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1897

JUGEND

Nr. 18

Frit{ Erl er (München).

Maienkönigin

Der neue Flügel

von Raoul Airernhcimer.

lle seine Freunde versicherten einmüthig,
daß Maestro Herbert Mattco mit seiner Kunst
zu Ende sei. Seit einem halben Jahrzehnte
war keine neue Melodie aus seinem Arbeits-
zimmer in die Welt hinausgeflogen. Und es
gab sogar Leute, die behaupteten, er habe gar
kein Arbeitszimmer mehr.

Ab und zu brachten wohl weitgereiste
Männer die Botschaft, man habe ihn in Genua
oder in Bareelona Billard spielen gesehen;
aber die Zeitungen erwähnten nicht einmal
mehr in den heißesten Tagen des August, daß
er an einem neuen Werke arbeite.

Dieser traurige verfall eines noch jungen
Talentes war in der Geschichte dieses Ta-
lentes begründet. Da Herbert, zwanzigjährig,
noch ein feuriger Künstler gewesen, hatte
seinen Ruhm eine kleine, melodiöse Spieloper
geschaffen, darin ein kleines, kokettes Lied
rauschenden Beifall errang. Bis zu diesem
Zeitpunkte hatte er unstreitig ein gewisses
Talent gehabt, und er wäre vielleicht ein be-
deutender Musiker geworden ohne dieses kleine
Lied. Nach jenem Erfolg aber machte zu
seinem Unglück die Genossenschaft der Künstler
allsogleich Anspruch auf seine Person. Die
Talente zogen ihn in ihren Kreis; ältere,
erfahrene Musiker, die schon seit Jahren von
den Melodien ihrer Jugend lebten, boten ihm
ihre Freundschaft an, weil sie seiner Begabung
anders nicht bcikoinmen konnten; Dichter

brachten ihm ihre Huldigungen dar, Librettis
in der Tasche, ausgesungene Sängerinnen
nannten ihn schmeichelnd „Maestro", und
andere, jüngere, die sich gerne einmal so recht
ausgesnngen hätten, umspannen ihn mit
leuchtenden . Blicken und drückten ihm mit
wohlerwogenem Beben die weiße Künstler-
hand. Und alle sprachen sie ihm mit feinerft,
schmeichelndem Verständnisse von seiner reichen
Individualität, die er nun erst staunend zu
entdecken vermeinte.

Mit alldem aber verlor er seine kostbare
Zeit und seine Unbefangenheit. Und sowie er
sich seiner Eigenart vollständig bewußt war,
da war er auch mit seinem Talent zn Ende,
vergeblich suchte er nun den Erfolg von ehe-
dcin zu erneuern; vergeblich schrieb er ein
zweites, ein. drittes Lied, das noch kleiner,

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Raoul Auernheimer: Der neue Flügel
Fritz Erler: Maienkönigin
 
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