Nr. 24
„Adjüs ok Trina!" Kurz und mürrisch ant-
wortete Jan, denn auch Ttjm ist Mancherlei, Ange-
nehmes und Unangenehmes — wegen der kommen-
den Nacht — durch den Kops gefahren. Aber durch
seine herrschsüchtige Mutter ist ihm eine nicht zu
bannende Ehrfurcht vor der Herrschaft des Weibes
beigebracht, daß er auch hier den strengen Willen
anerkennt. Doch — was während' des ganzen Bei-
sammenseins nicht geschah, beim Hinausgehen Jan's
treffen sich beider Augen und ruhen sekundenlang
glühend in einander, die geheime Spannung der
Gemüther verrathend. Die Thür fällt in's Schloß
— ein kurzes, leichtes Geräusch — und Trina weiß
Jan auf nebliger Fahrt.
Behutsam und gleichsam sich vorwärts tastend,
folgte Jan — so gut es ging — den Windungen
des Flusses. Die naßkalte Luft konnte seine Auf-
regung nicht besänftigen; wenn die Gedanken an das
soeben Erlebte mehr zurücklralen, so gaben sie damit
uin so mehr Raum den sich einanver jageirden Be-
sürchtungen über die gegenwärtige Lage. Fort und
fort hörte er die monotone Weise: „Een Ruck, een
Schrie, un allens vorbie." Um sich zu beruhigen und
abzulenken, lachte er über einen ihm gerade ein-
sallenden Soldatenwitz. „Hahaha! De eeneDeern und
de veer Mann! „Haha!" Aber gezwungen, un-
natürlich und unheimlich schrillte die Lache durch die
lautlose Einöde und seine Gedanken kehrten — durch
die Lache gerufen — in die Wirklichkeit zurück. Er
ivar doch schon mehrmals'diesen Weg im Nebel ge-
fahren: Freilich, mtt seinem Bater ober mit dem
zweiten Boot dem Kielwasser seines kundigeren Laters
folgend. Angestrengt, körperlich und seelisch aufgeregt,
arbeitete Jan mit seinem Ruder. Halt! war das nicht
das Plätschern eines auskommenoen Boote??! Die
bisher durch die Kühle zurückgehaltenen Schweiß-
tropfen traten ihm aus die Stirn. Een Ruck, eu
Schrie.... Angespannt lauschte er. — Nichts! Einige
Wasservögel hatten vielleicht das Geräusch verursacht.
Er ruderte weiter. Bald mußte das „söte Lock" er-
reicht sein. So wollte er denn vorher noch einmal
— da der Fluß hier seinen geraden Verlaus nahm —
sich recht „imtt Tüg" legen. Hastend, mit fliegendem
Athem und seiner phlegmatischen Natur ganz ent-
gegen, stieß er daS Schiff vorwärts. Hüllen ihn die
andere» Torsbauern i» dieser Verfassung gesehen: sie
würden ihn für „öberkrvpjch" oder „verrückt" gehalten
haben. So verstrichen zwei, drei Minuten!
Ein Ruck!! War es ihm nicht, als habe er
einen schiveren Körper in's Wasser fallen hören?
Doch nein? Das ivar ans jeden Fall Täuschung,
denn er hätte doch auch einen Laut, einen Schrei
vernehmen müssen, wenn ein menschliches Wesen über
Bord gejallcn wäre. Sein Boot war oben gegen
einen Psahl oder gegen eine alte Uferweide ge-
rannt. Aber streifte da nicht das unheimliche,
schwarze Ungethiim eines leeren Torsschisfes seine
Backbordseite? Leer! ein Schauer schüttelte seinen
Körper. — „Och matt!" redete er sich ein, „dar
is jo nums inne wäsen. So'n Deubelsdcert hett
sin Schipp mal wedda nicht ordentli anbunnen
hadd!" In diesem Aerger schimpfte er noch weiter
und ließ das Boot treiben, wohin es immer wollte.
Der lang gefürchtete Zusammenstoß war glücklich
überstanden und ein siegfreudiges, ruhiges Ge-
fühl durchzog ihn. Hoffentlich halle sein Schiff
keinen Leck bekommen; mochte das andere Boot
vielleicht Schaden erlitten haben und sinken, so
geschah dem unachtsamen Besitzer schon Recht.
