Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 18

Und Dich und mich umstrahlt? — Er will

Dein Opfer!

Gib es mir, Vveib! — Ich liebe Dich"...

Vor feinen Blicken taumelte das Weib,
Vor ihm, der schön im Abendschiminee stand
Voll trunkner Lraft — denn Balder war

mit ihm.

Sie fühlte seine Macht und lehnte stumm
Die weißen Glieder an den Opferstein
In halber Ohnmacht — und der graue

Rauch

Des heil'gen Feuers, das zum Himmel stob,
Verwehte leise — und die Mainacht kam ...

Da fühlte halb erschrocken, halb beseligt,
Die pricsterin ein ungekanntcs Leben
Und eines ewig jungen Gottes Macht. —
Und hoch im Aether schrie ein Adlerpaar.

Line Audienz

Seine Excellcnz Graf Bodo von Dinkelstein
fühlte, daß er sich in einer mißlichen Lage
befinde. Er war erster Kammerherr Seiner
Majestät nnd hatte die Verpflichtung, für eine
Beständigkeit heiterer Stimmung seines iherrn
Sorge zu tragen. Denn eine solche erachtete
der König als durchaus erforderlich, um der
täglich sich erneuenden Regierungslast gewachsen
zu sein nnd seine ganze Geisteskraft zum Wohl
des Staates aufwenden zu können. Das Be-
dürfniß nach derartiger erfrischender Anregung
machte sich bei ihm besonders geltend, da er
öfter an Langweile litt nnd ab und zu sogar
von leicht melancholischen Anwandlungen heim-
gesucht wurde. Ihm konnte dann das Menschen-
leben, selbst das höchste, sein eigenes, in einer
halb schwermüthigen Beleuchtung erscheinen,
und in solchen Augenblicken hauptsächlich fiel
dem Grafen Bodo die Erfüllung seiner segens-
reichen Aufgabe anheim.

Doch er mühte sich schon seit manchen
Jahren unablässig, ihr nachzukommen, und
in Folge davon begannen naturgemäß seine
glücklichen Erfindungen, sein reicher Vorrath
an launigen Berichten, Bonmots, Apergus,
Impromptus und paffend verwendeten Anek-
doten sich zu erschöpfe». Es war bedauerlich,
daß der Monarch, obwohl erst in mittleren
Jahren stehend, an kunstvolleren Arrangements,
vorzüglich solchen, bei denen weibliche Kräfte
in Thätigkeit treten konnten, keinen Gefallen
fand. Dadurch ermangelte das Bestreben des
Kammerherrn einer kjauptreffource — alle be-
hutsam in dieser Richtung angestellten ver-
suche hatten einen Mißerfolg nach
sich gezogen. Der König bevor-
zugte wesentlich das Amüsante, das
sich in gewisser Weise von einem
ernsthaften Untergründe abhob;
er liebte keinen ,Klatsch', sondern
Gegenstände, bei denen er selbst
sich mit Dialektik zu bethciligen
und etwas scheinbar als bedeutsam
Aufgestelltes aä absuräum zu führen
vermochte. Derartige geeignete Stoffe
aufzufinden oder in neuen Varia-
tionen zu vervielfältigen, ward

° JUGEND °

jedoch auf die Dauer äußerst schwierig, und
Graf Bodo hatte trotz der genialen Begabung
seines Kopfes in letzter Zeit zu seinem inner-
lichen Entsetzen mehrfach Fehlgriffe gethan.
Er sah einen Tag herankommen, an dem er
sich nicht mehr die allerhöchste Befriedigung
erworben, in Ungnade fallen und von seiner
vielbeneideten Stellung enthoben werden könne.

In dieser heiklen Lage brachte angestrengtes
Nachsinnen ihn eines Tages auf einen hilf-
reichen Gedanken. Der Zufall hatte ihn ein
paarmal an drittem Grt mit einem, ihm zu
passender Zeit für eine Verwendung geeignet
erscheinenden Manne zusammengcführt; es war
Jemand, der sich mit naturwissenschaftlichen
Schreibereien oder dergleichen befassen sollte
und schon in seinem Namen etwas Besonderes
an sich trug, eigentlich etwas zwar höchst
Unpassendes und Ehoquantes, aber nach andrer
Seite lag doch auch ein außerordentlicher ljumor
darin, daß eine derartige Persönlichkeit .Land-
graf' hieß. Und Graf Bodo hatte, natürlich
ohne selbst das Wort an ihn gerichtet zu haben,
in einer von dem Betreffenden mit einem
andern seines Standes geführten Unterhaltung
so ungewöhnlich amüsante Aeußerungen an-
gehört, daß ihm der Einfall gekommen, sich
den Namen dieses .Landgrafen' als eines
vielleicht gelegentlich einmal brauchbaren Sujets
aufzunotiren.

Daran erinnerte er sich jetzt, als gerade
wieder die Stimmung des Königs zu melancho-
lischen Betrachtungen stark hinneigte, und er
versprach sich guten Erfolg durch eine Vor-
führung des unwiderstehlich auf die Lach-
mnskeln wirkenden Menschen im Schlosse.
Freilich hätte ein Anderer dies nicht sogleich
zu bewerkstelligen gewußt, doch für seine viel-
erprobte Gewandtheit gab es von vornherein
keine Schwierigkeiten in solcher Richtung. Er
theiltc dem Monarchen mit, daß ein Doktor
Landgraf ein allerunterthänigstes Bittgesuch
um Gewährung einer Audienz eingereicht
habe, und dem Letzteren ließ er Meldung zu-
gehcn, Seine Majestät habe geruht, ihn zu
der und der Stunde zu sich zu bescheiden.
Indem er das Gesuch befürwortete, flocht er
eine leise, geschickte Andeutung ein, der König
werde ihm einige erheiternde Minuten ver-
danken; zugleich entsprach er damit auch dem
Wunsche desselben, nicht ganz unvorbereitet
zu sein, wo sich ihm ein Anlaß zum Geltend-
machen seiner geistigen Ucbcrlegenheit dar-
bietc.

