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1897

*

JUGEND

ö

Nr. 25

Perseus und Andromeda Chr. mu (München).

„3a, er war schon ganz voll — von wich-
tigen Notizen!"

Zum Glück fand er sich zwei Tage später
in der Mülltonne.

Lin paar Briefe waren sofort zn beantworten.

„Nelly!" — Ich glaube, es klang schon
etwas rauher.

„Aber, was gibt es denn wieder, Schah?"

„Thut mir leid, daß ich Dich schon wieder
plagen muß, aber id/ finde kein Briefpapier.
Früher war das hier in der Lederstellage, so
praktisch . . ."

„Undverstaubt! Sehr praktisch! Iehtsiuddie
Briefbogen alle in der dritten Schublade links und
die Touvcrts in der ersten Schublade rechts!"

Ad/ ja, da lagen sie! Und jede Gattung
von Briefbogen und Couverts war mit einem
andersfarbigen Seidenbändchen zugcbunden.
Man brauchte nur die Rnoten aufzumachen.
So einfad/1

„Danke, mein Rind!" Id/ wollte anfangen
zu fd/reiben.,Relly!"

„Aber was hast Du denn schon wieder?"

„l/ier ist ja nid/t ein Tropfen Tinte!"

„IDcnu Du mir gesehen hättest, wie das
Tintenfaß aussah I wir haben es putzen
müssen, innen und außen. Das Mädchen
geht übrigens ohnehin zum Fleisd/cr, da kann
sie Tinte mitnehmen."

Lndlid/ war der unglückselige Schreibsaft
zur Stelle; eine violette, parfümirte „Salon-
tinte", statt der gewohnten soliden, gut schwarzen
Sorte! lind id; schrieb, zwei, drei, vier Briefe ...

„Relly!" — „Aber, was . . . ."

„wo ist denn mein Briefmarkenkäftd/en?"

„Das hübsd/e japanische?" — „Eben dies!"

„Sei nid/t böse, lieber Sd/atz, aber cs ist
wirklid/ zn Sd/adc für das Ding! Da habe
ich's auf meinen Toilettetisch für die l/aar-
nadeln gestellt!" —„Und die Briefmarken?"

„Sind dort in der Sd/ale."

„Richtig! Unter Stecknadeln, einigen Patent-
hosenknöpfen , System , Innggesellenmonne',
Reißnägeln, Gummistückchen, k/eftklammern,
Lravattenhaltcrn u. s. w."

Und so weiter mit Grazie!

Statt der gespitzten alten Bleistifte sind
neue da, aber ungespitzte!

Lin Rlecks fällt auf das Papier. Rein
Wunder! Man muß ja nervös werden!

„Das Radirmeffer?"

„Ja, wo denn! warte nur! Gleid/! Rich-
tig! In meinem Rähtisch, cs ist so praktisd/
zum Trennen!" — „Mein Lineal?"

„k/ängt an einem rothen Bändd/e» auf
der linken „Sd/attcnscite" des Schreibtisches —
Alles hat seinen guten Platz."

„Das Gummi arabicum?"

„Ad/, wo denn nur? — Ja, richtig! Marie
hat cs gebraucht, um die Papierspitzen im
Rüd/enschrankanznkleben."—„Mein Falzbein?"

„Das sd/öngesd/nihte mit dem Wappen?
Aber das ist dod/ zu gut zum Gebrauch. Id/
habe es auf den Pfeilcrtisch im Salon gelegt."

„Die Stahlfedern?"

„Da, in deinem alten visitkartenkästchen."

„Der Tintenlöscher?"

„In jener Bonbonschachtcl. weißt du noch?
Die Bonboniere war dein erstes Geschenk als
Bräutigam."

Rann man ihr böse sein?

„Und nun meine Manuscrixta! Id/ habe
die Gewohnheit, an vielen Dingen gleichzeitig
zu arbeiten, alle Linfälle einzeln auf Blätter
und Zettel zu schreiben und offen vor mir
liegen zu lassen, um nichts zu vergessen Dieser
Wust von Blättern und Blättchen, Bogen und
Zetteld/en liegt dann im übersichtlid/sten Durch-
einander um meine Sd/reibunterlage herum und
id/ finde, was id/ davon brauche, ohnejede Mühe.