Seiner Muthmaßung nach mußte Jan das
„söte Lock" erreicht haben. Schilfrauschen und
ein leichtes Heben der Backbordseite zeigten es
ihm deutlich an. Einige Ruderstöße weiter —
und Sumpsauzeichen am Bug. Also zurück und
mehr nach rechts, der Steuerbordseite, halten.
Erneutes Auslausen auf Schilf und schwanken
Sumpfboden. Aehnliches wiederholte sich mehrere
Male — bald an der Seite, bald vorn, bald
hinten. Rathlos fuhr Jan im Nebel hin und
her, sorgfäliig ein Eindringen seines Bootes in
das Sumpsröhricht vermeidend. Doch jetzt schien
freieres Wasser gelvonuen zu sein: allerdings
hatte es Gegenströmung. Sein Boot halte sich
demnach in den verschiedenen Sumpfarmen ge-
dreht, und so fuhr er wieder stromauf. Diese
Rückfahrt brachte seine Gedanken auf Trina.
Sollte er die Barsche, Abweisende um Ueber-
nachten aus dem „Nadelkissen" bitten oder — um-
kehren und das zwecklose Hin- und Herfahren
im Sumpsbcreich von Neuem beginnen? Er
entschied sich für das elftere. Wenn sie ihn nicht
in der Hütte dulden lvolltc, würde sie ihm doch
lvohl einige alte Decken geben, damit er sich auf
seinem Torfe im Schiff eine Schlasstätte bereiten
könne. —
Trina hatte noch kurze Zeit in Nachdenken
versunken gesessen, ihre aufgeregten Sinne be-
ruhigend. Sie stellte keine großen Betrachtungen
darüber an, ob sie Jan liebte; nur das stand
ihr klar vor dem Bewußtsein, daß ein warmes
Gefühl für ihn, ein jugendlich-natürliches Sehnen
und die von der Mutter ererbten leicht erreg-
baren Sinne sie hatten hinweggerissen, lvcnn sie
sich einen Augenblick weich gezeigt haben würde.
Nachdem sie, wie es etwa nächtlich einkehrender
Gäste halber gewöhnlich geschah, die Flamme
der am Balken hängenden Oellampe klein ge-
schraubt und das Feuer unter dem Kessel zu-
sammcngescharrt hatte, übergab sie sich den über-
reich gestopften Federkissen ihres mächtigen Bette?,
freilich, ohne ruhigen Schlaf zu finden.
. Die holländische Wanduhr setzte gerade zum
Zwölsschlagcn aus, als Trina das Anlaufen
eines BooteS an ihre Insel vernahm.
Freudig glaubte sie an die Ankunft ihres
Vaters. Aber der nltgelvohntc Ruf: „Tri — na!"
blieb aus. Plötzlich durchfuhr sie der Gedanke,
daß derAngekommene mit viel größerer Wahr-
scheinlichkeit, ja wirklich, Jan Sievers sei. Fass-
ungs- und besinnungslos, sprang sie aus dem
Bette und stürzte, nur mit dem Hemde bekleidet,
aus der gegenüberliegenden Thür, diese hinter
sich schließend und sich dann fast betäubt gegen
die Lehmwand des Hauses lehnend. Inzwischen
hatte Jan sein Boot sestgcmacht. Zaghaft näherte
er sich der Thür, um dann aber doch — kecker
werdend — die Hütte zu betreten. Alles ruhig!
befremdend, peinlich ruhig! Er trat ans leere Bett
und lebenswarm strömte es ihm daraus entgegen.
Demnach mußte doch auch Trina noch in der
Nähe sein. Und da lag gar ihre Kleidung auf
dem Stuhle, hier standen die „Huuspantienlcu".
JUG
3 96
D
1897
Der Hüttenraum war bald durchsucht. Sollte
sie draußen sein? Er ging hinaus, um das
Haus herum.
„Wahrastig! Dar steiht se!" Er nähert sich
der regungslos Lehnenden.
„Watt makst Du denn hier?" keine Antwort.
