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Nr. 25

JUGEND

1897

Haupt, und als der Mond wieder hervorkam, da
schwor sie mir, der ich diesen Schwur durchaus
nicht wünschte, daß sie mir allein angchören
wolle und daß sie mir ewig treu bleiben werde.
Zum andernmale fröstelte mich. Aber was
sollte ich thun? Ich konnte dem reizenden
Mädchen in meinen Armen doch umnöglich
sagen, daß sie sich um meinetwegen nur ja
keine Angelegenheit machen solle, und sich um
Gotteswillen nicht die Mühe geben solle, mir
ewige Treue zu bewahren! Und da sie ihre
Arme »in meinen Nacken schlang und ihre
weiße Stirn gegen die Matte meiner rechten
Rockhälfte preßte, mußte ich ihr sogar anstands-
halber über das wellige braune Haar fahren
und ihr bewegt ins rosige Ghr flüstern: ,Du
süßes Aind'. Das war nun eine sehr un-
überlegte Bemerkung, denn sofort behauptete
sic, ich hätte unendlich viel Gcmüth und ein
licbebedürftiges Herz. Ich wollte energisch
widersprechen, aber mit einer unendlich herzigen
Bewegung preßte sie mir ihre Hände, die ihr
selbst sehr klein vorkamen, auf den Mund und
rief: ,D Du Böser, Du willst Dich immer
schlechter machen als Du bist. Aber ich kenne
Dich. Was Du auch sagst und thust, ich weiß,
daß Du mich liebst!' Da war ich wehrlos:
denn ich brachte es nicht über mich, ihr zu
versichern, daß ich ein charakterloser Schurke
sei. Ich nahm sie gefaßt in meine Arme.
Line Nachtigall schlug in der Ferne, und
meine Seele war mild. Ich fügte mic^ also
in unsere süße Liebe und dachte bei jedem
heißen Kuß: kommt Zeit, kommt Rath. Mich
hielt die Hoffnung aufrecht, daß sie sich ja
doch endlich' einmal langweilen und sie an
einem Anderen Gefallen sinden werde. Aber
vorderhand blieb sie mir treu, unsäglich treu.
Ich kam oft mit ihr zusammen und redete
kein Mort; dann behauptete sie, ich gehörte
eben auch zu jenen Menschen, die nicht sprechen
können, wenn sie am meisten empfinden. Mas
sollte ich entgegnen? — Ich lächelte schmerz-
lich. Ich kam oft wochenlang nicht zu unserem
Stelldichein und ließ ihre lächerlichen Briefe
unbeantwortet. Dann schrieb sie mir, sie wisse
recht gut, daß cs Ldelmuth und Lharakter-
größe von mir fei, wenn ich sie absichtlich
miede, weil ich es nicht verantworten wollte,
daß sie meinethalben andere, glänzendere Be-
werbungen ausschlüge. Allein ich sollte getrost
das Vxfer annehmen, das ihre Liebe mir
brächte; es koste ihr auch gar keine Ueber-
windung, denn sie lebe ja nur für mich, und
sie werde auf mich warten und sollte cs zehn
Jahre dauern, und sie werde mir treu bleiben,
treu, treu, treu — ihr ganzes Leben lang. —
wenn ich Dir sage, daß ich schäumte, so ist
das nur ein schwacher, hinfälliger Ausdruck
unserer armen Sprache.

„Da ich promovirte, dauerte die Geschichte
schon an zwei Jahre, und ich konnte Mary
nicht los werden. Aber noch immer gab ich
die Hoffnung nicht auf. Denn unverwüstlich,
unausrottbar lebte in mir der Glaube an die
Untreue der Weiber. Und aus jedem neuen
Treubeweis meiner Geliebten blühte er lockend
aufs Neue empor, gleich jenen holden blauen
Blumen, so in Ruinen blühen . . . Fortan
sann ich auf Mittel, ihr Gelegenheit zu geben,
mir die Treue zu brechen. Ich scheute keine
Mühe, keine Gefahr, ich machte weite Reisen
zu diesem Zweck. Zunächst stellte ich sie den
empfänglichsten meiner Freunde vor. Umsonst.
Mit meinem Lollegen Arthur, der ein notori-
scher Wüstling war, sprach sie von nichts als
von mir, von meinem weichen Gemüth, von
meinem edlen, vornehmen Charakter, so daß
der arme Mensch wüthend zu mir kam und
von mir Rechenschaft verlangte. Mit einem
Worte, sie blieb mir treu.

„Ich suchte meine Bildung zu erweitern,
indem ich auf Reisen ging. Aber so oft ich
nach Hause kam, fand ich drei Briefe von
meiner treuen Mary.

