Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 13

JUGEND

1897

schaffen kann! Unglücksel'ge Sekunde,
in der sie ihm versprach, die Seine zu
werden I Was ließ sie sich auch von
seiner bebenden Stimme in den Schlaf
lullen?! Erbärmliche Nittagsstunde,
erbärmlicher Mai! Daß sie glauben
konnte, es sei ihr bcschieden, an der
Seite eines kleinen '. Beamten ihre
Lrdentage zu beschließen!

Aber sie raffte sich auf, und sie zerriß die rosenrothen Bänder,
die sich um sie geschlungen hatten. Thorheit, Thorheit! So sollte
der Traum endigen, in den sie sich hineingetrännit hatte? Luft-
schlösser hatte sie sich erbaut, in denen es von Krystall und Edel-
steinen blitzte und funkelte, und sie war es, die darin als perri»
befahl; Seidengewänder rauschten, und sie war es, die sie trug;
ein weißes Roß schnaubte, und sie war es, die darauf faß. In
ihrem Perzen bäumte sich ein starker Wille, der all' die Peinlichkeiten
erreichen wollte. Ihr Wille stand wie ein Tiger auf der Lauer,
mit ausgestreckten Pranken, die Beute erwartend. Ach, sie wird
es schon erreichen. Sie hat der Waffen die schwere Menge: ihre
hohe weiße Stirn; die tiefblauen Augen; das Larmin der Lippen;
die Grübchen im Rinn und in der rechten Wange; das paar der
Venus des Tizian; die hohe schlanke Gestalt. Ach, sie kannte
diese Waffen genau. Sie betrachtete sich gern im 'Spiegel, aber
sie that das nicht mit der Koketterie eines unschuldigen Mäd-

chens: sie prüfte.ihre Schönheit, wie ein Ritter sein blankes Schwert
untersucht, bevor er in die Schlacht zieht. Ihre Schönheit war
das Schwert, mit der sie die Schlacht ihres Lebens gewinnen wollte.
Der Kampf wird schon beginnen. Die Kämpfer werden schon
nahen. Geduld, Geduld I

Und dieses glänzende Schwert sollte in der Rumpelkainmcr einer
bürgerlichen Ehe verrosten? Sie — die Venus des Tizian —,
sollte sie etwa waschen und bügeln und kochen und die Petro-
leumlampe niedriger schrauben, damit um Gotteswillen nicht so
viel von diesein theueren Del verbrenne, und auf einem schadhaften
Rohrsessel sitzen, wie jetzt? Alt zu werden, ohne jung gewesen zu
sein? Mit frühzeitigen Runzeln im Gesichte, auf daß ihre Freun-
dinnen aus dem Pensionat sie mit noch größeren! Mitleide be-
gafften? Ach, an ihrer Wiege war es ihr nicht vorgesungen
worden, daß sie einmal im Postkurs werde abfoloiren uiüffen, daß
sie einmal mit 35'/z Gulden Gehalt in diesem dumpfen, staubigen
Lokal sitzen werde. Aber es wird nicht mehr lange dauern, oh,
es wird nicht inehr lange dauern. Gut. gut; man hatte sic nach
des Vaters Tod aus der prunkenden Wohnung vertrieben; es ge-
höre alles den Gläubigern; ihr gehöre gar nichts, gar nichts; gut,
gut; oh, sie wird auch hart sein können; wir werden schon sehen.
Der Kampf wird schon beginnen. Er mag beginnen. Ihr Schwert
ist blank.

Nein. Diese ganze Spielerei mit diesein sentimentalen Rudolf muß
aufhören. Nein, ihre hochfahrenden Pläne sollen nicht durch eine
Gefühlsduselei zertrümmert werden. Pinweg aus der dumpfen Luft!

Er begleitete sic allabendlich nach
Pause. Sie gingen Arm in Arm, da
sie doch Brautleute waren. Beiin
Thore nahinen sie daiin Abschied von
einaiider. Lines Abends, gerade als
sie beiin Thore anlangten, sagte sie
ihm, daß die Geschichte zu Ende sei.