„Gah doch wedder rinn, Trina, gan! anncrs
verkullst du di." Weder Bewegung noch Ant-
wort. Schmeichelnd, zärtlich biltend, legt er seine
Hand aus ihre volle Schulter. „Trina, min
söte Decrn, wenn du mi un dinen Vadder cn
beten lcev hest gah slank rin! Du verkullst di
bit up den Dod!" Tonlos kommen jetzt die
Worte über ihre Lippen: „Jan, nennst du dat
kold?", und sic führt dabei seine Hand an ihre
fieberheiße Wange. Ruhig und willenlos, ohne
Widerstreben, läßt sie sich von seinen starken
Armen umfassen und in's Haus tragen. ‘Stuf der
Schwelle sagt sie matt und klanglos, als letzte
ohnmächtige Abwehr: „Jan, wenn du disse Nacht
hier bleiben wullt, kannst du in Vadder sin
Bedde slapen." — Vater Heinken's Bett stand in
dieser Nacht leer und unberührt in seiner Ecke.-
In der neunten Morgensttmde erst erwachte
das junge Volk auf dem „Nadelkissen". Wer
hätte sie auch ausstören sollen? Die nächsten
Menschen lvohnten drei, vier Stunden weit.
Traumselig lächelnd bereitete Trina den dünnen
Cichorienkaffee. Hatte ihr lieber Jan doch ver-
sprochen, sic zu heirathen. lind da sollte sie um
diese Nacht traurig sein? Die Eltern Sicvers
schienen doch einverstanden und ihr Vater, ihr
herzensguter Vater? Ob der wollte? Natürlich! —
Nach einem tüchtigen Frühstück zu zweien machte
sich Jan freudigen Sinnes mit seinem Boot auf
den Weg zur Stadt. Richtig! Da drüben war
das verwünschte herrenlose Boot angetrieben.
Wenn es sich heute Abend bei seiner Rückkehr
noch vorfand, wollte er es ganz gclviß kapern.
Es war das Boot Gerd Heinken's. Wenige
Meter flußaufwärts lag er selbst im Wasser,
halb verdeckt und umschlungen von Schilf und
Sumpfpflanzen. Eine über Nacht erblühte weiße
Wasserrose hielt stille Todteiuvacht. —
2er Fleck
Nibelungenstroxheii des Oberlehrers Ambrosius
Fuchser, mitgetheilt von Gtto Ernst
Ist großer, hehrer Schiller, ich geh' es gerne zu:
Ilicht nur rin großer Dichter, ein großer
Mensch morst Du.
Du hielt'ft in reinen ihäuürn das hehre ijbeal,
Slnrl das ist stets zu loben, in unl'rrr tiek
gesunkenen -eit zumal.
Doch eins, 0 großer Schiller, gereicht Dir
nicht zur Lhr':
Du reistest ohne Arlaub zur lstänber-premiere.
Wo hielt Drin guter Lage!, 0 Schiller, Dich
versteckt,
Als Du Dich vergingest? Das mar, ach, nie
und nimmermehr korrekt!
Lieh, wen» lo stark Drin Herz Dir nach
jenem Mannheim schlug,
Lo war's nicht mehr als schicklich, um Slr-
laub rin Gesuch
Aul längsgekalztem Logen, mit Achtungs-
strich zuletzt,
Lu schreiben an dir Hohr Lehürbe, welche
Gott Dir vorgeletztI
Anb wenn man bann Dir's abschlug, so Mal-
es sonnenklar,
Daß eg zu Deinem Lrstrn und Schwabens
Wohlr war.
Doch baß Du schwänztest — warst Du auch
zehnmal rin Genie —
Das bleibt rin Fleck, 0 Schiller, in Deiner
sonst so reinen Liographir! — —
Türkische Sinnspi'üche
Bevor sich zum Geben entschlossen der Reiche,
Ist immer der Arme bereits eine Leiche.
21!!' Deine Träume müssen zerstiebe»,
Dein Hoffen kann Dir wenig frommen:
Nur was Dir Gott aufdie Stirn geschrieben,
wird kommen.
Neugriechische Sinnsprüche
Sichst einen Bären Du
Im Nachbargartcn,
Mußt Du im eignen auch
Bald ihn erwarten.
Gar Manchen erst spät die Erfahrung
belehrt:
Die Braut ist die Rosten der Hochzeit
nicht werth.
Mit Verwandten iß und trink und lache,
Niemals aber auch Geschäfte mache.
walachischer Spruch
Vereintes Leid erschwert das Leben Dir;
weit schlimmer: wehe uns! als: wehe mir!
Maximilian Lern.