„In meiner Verzweiflung erinnerte ich
mich damals, daß es für meine Larriere un-
erläßlich sei, französische Rechtsgeschichte an der
Duelle zu studieren. Ich riß mich von meiner
Geliebten los und siedelte nach Paris über.
Und schon röthcten sich meine Wangen, mein
Appetit besserte sich, meine Nerven beruhigten
sich, kurzum, ich blühte auf, als ich eines Tages
auf dem öoulevarä äes Italiens meine treue
Mary treffe. Du kannst dir meine ansgelassene
Freude vorstellen. Sie war in Gesellschaft
einer älteren Dame, einer Pariser Tante, auf
die ich bei der Wahl meines Studiums ganz
vergessen hatte. Sofort stellte mich meine kleine
Mary als ihren heimlichen verlobten vor.
Mir wurde unheimlich zu Muthe; allein ich
hielt es nicht für schicklich, in Anwesenheit
einer fremden Dame zu widersprechen. Schon
nach wenigen Tagen gab mir die nachsichtige
Tante ihren Segen. Da kehrte ich gebrochen

DOLO

ROSO

in meine Heimat zurück. Natürlich auch
Mary, denn sie war ja nur zu Besuch gewesen.
Aber seither waren wir offiziell verlobt.

„Und Jahr auf Jahr verging und Mary
wurde immer weniger hübsch. Ich sah diesem
verfall ihrer Schönheit nicht ohne heimliches
Grauen zu. Denn mit jeder Falte, die sie
mehr bekam, mit jeder Plombe ihrer Zähne,
mit jedem Kilogramm, das sie abnahm, ver-
ringerte sich meine Hoffnung auf eine etwaige,
wenn auch verspätete Treulosigkeit. Ach, wie
habe ich gedürstet, gebangt, gelechzt nach einem
solchen Bruche der Treue, wie habe ich bei
Tage darüber gesonnen, bei Nacht davon ge-
träumt! Umsonst! Umsonst I Das harte Leben
hat es anders gefügt: Sie war, sie blieb die
Meine. Und als gar nichts mehr an ihr war,
als sie verblüht, verwelkt und der letzte Funke
meiner Hoffnung erloschen war, da mußte ich
mich entschließen, als charaktervoller Mann z»
halten, was sie versprochen, da mußte ich
die Iugendgelicbte zum Altäre führen. — Den
Abend nach unserer Trauung, ich werde ihn
nie vergessen: wie sie ihre mageren Arme
um mein Genick schlang und an meinem Halse
schluchzte, wie stolz sie sei, wie selig, daß sie in
Treue ausgeharrt und nun die Meine sei..."

Linen Augenblick hielt der graue Hanns
inne und fuhr sich über die Augen. Ergriffen
schwieg auch der Romancier; kein Wunder,
daß draußen der Herbstabend dämmerte.

Aber plötzlich fuhr der magenleidende
Staatsanwalt empor und mit einem Tempera-
mente, wie er es sonst nur bei doppelten Raub-
morden ausgab, wandte er sich an den schönen
Paul: „Und da kommst Du mir nun und singst
mir Dein larmoyantes Lied von der weiber-
treue! was ist Dein Jammer gegen den
meinen? Daß einen die Frauen betrügen,
kommt in jeder Stunde hundertmal vor, aber
daß einem eine das ganze Leben hindurch treu
bleibt, in hundert Jahren einmal. Dich hat
das Leben enttäuscht, weil Du thöricht an die
Treue geglaubt, aber mich, der ich so klug
auf die Untreue gerechnet, hat es vernichtet.
Sieh Dich an und mich! Du, der Du ein
Menschenalter Liebe hinter Dir hast, ein blühen-
der, gesunder, junger Mann, ich, der ich nur
Mary kannte, ein gebrochener, siecher Greis.
Du, der Frauenhold, den die Untreue der
Weiber erhielt, ich, der Frauenfeind, den ihre
Treue brachI Und nun urthcilc selbst: wer
ist der Unglücklichere von uns beiden, wem
hat das Leben böser mitgespielt und wer weiß
es trauriger zu erzählen, Du oder ich, das
traurige Märchen von der Treue l?

R. Aiieriihetmer.

Sommerlied

Singe, meine liebe Seele,

Denn der Sommer lacht.

Alle Farben sind voll Feuer,

Alle Welt ist eine Scheuer,

Alle Frucht ist aufgewacht.

Singe, meine liebe Seele,

Denn das Glück ist da.

Zwischen Aehren, welch’ ein Schreiten!
Flimmernd tanzen alle Weiten,

Gott singt selbst Hallelujah.

Otto Julius Bierbaum.

420
Index
Walter Caspari: Doloroso
Otto Julius Bierbaum: Sommerlied
 
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