!“ . . . Er, ein
Tanzmeister, er, der einem idealen
Helden gleicht! . . . Wie zart und em-
pfindsam ist er trotz der Uniform . . .
Er hat begriffen, dass ihn Papa und
Mama nicht leiden mögen, aber er
tanzt mit mir entzückender als je und
nur dann und wann seufzt er schwer-
müthig . . . Ich verstehe ihn und meine
Blicke müssen ihm sagen, dass ich
ihn verstehe . . . Umsonst sagen Papa
und Mama, dass er selbst sein Monocle
schuldig sei; ich kenne sein Herz
Fernand, Schult^-Wellcl (‘Berlin).
und sein Gemüth, ich weiss, dass
er ein Edelmann im besten und vor-
nehmsten Sinne des Wortes ist . . .
Glücklich Diejenige, welche seine Edel-
frau sein könnte!
IV.
(Hochzeitstoilette: Prinzesskleid
aus weissem Duchesse mit langer
Schleppe, doch verhüllt der grosse
Schleier aus Tüll die ganze Gestalt.
Kranz und Brustbouquet aus Myrthen.)
. . . Wie sie mich anstarrten, als
ich an der Seite meines Eduard zum
Altäre schritt! Hunderte von Augen,
aus denen Neugierde, Staunen, Be-
wunderung und Neid schauten . . .
Mein Brautkleid ist aber auch reizend
und Eduard sieht sehr vornehm aus ...
Diese kleine Denkerglatze steht ihm
vortrefflich . . . Man sieht ihm gar
nicht an, dass er eigentlich mehrere
Häuser besitzt. . . Ida betrachtete mich
mit unverhohlenem Aerger. Die Aerm-
ste badet jetzt im Winter kalt und im
Sommer heiss und auch das hilft ihr
nicht — zu einem Mann . . . Klara
sieht ebenfalls fürchterlich verbadet
aus und Elsa weinte gar bitterlich,
als sie mich in die Kirche treten sah.
Es thut ihr weh, mich verheirathet
zu sehen — und nicht sich . .. Drollig
schaut Cousin Emil aus. Er hat sich
in eine Nische gestellt, um von mir
nicht gesehen zu werden, aber ich
habe ihn sofort erblickt. . . Sein Ge-
sicht ist ganz blau . . . Sollte das die
Kränkung verursachen oder blos der
Uebereifer des Raseurs? ... In der
Menge war auch der Poet mit den langen
Haaren. Neben der eleganten Glatze
meines Eduard erscheint diese Haar-
fülle geradezu barbarisch . . . Wie
kann ein vornehmer Mann überhaupt
so viel Haar tragen?... Hoch über-
ragte die Menge der „Graf“, d. h. er
ist gar kein Graf, sondern blos ein
kleiner Edelmann und dazu noch ein
polnischer . . . Wie er mir zulächelte,
als hätte ich ihm die grösste Freude
gemacht, indem ich ihn — nicht hei-
ratete. . . . Und doch war er bis über
die Ohren in meine Mitgift vernarrt...
Er ist gar nicht so jung, wie er gern
aussehen möchte . . . Papa meint, dass
er einen dreißigjährigen Krieg mit den
kühnsten Gläubigern überdauert habe
und die Kriegskosten schuldig geblieben
sei . . . Papa hat kuriose Gleichnisse.
Doch was thut’s; dann und wann kann
man den Grafen zum Diner einladen
. . . Es macht sich recht gut, wenn
man sagen kann: „Der Graf hat heute
bei uns gespeist“ — wenn auch der
Graf kein Graf ist . . . Wie ernst nur
Eduard der Predigt lauscht . . . Ein
reizender Mensch . . . Ach, wie Mama
weint... Da muss ich wohl auch mit-
weinen?. . . Nein, denn dann würde
Ida erzählen, ich sei unglücklich und
hätte Eduard nur wegen seiner Häuser
geheiratet. . . Ich will so laut Ja sagen,
dass Ida, Klara und Elsa von der Kir-
chenbank fallen . . . Der Student, der
Poet und der Graf, Alle, Alle sollen
wissen, dass ich mein Ideal gefunden
habe . . . Wenn Eduard nur nicht gar
so ernst blicken würde . . . Ein Haus-
herr soll nicht wie ein Philosoph aus-
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von der „Zwecklosigkeit des Ganzen“
sprach, packte ich bereits die Koffer . . .
Dann ging ich in den Wald, wo der
Poet träumerisch stand und sich die
Löwenmähne mit den Fingern kämmte.
Ich sagte ihm, dass ich ahreise ... Er
lispelte ein Abschiedslied und Thränen
traten ihm in die Augen . . . Ich weinte
bitterlich ... Er küsste mir die Hand
und bat um unsere Adresse, da er im
Winter bei uns vorsprechen wolle . . .
Ich erfüllte seine Bitte, denn ich hätte
ihm jetzt keinen Wunsch versagen
können und gab ihm schluchzend Papas
Geschäftsadresse (Telephon Nr. 1804)
... Er sah in diesem Moment ideal
aus, etwa wie Goethe von Kaulbach
gemalt.
III.
(Ballrobe: Kleid aus rosafarbenem
Crepe de chine im Empiregenre, mit
fest-anliegendem Unterkleid aus licht-
blauer Seide; ganz kurze Aermel aus
Spitzen.)
. . . Wenn man einen Winter durch-
tanzt, so lernt man den Charakter
der Männer kennen. Wie schwerfällig
' tanzen die Politiker, wie ungeschickt
die Beamten, wie leichtfüssig die Kas-
siere, wie unsicher die Ehemänner,
wie siegesbewusst die Offiziere . . .
