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Nr. 19

JUGEND

1897

Der erste Mai

Von Ludwig Iaeobowski.

„Abtheilung marschDie Bajonette blitzen.
Im Takte tönt der Frühpatrouille Tritt.

Noch sieht er blinken ihrer pelme Spitzen,
Und weit noch hört er den gemeff'nen Schritt.

Nun steht er hier vor seines Kaisers Schlosse,
Im rechten Arm das glänzende Gewehr,
vorüber jagen Kutschen, flinke Rosse,

Und Menschenmaffen schieben sich daher.

Sonst stand er wache nur vorm Schilderhause,
wo die Kaserne auf die Felder schaut.

Nur manchmal wehte von der Stadt Gebrause
Zur engen Vorstadt hin ein schwacher Laut_

... Arbeiter eilen dort in dichten Zügen;
weit öffnen die Fabriken ihr Portal,

Und alte Frauen schwatzen aus den Stiegen,
Und Kinder spielen, überreich an Zahl.

Die Mädchen zieh'» vorbei mit bleichen Mienen,
In dünnen Sommerkleidchcn aus Kattun;
Und ab und zu, von Sonne überschienen,
pockt still ein Bettler, um sich auszuruh'n.
Rollwagen raffeln vorwärts ihre Lasten,

Die armen.Däuser zittern straßenwcit,

Und irgendwo spielt da ein Leierkasten
Tin Lied von Liebestraum und Maicnzeit...

... Da fährt er auf . . .

vor'm Schilderhaus daneben
Lrtönt der wache leiser warnungspfiff.
DerBlick gradaus, kaum daß diewimpern beben;
Nun klappt der Kolben im gewohnten Griff.
Lin junger Lieutenant kommt. Lin läffigGrüßen,
Lrrötheud sieht's die Nachbarin am Arm.
Jetzt klirrt der lose Degen ihm zu Füßen
Und weiter wandern sie im Monschenschwarm.

wie seine Blicke jetzt den Platz umfliegen,
Ls braust um ihn gleich Meereswogenprall.
Lin Blühe» muß schon in den Lüsten liegen,
Denn Sonne, 'Sonne funkelt überall.

Da plötzlich Hallen feierliche Klüngel — :
wie hat er diese Morgenglocken gern.

Lr schaut sich um, doch Niemand im Gedränge
vernimmt den Sonntagsgruh von Gott, dein

pcrrn.

Da fällt ihm ein: „Ls sind doch schlimme

Zeiten l"

Das rief fein Pastor oft im Kirchenstuhl I

C. Schmidt -Hclmhrecht. (München).

„Die Städter sind voll Lasterhaftigkeiten
Und reif für Satans tiefsten Pöllenpfuhll"

Da plötzlich stockpdie frohe Menschenmaffe,
Lin Schwatzen, Pasten, Laufen kreuz und quer.
Nun schreitet langsam, wie durch eine Gaffe,
Mit trotz'gem Blick ein langer Zug daher.

Tiofrothe Nelken nicken von den püten;
Im blutig grellen Schlipse prangt Lassalle;
Ganz junge Mädchen tragen Purpurblüthen
Im Hellen Mieder und am bunten Shawl.

So schreitet langsam die Kolonne;

Nun wandert sie am Kaiserschloß vorbei.

Die ganze Luft ist golden fast vor Sonne,
Denn heut ist Sonntag und der erste Mai.

Da fängt ein junger Bursche an zu lachen:
„Seht nur den Grenadier am Schilderhaus!
Sein Schießgewehr, das soll uns Beine machen;
Der guckt sich fast nach uns die Augen aus!"
Lin zweiter schreit: „Trägt einer Pelm und

Tressen,

Solch' Kerl ans Pommern oder irgendwo,
Der auf dem Lande immer Stroh gefressen, —
Das bleibt ja immer dumm wie Bohnenstroh 1"

Als wären feine Finger Lisenzangen,
Umprcsscn sie das sichere Gewehr.

Nun ist die Schaar an ihm vorbeigegangcn,
Und ein paar Trupps noch ziehen hinterher.
Zuletzt zwei Mädchen in gestreiften Blousen,
Mit lnst'gen Augen, rechtes junges Blut.
Knallrothc Nelken nicken vorn am Busen
Und rothc Schleifen weh'n vom Sommerhut.

Lr schaut sie an und bleibt verwundert

stehe»,

In seinem Blicke glüht cs froh und holl.

Die Braune hatte er schon oft gesehen
weit draußen oft, die kleine Nähmamsell.

Da fährt er auf. . .

vor'm Schilderhaus daneben
(Enteilt die wache ihren lvarnungspfiff.

Den Blick gradaus, kaum daß die Wimpern

beben,

Und wieder klappt der Kolben fest im Griff.

Der Kaiser kommt! . . . pell klingt der Pnf

der Pferde;

Jetzt schießen sie am Schilderhaus vorbei.

Lr steht wie festgewurzelt in der Lrde
Und weithin brauft's von purrah und Geschrei.

;02
Register
Carl Schmidt-Helmbrechts: Zierleiste
Ludwig Jacobowski: Der erste Mai
 
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