Er verstand es erst nicht.

„Wie sagst Du, Llärchen?"

Sie darauf init schneidender Stimme:

„Daß es aus ist zwischsil uiis.
Ich werde nie Deine Frau."

Er hielt sich an der Mauer des
Pauses fest und starrte sie an, dann
lächelte er:

„Nicht wahr, Du scherzest nur
mit mir? Nicht wahr, Du willst
nur sehen, wie ich das auffasse? Nicht
wahr? Nicht wahr?"

„Nein, die Sache ist aus. Adieu!"

„Llärchen, Llärchen!"

,/Mach' keinen Skandal. Adieu! Ich koinme nicht mehr in's
Bureau."

Sie kam auch nicht inehr. Schon war jener alte Graf an
dein porizout erschieiien. Schon war die Wohnuiig auf dem
Vpernring aufgeiiominen. Die Tischler und Tapezierer arbeitete»
schon dariiineii. Die Damcnschneideriunen arbeiteten schon für das
giiädigste Fräulein. Die Wäschesalous waren fd'oii für das gnädigste
Fräulein beschäftigt. Ueberall herrschte die größte Pa st, denn das
giiädigste Fräulein hatte dein perrn Grafeil iioch nicht einmal
einen einzigen Kuß auf die paud gestattet. Später! Wenn das
Krystall und die Edelsteine blitzen und • funfein; wenn die Sciden-
gewänder rauschen; wenn das weiße Roß schnaubt. Später! . . .

Und Rudolf verschwand aus ihreiii Gesichtskreise. Einmal
sah sie ihn noch. Sie hatte feiner schon vergessen. Er kain zu
ihr. Bleich, abgezehrt, verstört. Sie wohnte daiiials schon in ihrer
Villa da. Sie fürchtete sich vor ihm nicht, denn sie kannte ihn, xmb
sie mußte, daß sie ihn mit eincin Blicke beherrsche. Aber er war
ihr unangenehm. Er warf sich ihr zu Füßen. Seine Finger be-
rührten den Spitzensauin ihres Negliges. Er schluchzte.

„Alles, Alles geschehe, was Du willst. Mein Stolz hat mir ge-
sagt, daß ich Dich verachten muß, daß ich Dich vergessen muß.
Mein Stolz hat mich verlassen. Alles, Alles geschehe, was Du willst."

Sie sprach zu ihm. Ruhig und gelassen. Es sei dies Alles
unmöglich. Er sei krank. Es seien dies Fieberphantasien. Er
möge aufstehen.

Er erhob sich.

„Du weißt ja nicht, was Du thust, Du weißt es ja nicht.
Du wirst einmal einen Freund braucheil, uiid Du wirst ihn nicht
haben. Llärchen! Ich bitte, ich flehe ..."

„Adieu, Adieu!"

„Es soll doch so bleiben! Behalte Alles, laß' mich nur um
Dich sein. Behalte Alles. Equipage, paus, Schmuck, alle Ge-
schenke des Grafen . . ."

„Aber jetzt verlassen Sie mich sofort!"

„Alle Geschenke, alle Geschenke... verlasseil? Ich soll Dich
verlassen?"

„Ja und sofort!"

„Ja? Und sofort? verlassen? . . . Ja, es ist gut. Warum
denn nicht? Aber richtig! Du hast mich einmal geliebt. Gaiiz
uiiisonst. Die paar Veilchensträußchen zählen ja nichts. Du sollst

ein Geschenk dafür bePommen. Dein
Geburtstag kommt bald. Ei» Ge-
schenk! Ein Geburtstagsgeschenk!!....
Adieu, Adieu."

Lachend niid weinend war er. da-
von gerannt.

Und jetzt hatte sie das Geschenk be-
kommen. Ein sehr aufmerksamer
Mensch. Zur Feier ihres Geburts-
tages hatte er sich erschossen.

2M
Register
Julius Diez: Zeichnungen zum Text "Zwei Geschenke"
 
Annotationen