Die Audienz fand nun in Gegenwart des
Grafen Bodo von Dinkelstein statt. Aus einer
Nebenthür her, durch die man auf einem
großen Arbeitstisch angehäufte Papiere wahr-
nahm , trat der Monarch mit wohlwollen-
dem Kopfnicken dem vorgcstelltcn entgegen.
Dieser erwiderte mit einer Verbeugung, die
in täglicher Gesellschaft als eine höflich-schick-
liche zu gelten vermocht hätte, doch dem Sou-
verän gegenüber so unangemessen war, daß
es dem Grafen Bodo schwer fiel, durch Anf-
pressen seiner tadellos weißgepflegten Zahn-
reihe auf die Lippe das Lachen zu verhalten.
Auch sonst erregte ihm die äußere Lrschein-

1897

ung des Bnchschrcibers, allerdings seiner Vor-
aussicht gemäß, einen'hochgradig belustig-
enden Eindruck. Der zu Ejof Beschiedcne hatte
schwarze Kleidung angelegt, doch keinen Frack,
sondern einen Gehrock, und dieser bot nicht
einmal die modernste Fa;on, schien vielmehr
schon öfter getragen worden zu sein. Da-
mit stand auch alles Uebrige im Einklang,
das bürgerlich anständig sein mochte, indcß
auf elegante Repräsentation durchaus keinen
Anspruch erheben konnte. Dem Manne gebrach
es augenscheinlich vollkomincn an tieferem
verständniß des ohne Verdienst ihm zu Lhcil
werdenden großen Moments seines Daseins,
aber diese Komik bildete gewissermaßen eine,
den weiteren Erfolg verheißende Vorbedingung.
Beglückt gewahrte der Kammerherr ein leichtes
Zucken um die Lippe des Fürsten, der jetzt
liebenswürdig die Frage stellte:

„Welches Anliegen führt Sie zu mir?"

Mit ein wenig verwundertem Ton er-
widerte der Angesprochene darauf:

„Ich habe kein Anliegen, Majestät, sondern
die Aufforderung erhalten, mich heute hier
einzufinden."

Ein kurzer Minenausdruck des Königs be-
kundete, daß er zu raschem Auffassen eines
ihm zur Erheiterung bereiteten Scherzes ge-
lange, nnd er versetzte sogleich:

„Ja, ich hegte den Wunsch, Sie persönlich
kennen zu lernen, da mir schon öfter in vortheil-
hafter Weise von Ihnen gesprochen worden.
Sie haben beständig Ihren Aufenthalt in
meiner Residenzstadt?"

„Ich wohne nicht in ihr selbst, Majestät,
ungefähr eine Stunde entfernt auf dem Lande."

„Ah, also ein richtiger Landgraf."

Lin leichtes Lächeln des Monarchen zeigte
Befriedigung an, und er fügte hinzu:

„Sie beschäftigen sich, glaube ich, mit natur-
wissenschaftlichen Dingen. Ich schätze die Natur-
wissenschaft, sie ist anregend und fördernd.
And wie es mir erscheinen will, setzt sie wohl
über Manches hinaus, was für die große
Mehrzahl eine Schranke bildet."

„Gewiß, Majestät, sic folgt ihrem Gesetz."

„Ein Gesetz? Das Wort, däucht mich,
spricht von etwas Allgemeingültigem, das heißt
so viel, als für Alle Geltendem."

„Das sollte es, Majestät, doch es beschränkt
sich in seiner Gültigkeit nur auf eine kleine
Minderzahl."

„Wie benennen Sie dann dies eigenthüm-
liche Gesetz?"

„Die Wahrheit, Majestät, oder ihre Er-
kcnntniß."

„Darin scheint mir ein Widerspruch ent-
halten, auf den ich Sie wohl aufmerksam
machen darf. Denn ich denke, die Wahrheit
ist nicht das Besitzthnm eines Bruchtheils,
sondern vielmehr die Beherrscherin der Welt,"

„Nach meiner Anschauung wird das, was
Eure Majestät unter dem Worte Welt zu-
sammcnfaßt, nicht von der lvahrheit, sondern
von ihrem Gegensatz regiert."

„MH, das ist eine interessante Anschauungs-
weise, die ich mir gern näher begründen lasse;
ich trachte danach, meine Kenntnisse zu er-
weitern. Sic müssen vermnthlich den
Begriff Welt anders auffassen, als
es gewöhnlich geschieht nnd, wie
ich mich zu erinnern meine, von
jeher geschehen ist."

„Line kleine Anzahl von Men-
schen hat dies allerdings von jeher
gethan, Majestät, und immer in
einer völlig anderen Welt gelebt,
als die große Mehrheit."

„Sie versetzen mich in Spannung.
Das geschieht auch in unfern Tagen
noch?"

■290
Register
Christian Wild: Zeichnung ohne Titel
Corvus: Eine Audienz
 
Annotationen