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Sommcrltdje Iagdpl andere!
von Anton v. perfall

Jm&p, ömicn Sie sich den deutschen Wald ohne
das Reh denken — abgesehen vom
Kunstverein — den wirklichen, harzduftigen
deutschen Wald — ohne die schemenhaften zarten
Gestalten, wenn die Dämmerung sich über ihn
herabsenkt, über die dunklen Wedel der Tannen,
über die in der. schwülen Luft zerfließenden
wiesen, ohne die leuchtenden rothen Flecken,
wenn das grelle Sonnenlicht sein lustiges Spiel
treibt im Buchengeblätter auf den braunen, tief
verborgenen Tümpeln, — ohne die treuen,
sinnigen Augen zwischen dem Blattwerk her-
vor, die elastischen phantastischen Fluchten durch
das hohe Riedgras?

Gewiß, Tausende können sich den Wald
denken ohne all dies, auch ohne Kukuksruf,
ohne Drosselschlag, ohne die Waldfrau, die
Elfen und Zwerge, ohne Thor und Wotan.
Der Wald besteht für sie ans so und so
viel Klafter Brennholz, und so und so viel
Kubikmeter Nutzholz, alles Uebrige ist von
Uebel und gehört ausgerottet.

Die Waldfrau zum Beispiel, welche geheim-
nißvoll ihre Schleier breitet über wies' und
Tann', in stillen Vollmondnächten. — Lächer-
lich! Nasse Dünste, welche anssteigen aus
Sumpf und Moor; Elfen und Zwerge, sauberes
Gesindel! Rottet brav die nassen Tümpel aus
und das schädliche Wurzelwerk, das ihnen zu
heimlichen Wohnstätten dient! — Schlechte
wirthschaft,. weiter nichts!

Wotan! — Ein sauberer Herr! Kann nichts
als Wipfel knicken in der Sturmnacht, verlegt
ihm durch schlaue Hiebstellung das Handwerk!

Und erst der Rehbock, der Lulturverderber,
der Nimmersatt!

Hinaus mit ihm, schießt ihn, würgt ihn,
er hat kein Recht auf den staatlich geordneten
Wald I Er zerstört hundertmal seinen Werth,
ehe er geschossen wird.

Klare Rechnung! — Und Rechnung ist der
Untergrund aller Dinge. Dhne Rechnung — das
Lhaos! Sie haben ja recht, meine Herren, voll-
kommen recht. Ich streite auch nicht mit Ihnen.
Ich freue mich nur Laie zu sein und den Wald
als Gedanke Gottes lieben zu dürfen, mit Allem,
was darin rauscht und braust, fliegt und kriecht,
liebt und sprießt. — Sie lächeln über die Phrase:
Gedanke Gottes — und Jagd! Auf die geht's
doch hinaus?

Gewiß, die-logische Folge des Gedankens
„Wald" war unbedingt der Gedanke „Jagd."

Ich baue einen Wald, darin werden Ge-
schöpfe wohnen, die werden sich bekriegen, be-
kämpfen, um ihre Nahrung, »in ihr Lager, um
ihre Fortpflanzung. Line Art dieser Geschöpfe
wird sich am besten eignen zu dem Geschäft.

Und siehe da, eines dampfenden Morgens,
erhob sich der erste Mensch vom Lager und
durchzog pürsehend den Wald, — der erste
Jäger I Und der gute Gott freute sich des
kraftstrotzenden, stolzen Gebildes, das so kühn
dahinschritt, blitzenden Auges und die Herr-
schaft gewann über alles Gethier des Waldes.

Ja, heimlich packte ihn selbst die männliche
Lust, und er stieg herab von seinen Höhen
in stillen Nächten und jagte mit seinem Lieb-
ling um die lvette, im Gebirge, in dunklen
Tagen.