397
„Adjüs ok Trina!" Kurz und mürrisch ant-
wortete Jan, denn auch Ttjm ist Mancherlei, Ange-
nehmes und Unangenehmes — wegen der kommen-
den Nacht — durch den Kops gefahren. Aber durch
seine herrschsüchtige Mutter ist ihm eine nicht zu
bannende Ehrfurcht vor der Herrschaft des Weibes
beigebracht, daß er auch hier den strengen Willen
anerkennt. Doch — was während' des ganzen Bei-
sammenseins nicht geschah, beim Hinausgehen Jan's
treffen sich beider Augen und ruhen sekundenlang
glühend in einander, die geheime Spannung der
Gemüther verrathend. Die Thür fällt in's Schloß
— ein kurzes, leichtes Geräusch — und Trina weiß
Jan auf nebliger Fahrt.
Behutsam und gleichsam sich vorwärts tastend,
folgte Jan — so gut es ging — den Windungen
des Flusses. Die naßkalte Luft konnte seine Auf-
regung nicht besänftigen; wenn die Gedanken an das
soeben Erlebte mehr zurücklralen, so gaben sie damit
uin so mehr Raum den sich einanver jageirden Be-
sürchtungen über die gegenwärtige Lage. Fort und
fort hörte er die monotone Weise: „Een Ruck, een
Schrie, un allens vorbie." Um sich zu beruhigen und
abzulenken, lachte er über einen ihm gerade ein-
sallenden Soldatenwitz. „Hahaha! De eeneDeern und
de veer Mann! „Haha!" Aber gezwungen, un-
natürlich und unheimlich schrillte die Lache durch die
lautlose Einöde und seine Gedanken kehrten — durch
die Lache gerufen — in die Wirklichkeit zurück. Er
ivar doch schon mehrmals'diesen Weg im Nebel ge-
fahren: Freilich, mtt seinem Bater ober mit dem
zweiten Boot dem Kielwasser seines kundigeren Laters
folgend. Angestrengt, körperlich und seelisch aufgeregt,
arbeitete Jan mit seinem Ruder. Halt! war das nicht
das Plätschern eines auskommenoen Boote??! Die
bisher durch die Kühle zurückgehaltenen Schweiß-
tropfen traten ihm aus die Stirn. Een Ruck, eu
Schrie.... Angespannt lauschte er. — Nichts! Einige
Wasservögel hatten vielleicht das Geräusch verursacht.
Er ruderte weiter. Bald mußte das „söte Lock" er-
reicht sein. So wollte er denn vorher noch einmal
— da der Fluß hier seinen geraden Verlaus nahm —
sich recht „imtt Tüg" legen. Hastend, mit fliegendem
Athem und seiner phlegmatischen Natur ganz ent-
gegen, stieß er daS Schiff vorwärts. Hüllen ihn die
andere» Torsbauern i» dieser Verfassung gesehen: sie
würden ihn für „öberkrvpjch" oder „verrückt" gehalten
haben. So verstrichen zwei, drei Minuten!
Ein Ruck!! War es ihm nicht, als habe er
einen schiveren Körper in's Wasser fallen hören?
Doch nein? Das ivar ans jeden Fall Täuschung,
denn er hätte doch auch einen Laut, einen Schrei
vernehmen müssen, wenn ein menschliches Wesen über
Bord gejallcn wäre. Sein Boot war oben gegen
einen Psahl oder gegen eine alte Uferweide ge-
rannt. Aber streifte da nicht das unheimliche,
schwarze Ungethiim eines leeren Torsschisfes seine
Backbordseite? Leer! ein Schauer schüttelte seinen
Körper. — „Och matt!" redete er sich ein, „dar
is jo nums inne wäsen. So'n Deubelsdcert hett
sin Schipp mal wedda nicht ordentli anbunnen
hadd!" In diesem Aerger schimpfte er noch weiter
und ließ das Boot treiben, wohin es immer wollte.
Der lang gefürchtete Zusammenstoß war glücklich
überstanden und ein siegfreudiges, ruhiges Ge-
fühl durchzog ihn. Hoffentlich halle sein Schiff
keinen Leck bekommen; mochte das andere Boot
vielleicht Schaden erlitten haben und sinken, so
geschah dem unachtsamen Besitzer schon Recht.
