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JUGEND •

18S7

Raum eine, die im Herzen leise Angst,

Ihr, wie zuin Opfer, eine Gabe zuwirft. —

Und doch! — Wie Diele stehen da, wie sie,

Go heldenhaft im Rampf mit dein Geschick,

Go rührend und so groß, wie diese Mutter 71

Die Greisin

Dort an der Mauer lehnt ein altes Weib,

Das wohl die Seinen alle überlebte;

Mit ihren weißen Haaren spielt der Wind,

Und mit dem grauen, ausgewaschenen Rleide.

Sucht sie den Strahl der herbstlich matten Sonne?
Erfleht sie Gaben von der stumpfen Menge?

Die Sonne scheint nicht und man sieht die Alte
Uliemals die Hand zu stummer Bitte heben.

In s Leere starrt der fast erlosch'ne Blick,

Rein Wunsch belebt die lebensmüden Glieder,

VTitr ihre welken Lippen beben manchmal.

Sind es Gebete, was sie leise murmelt? —

Sie ruft den Tod. — Selbst dem gefallt sie nicht;
Er sucht sich heut' ein schönstes Liebchen aus
Und stürmt im Siegeslauf an ihr vorüber.

Da schüttelt sie das altersschwache Haupt,

Als könne sie die Welt nicht mehr begreifen . . .
Ist dies die Rrone eines langen Lebens?

Ist dies der Lohn der nie versäumten Pflicht?
„Ich inöchte sterben", stöhnt sie, „und erlöst sein,
Doch unser Herrgott selbst hat mich vergessen!" —

Die Mutter

Aus Rorbgeflecht ein alter Rinderwagen
Auf zu beschwertem, wack'ligem Gestell;

Darin ein Ulest von Rindern, kleinen Rindern
Mir feuchten Haaren, vorwurfsvollen Augen.

Ein Weib zieht diesen Wagen durch die Straßen,
Ein blasses Weib, erschöpft und abgehetzt,

Als fühle sie auf ihren schwachen Schultern
Die schwere Hand der menschlichen Gesetze.

Doch nein I — er sieht sie nicht der Mann im Helm,
Der ihr so groß, der ihr so mächtig dünkt,

Daß ihre Rniee leise vor ihm beben
Es sieht sie Uliemand; Alle geh'« vorbei . . .

Wo kommt sie her? Wo will sie hin? —

Ist sie ein Opfer jenes heißen Trieb's,

Der unbesiegbar die Ulacur durchschwellt?

Ist sic gefallen und vergaß sie einst
In Hellen Nachten dieser dunklen Tage,

Bei kurzen Freuden dieses langen Elends?

Ward sie verlassen von dem rohen Gatten,

Srarb er hinweg, ein Opfer des Berufs?

Sucht sie die alte Heimat wieder auf,

Don einer neuen allzubald vertrieben?

Wer fragt darnach! Wen kümmert ihre Norh I
An ihr vorbei im hellsten Sonntagsstaat
Sicht sie viel schönheitsstolze Frauen schreiten,

Mit Abscheu sich von ihr und ihrem Schmutz,
Don ihr und ihren armen Rangen wenden.

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Register
Fritz Wolf: Zeichnungen zur Gedichtfolge "Straßenbilder"
Gottfried v. Böhm: Straßenbilder
 
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