Und jetzt! Natürlich ist and/ das aufge-
räumt! Darauf war ich ja gefaßt! Aber
wie! Alles ist in die neuen Schubladen meines
Sd-reibtisd/cs veriheilt und uad; so klarem,
zweckmäßigem System. Die größten Blätter
in der große» Mittelschublade, die kleinsten in
den Schublädchcn dos Aufsatzes! Das Mittel-
großei erste Sd/nblade links und zweite red/ts.

Id/ mache mid/ daran, Alles auseinander-
zuwirren. Ans sieben verschiedenen weltge-
geiiden sammle ich mir das fertige Concept
einer Novelle zurecht;, ganz links oben im
Sd/reibtisd/e ist das erste Reimpaar eines Lpi-
gramms und ganz rechts unten das zweite.
Nicht zwei Seiten, die zusammen gehören, lie-
gen and/ zusammen. Linige Notizbücher mit
recht wichtigen Vorstudien für eine größere
Arbeit finde ich im Büchersd/rank. Lin l/eftchen
mit Lyrik ist nicht zu entdecken, „ein l/eft in
schwarzer Wachsleinwand mit rothem Schnitt?"

„So groß?"

„3a, so groß."

„Ad/ Gott — nimm es mir nicht übel!
Id/ habe es von der falschen Seite aufgemad/t
und meinte, es sei leer — und da Hab' ich
es der Marie für die Rüchenrcchnung gegeben!
l/offentlich hat sie die gebrauchten Blätter
nicht herausgeriffenl"

„Die gebrauchten Blätter! f/offciitlid/1 Die
ganze lyrische Lrnte meiner Bräutigamszeit!"

Ltliche kürzere Skizzen und unscheinbare
Zettel haben and/ den weg in den Papierkorb
gefunden — ja richtig, mein schöner, großer
bequemer Papierkorb, wo ist denn der?

Meine Frau hat das unelegante Möbel
feinem angcborncn Zweck entfremdet und zum
Behälter für schmutzige Wäsche ernannt.

„Ulan hat diese großen Papierkörbe gar
nid/t mehr."

Und da steht nun ein winziges Ding, nicht
viel größer als ein umgestülpter Strohhnt. Die
Ausbeute eines Morgens füllt ihn bis zum Rand!

Meine Arbeitslust ist vergangen. Nur uad/
die Briefe fertig gcmad/t und dann in die
frischd Luft!

„Liebe Frau, das Siegellack?"

Die Sanftheit meiner Frage hat einen un-
ausstehlichen Beiklang von Resignation.

„Dort in der Zigarrenschad/tel."

Stimmt! Neben einem Rest von Cigarren,
einem Federwischer, einem Gummistempel und
einem Fläschchen rothcr Tinte, das seinen In-
halt zn k/älstc Über die Cigarren entleert hat.

Nach meinem Sicgclstöckchen frage id/ nicht
mehr. Daß das hübsche Ding mit dem alten
pörzellanknanf unter den Rokokonippes im
Boudoir meiner Frau stehen wird, weiß id/ nun
schon, Dafür schmückt meinen Scbreibtisd/ eine
Unzahl gestickter Deckchen, ein Miniatnrporträt
meiner Schwiegermama ans ihrer Jugendzeit,
eilt Kätzchen ans Papiermache, eine Messing-
streitaxt mit Thermometer und ein Aneroid
mit einem Schäseridyll aus bronziertem Zink.

Seufzend werfe id/ im Fortgehen einen weh-
klagenden Blick auf meine gestörte Arbeitsstätte.

„Du bist gereizt, Robert," sagt die kleine
Frau weinerlich — „aber aufräumen muß
man doch I"

„Aufräumen!" Lob

4-;
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Christian Wild: Perseus und Andromeda
 
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