Seiner Muthmaßung nach mußte Jan das
„söte Lock" erreicht haben. Schilfrauschen und
ein leichtes Heben der Backbordseite zeigten es
ihm deutlich an. Einige Ruderstöße weiter —
und Sumpsauzeichen am Bug. Also zurück und
mehr nach rechts, der Steuerbordseite, halten.
Erneutes Auslausen auf Schilf und schwanken
Sumpfboden. Aehnliches wiederholte sich mehrere
Male — bald an der Seite, bald vorn, bald
hinten. Rathlos fuhr Jan im Nebel hin und
her, sorgfäliig ein Eindringen seines Bootes in
das Sumpsröhricht vermeidend. Doch jetzt schien
freieres Wasser gelvonuen zu sein: allerdings
hatte es Gegenströmung. Sein Boot halte sich
demnach in den verschiedenen Sumpfarmen ge-
dreht, und so fuhr er wieder stromauf. Diese
Rückfahrt brachte seine Gedanken auf Trina.
Sollte er die Barsche, Abweisende um Ueber-
nachten aus dem „Nadelkissen" bitten oder — um-
kehren und das zwecklose Hin- und Herfahren
im Sumpsbcreich von Neuem beginnen? Er
entschied sich für das elftere. Wenn sie ihn nicht
in der Hütte dulden lvolltc, würde sie ihm doch
lvohl einige alte Decken geben, damit er sich auf
seinem Torfe im Schiff eine Schlasstätte bereiten
könne. —
Trina hatte noch kurze Zeit in Nachdenken
versunken gesessen, ihre aufgeregten Sinne be-
ruhigend. Sie stellte keine großen Betrachtungen
darüber an, ob sie Jan liebte; nur das stand
ihr klar vor dem Bewußtsein, daß ein warmes
Gefühl für ihn, ein jugendlich-natürliches Sehnen
und die von der Mutter ererbten leicht erreg-
baren Sinne sie hatten hinweggerissen, lvcnn sie
sich einen Augenblick weich gezeigt haben würde.
Nachdem sie, wie es etwa nächtlich einkehrender
Gäste halber gewöhnlich geschah, die Flamme
der am Balken hängenden Oellampe klein ge-
schraubt und das Feuer unter dem Kessel zu-
sammcngescharrt hatte, übergab sie sich den über-
reich gestopften Federkissen ihres mächtigen Bette?,
freilich, ohne ruhigen Schlaf zu finden.
. Die holländische Wanduhr setzte gerade zum
Zwölsschlagcn aus, als Trina das Anlaufen
eines BooteS an ihre Insel vernahm.
Freudig glaubte sie an die Ankunft ihres
Vaters. Aber der nltgelvohntc Ruf: „Tri — na!"
blieb aus. Plötzlich durchfuhr sie der Gedanke,
daß derAngekommene mit viel größerer Wahr-
scheinlichkeit, ja wirklich, Jan Sievers sei. Fass-
ungs- und besinnungslos, sprang sie aus dem
Bette und stürzte, nur mit dem Hemde bekleidet,
aus der gegenüberliegenden Thür, diese hinter
sich schließend und sich dann fast betäubt gegen
die Lehmwand des Hauses lehnend. Inzwischen
hatte Jan sein Boot sestgcmacht. Zaghaft näherte
er sich der Thür, um dann aber doch — kecker
werdend — die Hütte zu betreten. Alles ruhig!
befremdend, peinlich ruhig! Er trat ans leere Bett
und lebenswarm strömte es ihm daraus entgegen.
Demnach mußte doch auch Trina noch in der
Nähe sein. Und da lag gar ihre Kleidung auf
dem Stuhle, hier standen die „Huuspantienlcu".
JUG
3 96
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1897
Der Hüttenraum war bald durchsucht. Sollte
sie draußen sein? Er ging hinaus, um das
Haus herum.
„Wahrastig! Dar steiht se!" Er nähert sich
der regungslos Lehnenden.
„Watt makst Du denn hier?" keine Antwort.
