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Nr. 25

JUGEND

1897

„Mer weiß," niuthmaßte Hanns kaustisch,
„Du hast vielleicht zu hohe Anforderungen
gestellt?"

„Mein Gott," meinte der andere, „es war
mein Traum, eine schöne Frau zu finden, die
mich liebte lind mir treu wäre. Ist das so viel?"

„Gewiß uichtl"

„Nun denn, ich fand sie nicht. Und an mir
lag, Gott weiß es. nicht die Schuld: Ich habe
eine Unzahl Frauen geliebt, um auf die Rechte
zu kommen. Ich scheute keine Mühe, keine
Ausgabe, keine Gefahr, um einer Frau Ge-
legenheit zu geben, mir treu zu werden. Ich
habe weite Reisen unterilommcn zu diesem
Zweck. Die ganze gesittete Welt habe ich
durchkreuzt.... Aber alles war umsonst: Ich
wurde immer betrogen, bei den verschiedenartig-
sten Gelegenheiten, auf jede nur denkbare Art.
Mich haben schöne Frauen in jedem Alter be-
trogen : leichtsinnige junge Mädchen, ernste
Bräute . . ."

„Anderer — natürlich?"

„Natürlich — anderer. — Und ehrenfeste
Familienmütter. Mich haben Frank» aller
Stände, aller Berufe verralhen: Bürgerinnen
und Fürstinnen, ja sogar einmal eine Herzogin.
Ich wurde hintergangen bei Tag und bei Nacht,
im Lenze, im Herbste, zu Hause, auf Reisen, z»
Master und zu Lande, itt Lalabrien und in
Skandinavien, itt jeder größeren Stadt des Eon-
tinents mindestens einmal, in den Meltstädten
natürlich entsprechend öfter."

Er hielt erschöpft inneund klopfte die Asche
von der Ligarre.

„Und siehst Du," fuhr er fort, „ich gab
trotz alledem die Hoffnung lange Zeit nicht auf.
Denn trotz aller Erfahrungen, trotz aller Ver-
sicherungen meiner skeptischen Freunde, lebte
in mir der Glaube an die Treue. Unverwüst-
lich, unbesiegbar blühte er immer wieder ans
den Trümmern meines Glückes enipor, wie in
Ruinen die blauen Blumen mit jedem Früh-
jahr auf's Neue erblüh'» ... Ls muß doch
schön sein, denke ich »och heute, an der Seite
eines liebenden Weibes zu lebe» ..."

Der Staatsanwalt ,machte eine abwehrcnde
Bewegung.

„Solange man jung ist, freilich, hilft man
sich über diesen Mangel hinweg. Aber ich bitte
Dich, man kommt in ein Alter, wo man die
Gasthausküche nicht mehr verträgt. Ich meine,
in jeder Beziehung . . . Und dann muß es
doch verteufelt wohlthun, sich von einer Frau
den Thce bereiten zu lasten, mit der man zu-
sanimen jung gewesen."

Der Staatsanwalt runzelte die Brauen.
Aber der Romancier lächelte geschickt einem
trübseligen Ende entgegen.

„Ich habe verzichtet," hauchte er. „Das
Jagen hititer den Träumen hat mich müde
gemacht. Ich gebe den Jüngeren Platz. Und
ein Trost liegt ja immerhin in der Gewißheit,
daß es keinem von uns Männern besser ergeht.
Das Märchen von der Treue, gehört zu den
ewigen Märchen. Und es ist iminer dasselbe
Märchen, süß und verlogen, das uns alle narrt.
Ich aber habe cs zu Ende gelesen und kenne
seinen melancholischen Schluß."

Linen Augenblick schloß der müde Paul
seine dunkeln Augen; dann griff er in weicher
Mehmnth nach dem Weinglase.

Aber Hanns hatte mit steigender Erbitter-
ung dem wehleidigen Alageliede seines Freun-
des zugehört. Nun fuhr er auf:

„Ich bitte Dich, mein lieber Paul, bedanre
Dich nicht allzusehr! Dein Märchen von der
Treue rührt mich nicht. Aber in Wahrheit gibt
cs zwei Märchen von der Treue, und preise
Dich glücklich, mein melancholischer Freund,
daß Du nicht, wie ich, dies zweite erlebt und
erfahren. Denn Dein Märchen war wenigstens

A. Weisgerber.

bis zum Schluffe amüsant, das andere aber,
das meine, ist von Anbeginn tieftranrig lang-
weilig. Und was den Ausgang anbelangt,
so ist der beim ersten lange nicht so melancho-
lisch, wie beim zweiten. Sich' mich ein wenig
an, mein schöner Paul: Ich bin ein gebrochener,
alter Mann, nicht wahr? Und das hat er
aus mir gemacht, der trübe Ansgang jenes
zweiten Märchens von der Treue, das ich er-
lebt. — Jawohl."