Unter allen Offizieren tanzt aber keiner
graziöser, als der junge Graf .. Welch’
idealer Schwung, welch’ poetische Auf-
fassung! . . . Auf jedem Ball begegne
ich ihm — und ich tanze in diesem
Winter wahrlich genug — und immer
tanzt er unermüdlich mit allen reichen
Mädchen. Papa meint, das sei der
Tanz um das goldene Kalb — Papa
ist in seinen Gleichnissen sehr unhöf-
lich — denn der junge Graf zeichnet
mich ganz besonders aus. Wie er
mich nur durch sein Monocle betrach-
tet — wie durch einen glitzernden
Edelstein ... Er spricht wenig und
fast immer dasselbe, aber er betont
seine Worte so eigenartig, so vornehm,
so aristokratisch, dass man ihm stunden-
lang zuhören könnte — auch wenn er
schweigt. . . Von Pferden spricht er
am liebsten und er begreift nicht,
dass mir Papa kein Reitpferd hält...
Ich auch nicht... Er meint, dass gute
Reiterinnen die besten Tänzerinnen
seien und bewundert mich, da ich
auch ohne Reitpferd so herrlich tanze,
„wie eine Sylphide“ . . . Aber es ist
auch ein Vergnügen, mit ihm durch
den Saal zu fliegen und von allen be-
wundert zu werden . . . Wenn ich in
den Saal trete und ihn erblicke, klopft
mir das Herz und ich wage kaum auf-
zuschauen ... Ich fühle aber bald, dass
er näher kommt und höre Papas ärger-
liche Stimme: „Ah, da ist der Tanz-
meister schon wieder!“ . . . Er, ein
Tanzmeister, er, der einem idealen
Helden gleicht! . . . Wie zart und em-
pfindsam ist er trotz der Uniform . . .
Er hat begriffen, dass ihn Papa und
Mama nicht leiden mögen, aber er
tanzt mit mir entzückender als je und
nur dann und wann seufzt er schwer-
müthig . . . Ich verstehe ihn und meine
Blicke müssen ihm sagen, dass ich
ihn verstehe . . . Umsonst sagen Papa
und Mama, dass er selbst sein Monocle
schuldig sei; ich kenne sein Herz
Fernand, Schult^-Wellcl (‘Berlin).
und sein Gemüth, ich weiss, dass
er ein Edelmann im besten und vor-
nehmsten Sinne des Wortes ist . . .
Glücklich Diejenige, welche seine Edel-
frau sein könnte!
IV.
(Hochzeitstoilette: Prinzesskleid
aus weissem Duchesse mit langer
Schleppe, doch verhüllt der grosse
Schleier aus Tüll die ganze Gestalt.
Kranz und Brustbouquet aus Myrthen.)
. . . Wie sie mich anstarrten, als
ich an der Seite meines Eduard zum
Altäre schritt! Hunderte von Augen,
aus denen Neugierde, Staunen, Be-
wunderung und Neid schauten . . .
Mein Brautkleid ist aber auch reizend
und Eduard sieht sehr vornehm aus ...
Diese kleine Denkerglatze steht ihm
vortrefflich . . . Man sieht ihm gar
nicht an, dass er eigentlich mehrere
Häuser besitzt. . . Ida betrachtete mich
mit unverhohlenem Aerger. Die Aerm-
ste badet jetzt im Winter kalt und im
Sommer heiss und auch das hilft ihr
nicht — zu einem Mann . . . Klara
sieht ebenfalls fürchterlich verbadet
aus und Elsa weinte gar bitterlich,
als sie mich in die Kirche treten sah.
Es thut ihr weh, mich verheirathet
zu sehen — und nicht sich . .. Drollig
schaut Cousin Emil aus. Er hat sich
in eine Nische gestellt, um von mir
nicht gesehen zu werden, aber ich
habe ihn sofort erblickt. . . Sein Ge-
sicht ist ganz blau . . . Sollte das die
Kränkung verursachen oder blos der
Uebereifer des Raseurs? ... In der
Menge war auch der Poet mit den langen
Haaren. Neben der eleganten Glatze
meines Eduard erscheint diese Haar-
fülle geradezu barbarisch . . . Wie
kann ein vornehmer Mann überhaupt
so viel Haar tragen?... Hoch über-
ragte die Menge der „Graf“, d. h. er
ist gar kein Graf, sondern blos ein
kleiner Edelmann und dazu noch ein
polnischer . . . Wie er mir zulächelte,
als hätte ich ihm die grösste Freude
gemacht, indem ich ihn — nicht hei-
ratete. . . . Und doch war er bis über
die Ohren in meine Mitgift vernarrt...
Er ist gar nicht so jung, wie er gern
aussehen möchte . . . Papa meint, dass
er einen dreißigjährigen Krieg mit den
kühnsten Gläubigern überdauert habe
und die Kriegskosten schuldig geblieben
sei . . . Papa hat kuriose Gleichnisse.
Doch was thut’s; dann und wann kann
man den Grafen zum Diner einladen
. . . Es macht sich recht gut, wenn
man sagen kann: „Der Graf hat heute
bei uns gespeist“ — wenn auch der
Graf kein Graf ist . . . Wie ernst nur
Eduard der Predigt lauscht . . . Ein
reizender Mensch . . . Ach, wie Mama
weint... Da muss ich wohl auch mit-
weinen?. . . Nein, denn dann würde
Ida erzählen, ich sei unglücklich und
hätte Eduard nur wegen seiner Häuser
geheiratet. . . Ich will so laut Ja sagen,
dass Ida, Klara und Elsa von der Kir-
chenbank fallen . . . Der Student, der
Poet und der Graf, Alle, Alle sollen
wissen, dass ich mein Ideal gefunden
habe . . . Wenn Eduard nur nicht gar
so ernst blicken würde . . . Ein Haus-
herr soll nicht wie ein Philosoph aus-
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