Aeonen vergingen, bis der erste Axthieb er-
scholl, — mit ihm flohen die Götter — und
wieder Tausende von Jahren, bis die erste
Nutzung begann. — Und wieder hunderte von
Jahren, bis das erste Forstamt errichtet wurde
und wieder Hunderte von Jahren, bis der
erste Forstrath kam, der da sagte: Die Jagd ist
laut Statistik ein großes Hebel, das wild hat
keine Daseinsberechtigung mehr in: deutschen
Walde. — Aber keine hundert Jahre werden
mehr vergehen, bis der letzte Rehbock fallt. —
Darum lassen Sic mich, de» redseligen späten
Enkel des ersten Pürschers noch Einiges von
ihm erzählen, zu dem Ungezählten von ihm
schon Erzählten, vielleicht findet es seiner Zeit
im Nekrolog des Letzten eine Stätte, im Ne-
krolog, geweiht dem letzten Spießer, geschossen
auf deutscher Au, von Herrn Gemeindejagd-
pächter Hubertus Schinderhuber, zu Knalldorf,
Bezirksamt „Portugal." —

Es gibt verschiedene Arten, ans welche sich
die „Liebe" des Jägers zu dem edlen Rehbock
äußert.

Da ist eine der bequemsten und deshalb von
bereits bejahrten Amateuren bevorzugte — der
Anstand.

Der Liebling hat nämlich die unglückliche
Gewohnheit, auf ziemlich sicherem Wechsel
aus dem schützenden Walde auf seinen Aesungs-
platz zu treten, einen frischen Klee, einen knus-
perigen Haber, eine saftige wiese.

Ja, er pflegt sogar die Zeit bis auf wenige
Minuten, den Vrt des Heraustretens bis auf
wenige Schritte getreulich einzuhalten, wenn
ihn weiter nichts stört.

Da sitzt nun der edle Waidmann, wohlge-
dechtanf bequemem Iagdsessel, bei guten: winde
seine Tigarre oder pfeife schmauchend, und
wartet verschmitzt des großen Angenblicks.

Eine Geis tritt ans den: Walde, sichernd,
den wind nach allen Seiten einziehend, viel-
leicht ein springlustiges Kitz dabei.

Der Waidmann freut sich des schönen An-
blickes, freut sich der Mehrerin des Reviers, des
jungen Nachwuchses.

Der inordlustige Schießer ärgert sicb, daß
es kein Bock ist, wenn auch ein noch so schlechter.

wieder eine viertelstnnde vergeht. Die
Farben der Felder fließen schon ineinander,
der Wald verliert seine scharfen Eontouren, ein
feuchter Dunst steigt auf von der Erde, das
Reh ist nur mehr verschwommen sichtbar, äst,
hebt hoffend jeden Augenblick den Grind.

Da plötzlich — lautlos tritt er heraus.

Das leuchtende Roth hebt sich strenge ab
vom dunklen Hintergrund.

Der Waid m a n n greift vorsichtig nach de:n
Feldstecher, prüft des Gewichtel . . Sechse, —
reif zur Ernte.

Die Büchse eingestochen. Geht's noch bei
dein schwachen Lichte?

Ja. es geht! Der Schuß blitzt ans, in: Gras
schlegelt der Bock mit den Läufen.

Der Schießer greift nicket nach dem Feld-
stecher, muß ja ein Bock sein und wenn's keiner
ist. — na, sterben müssen wir ja Alle.

Er greift zitternd vor Erregung, hastig nach
der Schrotflinte.

Der Bock wirft schon den Grind herum,
stampft zornig mit den Läufen.

was Licht? wird 'hn schon nehmal —

Die Spritze knallt, der Bock verschwindet
im Wald.

Der Schießer kratzt sich hinter dein Dhre
und flucht.

Line Woche darauf findet man den Sechser
in: Wald, halb verfault, von den Füchsen an-
geschnitten, ein Schrot in: Halse.

Ich bin kein Freund von dieser Art; »:ich
stört die Landstraße mit der Pappelallee, das
knarrende Fuhrwerk, der knallende Knecht,
der Fußweg durch die Felder, das alte Weib
mit seiner Last, der heimkehrende Schnitter,
die Dächer des Dorfes, der Kirchthurn: an:
Horizont, das stinnxfsinnige Sitzen, die un-
interessante Entwicklung.

Da ist die freie pürsch doch ein anderes,
vornehmeres Ding.
Register
Anton Frh. v. Perfall: Der Rehbock
Franz Christophe: Zierleiste: Jagd
 
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