„Gah doch wedder rinn, Trina, gan! anncrs
verkullst du di." Weder Bewegung noch Ant-
wort. Schmeichelnd, zärtlich biltend, legt er seine
Hand aus ihre volle Schulter. „Trina, min
söte Decrn, wenn du mi un dinen Vadder cn
beten lcev hest gah slank rin! Du verkullst di
bit up den Dod!" Tonlos kommen jetzt die
Worte über ihre Lippen: „Jan, nennst du dat
kold?", und sic führt dabei seine Hand an ihre
fieberheiße Wange. Ruhig und willenlos, ohne
Widerstreben, läßt sie sich von seinen starken
Armen umfassen und in's Haus tragen. ‘Stuf der
Schwelle sagt sie matt und klanglos, als letzte
ohnmächtige Abwehr: „Jan, wenn du disse Nacht
hier bleiben wullt, kannst du in Vadder sin
Bedde slapen." — Vater Heinken's Bett stand in
dieser Nacht leer und unberührt in seiner Ecke.-
In der neunten Morgensttmde erst erwachte
das junge Volk auf dem „Nadelkissen". Wer
hätte sie auch ausstören sollen? Die nächsten
Menschen lvohnten drei, vier Stunden weit.
Traumselig lächelnd bereitete Trina den dünnen
Cichorienkaffee. Hatte ihr lieber Jan doch ver-
sprochen, sic zu heirathen. lind da sollte sie um
diese Nacht traurig sein? Die Eltern Sicvers
schienen doch einverstanden und ihr Vater, ihr
herzensguter Vater? Ob der wollte? Natürlich! —
Nach einem tüchtigen Frühstück zu zweien machte
sich Jan freudigen Sinnes mit seinem Boot auf
den Weg zur Stadt. Richtig! Da drüben war
das verwünschte herrenlose Boot angetrieben.
Wenn es sich heute Abend bei seiner Rückkehr
noch vorfand, wollte er es ganz gclviß kapern.
Es war das Boot Gerd Heinken's. Wenige
Meter flußaufwärts lag er selbst im Wasser,
halb verdeckt und umschlungen von Schilf und
Sumpfpflanzen. Eine über Nacht erblühte weiße
Wasserrose hielt stille Todteiuvacht. —
2er Fleck
Nibelungenstroxheii des Oberlehrers Ambrosius
Fuchser, mitgetheilt von Gtto Ernst
Ist großer, hehrer Schiller, ich geh' es gerne zu:
Ilicht nur rin großer Dichter, ein großer
Mensch morst Du.
Du hielt'ft in reinen ihäuürn das hehre ijbeal,
Slnrl das ist stets zu loben, in unl'rrr tiek
gesunkenen -eit zumal.
Doch eins, 0 großer Schiller, gereicht Dir
nicht zur Lhr':
Du reistest ohne Arlaub zur lstänber-premiere.
Wo hielt Drin guter Lage!, 0 Schiller, Dich
versteckt,
Als Du Dich vergingest? Das mar, ach, nie
und nimmermehr korrekt!
Lieh, wen» lo stark Drin Herz Dir nach
jenem Mannheim schlug,
Lo war's nicht mehr als schicklich, um Slr-
laub rin Gesuch
Aul längsgekalztem Logen, mit Achtungs-
strich zuletzt,
Lu schreiben an dir Hohr Lehürbe, welche
Gott Dir vorgeletztI
Anb wenn man bann Dir's abschlug, so Mal-
es sonnenklar,
Daß eg zu Deinem Lrstrn und Schwabens
Wohlr war.
Doch baß Du schwänztest — warst Du auch
zehnmal rin Genie —
Das bleibt rin Fleck, 0 Schiller, in Deiner
sonst so reinen Liographir! — —
Türkische Sinnspi'üche
Bevor sich zum Geben entschlossen der Reiche,
Ist immer der Arme bereits eine Leiche.
21!!' Deine Träume müssen zerstiebe»,
Dein Hoffen kann Dir wenig frommen:
Nur was Dir Gott aufdie Stirn geschrieben,
wird kommen.
Neugriechische Sinnsprüche
Sichst einen Bären Du
Im Nachbargartcn,
Mußt Du im eignen auch
Bald ihn erwarten.
Gar Manchen erst spät die Erfahrung
belehrt:
Die Braut ist die Rosten der Hochzeit
nicht werth.
Mit Verwandten iß und trink und lache,
Niemals aber auch Geschäfte mache.
walachischer Spruch
Vereintes Leid erschwert das Leben Dir;
weit schlimmer: wehe uns! als: wehe mir!
Maximilian Lern.
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