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JUGEND

Nr. 25

Doch ihre Gedanken beruhigten sich nicht.

„Weisst Du,“ sagte sie, „der Priester ist
gekommen. Ich bin verloren!“

Dann, ohne dass ich meine Bewegung
zu heucheln oder meine Worte zu überlegen
brauchte, entging mir der Satz: „Oh, liebe
Jane, bitte, sprich nicht so. Wir werden
Dich heilen, Du sollst sehen, ich bin ganz
sicher.“

Aber ohne Notiz von meinen Worten zu
nehmen, fuhr sie fort: „Setze Dich dorthin,
gib mir die Hand.“

Ich nahm ihre kleinen, fieberglühenden
Finger in die meinigen. Dann murmelte
sie: „Jetzt ist mir wohl, ganz wohl.“ Sie
schien einzuschlummern. Ihr Vater hielt sich
am Fassende des Bettes aufrecht. Meine
jetzt an das Halbdunkel gewöhnten Augen
unterschieden in einem Lehnstuhl eine
zusammengekauerte, dunkle Gestalt: ohne
Zweifel ihre Mutter.

Erst in diesem Augenblicke dachte ich
an die Seltsamkeit meiner Lage: an diese
junge, mir vor einer Stunde völlig unbe-
kannte Frau, welche hier im Fieberwahn mir
ihre zärtlichsten Gedanken und Gefühle offen-
barte: ich dachte an ihren Gatten, der mög-
licherweise eintreten und mich an seiner
Stelle finden konnte, meine Hand in der
seiner Gattin.

Aber alle Eifersucht würde vor dem Kum-
mer und der Sorge um das geliebte Leben
schwinden; so sehr verändert die Nähe des
Todes jede Lebensanschauung.

Mittlerweile erwachte die junge Frau mehr-
mals aus ihrem Schlummer, und ihre Träume
mochten die Erinnerung fieberhaft erregen.
— Denkst Du noch daran, als wir am Tage
nach unserer Hochzeit in Dieppe ankamen?
Es war Nacht, und unser Fenster ging nach
dem Strande hin. Weisst Du noch, wie Du
geöffnet hast und der Mond fast auf unser
Bett schien?

Sie versuchte ein herzzerreißendes Lachen
und presste meine Hand krampfhaft, wie um
mich zur Fortsetzung dieser Erinnerungen zu
veranlassen.

Ich bat sie inständigst ganz leise, sich doch
nicht aufzuregen und gab mir alle Mühe, die-
ses Zurückrufen einer Vergangenheit, an der
ich doch nicht betheiligt war, nicht weiter
fortzusetzen, um nicht selbst noch tiefer in
diese Intimität eingeweiht zu werden. Aber
gleichzeitig fürchtete ich auch, durch meine
Bitten ihren Argwohn wachzurufen und da-
durch dieses gebrechliche Lügengespinnst zu
zertrümmern, das doch ihre letzten Stunden
so offenbar beruhigte und verschönte.

Einmal sagte sie mir noch:

„Ich bin so sehr traurig, Dir kein Kind
zu hinterlassen, etwas, das uns beiden gehört.
Wie kurz ist doch ein Jahr der Verheiratung!“

* äf *

Ich hegte den feigen Wunsch, zu ent-
fliehen, nicht- mehr da zu sein, so schmerz-
lich waren mir diese Geständnisse. Und die
Stunden verflossen so langsam, diese stillen
Stunden, die das unaufhörliche Ticktack der
Uhren noch länger erscheinen Hess. Zwischen


b, Dannenberg,

meinen Händen fühlte ich das Blut ihrer Adern
sehr schnell und ungestüm, dann wieder
schwach und langsam schlagen, so wie das
Herz eines kleinen Vogels schlägt, den man
gefangen zwischen den Fingern hält

Ich war so gerührt von dieser Traurig-
keit, diesen Geständnissen, diesem Zwang,
dass ich, der eingefleischte Junggeselle, dazu
gelangte, mich im Geiste an die Stelle des
Abwesenden zu versetzen und schliesslich alle
Angst eines Gatten empfand, denselben tliör-
ichten Wunsch, diese unglückliche, kranke
Frau dem Tode zu entreißen.

Aber es schlug 5 Uhr. Ich musste nach
dem Versammlungsort meiner Batterie eilen.
Mit unendlicher Vorsicht benutzte ich den
Schlummer, um meine Hand aus der ihrigen
zu befreien, griisste wortlos die beiden Alten,
die mir mit bewegten Mienen dankten, ver-
ließ das Haus und . . . weinte ganz laut draris-
sen in den öden, grauen Strassen.

Und dann? Und dann brachte uns der
Tagesmarsch zehn Meilen weiter fort. Nach
beendetem Manöver nahm ich einen dreissig-
tägigen Urlaub, den ich in meiner Heimath
verbrachte. Erst am Schlüsse desselben reiste
ich ab, um diejenigen wiederzusehen, denen
ich auf eine so besondere Art einen Dienst
erwiesen hatte.

Ich langte mit trauriger Miene an, aber
der Vater eilte mir mit freudestrahlendem
Gesicht und ausgebreiteten Armen entgegen.
Seine Tochter war nicht gestorben. Nur der
einige Stunden nach meinem Fortgehen an-
gekommene Gatte wusste um unsern harm-
losen Betrug. Die junge Frau selbst hat es
nie erfahren.

„Sehen Sie dorthin und betrachten Sie
sie“, sagte mir der Vater. Dabei hob er
den Vorhang eines nach dem Garten geh-
enden Fensters auf. In rosa gekleidet auf
einem Ruhebett liegend, genoss sie, über ein
Blumenbouquet geneigt, das wiedergeschenkte
Leben.

Und eine ganze lange Nacht hindurch
hatte ich ihre zarte Hand in der meinigen
gehalten und sie schwächer werden fühlen.
Sie hatte mir ihre, wie sie glaubte, letzten
Geständnisse abgelegt, mir ihre letzten Küsse
gegeben.

Eine ganze Nacht waren wir uns nahe ge-
blieben, vereint vör dem Tode .... und sie
würde mich nicht erkennen!

Ich wiederholte mir den Satz: Sie würde
mich nicht wiedererkennen! Mein Gesicht
würde keine Erinnerung herauf beschwören,
keinen Gedanken an jene Nacht in ihr wach-
rufen !

Aber als ihr Vater mir fröhlich vorschlug:
„Wollen Sie, dass ich Sie als einen Freund
meines Schwiegersohnes vorstelle?“ — da
schien es mir plötzlich, dass es, wie soll ich
sagen, eine laktlosigkeit sein würde, mit ihr
am hellen lafge, in voller Gesundheit zu
sprechen, nachdem ich sie so im Leiden und
in der Nacht gekannt hatte.

Von diesem eigenthümlichen Gefühl be-
wegt, antwortete ich deshalb:

„Nein, ich möchte Heber fortgehen, wenn
Sie erlauben. Adieu!“

(Aus d. brauiösischcn übersetzt v. J. B.)

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