Gierigen Blickes hing der Romanschrift-
steller an den Lippen seines Ingendfrenndes.

„Ganz im Gegensatz zu Dir," fuhr jener
fort, „war ich immer ein verbissener Fiancn-
feind. Line Zeitlang bin ja auch ich den
Weibern nachgelaufen; aber ich glaube heute,
es geschah hauptsächlich, nin mich Über sie lustig
zu machen."

„Ich glaube nicht!"

„Thaisache ist jedenfalls, daß ich niemals
geliebt habe. Heute bin ich stolz darauf. Aber

es gab eine Zeit — damals,-Du weißt

schon -— da ich mich dessen heimlich schämte.
Laut spottete ich über die Liebe und all ihre
faden Lächerlichkeiten und einfältigen Duinnr-
heiten. Aber rechts und links von mir wurde
geliebt. Alle ineine Freunde hatten jahrelang
nichts anderes zu thnn, als mir von den Süßig-
keiten der Liebe zu erzählen. Und ich stand
in ihrer Mitte, Du weißt es, immer mit dem
gleichen boshaften Lächeln, mit dem ich ihre
Anpreisungen und die unvernünftige Stimme
in der eignen Brust bekämpfte. Und ich war
jung — es ist beschämend so etwas eingestehen
z» müssen — aber ich war jung. Zudcni über-
fiel mich gar bald die Höllenpein aller Satiriker,
die fürchterliche Langeweile. Das Leben hatte
keinen Reiz, keinen Zauber für mich, der ich
es kannte. B, das Leben rächt sich an denen,
die es kennen! Line-Zeitlang fühlte ich mich
sterbenselend. Dann griff ich auf einmal, wie
der berüchtigte Ertrinkende nach dem Stroh-
halm, nach dem Begriff der Liebe. Eine
neidische Sehnsucht nach thörichten Zärtlich-
keiten erwachte in meiner beschäftigungslosen
Seele."

„Und wenn ich inich nicht irre, so hieß
sie Mary."

„Du irrst ebenso, wie ich irrte: Sie hieß
Maria. Nur ans Gewohnheit nannte ich sie
auch später noch Mary. Denn sie war es nicht
mehr. — Aber da ich sie kennen lernte, dachte
ich bei mir: Ls wäre vielleicht eine Zerstren-
nng, wenn ich inich in die verlieben könnte!
Dies hielt ich für um so ungefährlicher, als
ich von der Untreue meiner künftigen Geliebten
von allem Anfang an vollständig überzeugt
war. Aber schon nach wenigen Wochen mittel-
alterlicher Galanterien, bemerkte ich, daß sie
mir eigentlich ganz glcichgiltig sei, wie alles
ans der lVelt. Nun fand ich auch, daß sie
gar nicht besonders hübsch, hingegen sehr 611111111
und lächerlich kindisch sei. Da ich schon ein
wenig verwickelt war, wollte ich mich schleunigst
wiederum znrückzichen. Leider war das gerade
eine Mondnacht im Mai, die ich dazu gewählt
hatte, mich znrückznziehen. Vom magische»
Mondlicht umflossen, überlegte ich also, was
da zu thnn sei. Schließlich entschloß ich mich,
und sagte ihr, daß ich ihrer nicht werth sei.
Da sah sie mich so seelenvoll an, daß ich so-
fort mit Entsetze» die Beobachtung machte,
diese Beinerkniig habe mir ihr Herz vollständig
gewonnen. In diesem Augenblicke barg sich der
Mond hinter einer Wolke, und ein kühler Nacht-
wind strich an uns vorüber. Mich fröstelte.
Aber ich glaube, auch ohne Nachtwind hätte
mich gefröstelt.

L„Und nun gestand sie mir, in meinen Arni
geschmiegt, welche unbegrenzte Hochachtung sie
mir entgegenbringe. Sorgenvoll neigte ick das

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Albert Weisgerber: Zierleiste: Pan und Frosch
 
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