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1897

Nr. 26

JUGEND •

gut auswendig gelernt, dass in einem
Sommer draussen auf dem Lande ein
fünfjähriger Knirps hervortrat und zur
alten Grossmutter Bertha, die sich auf
einen Treppenabsatz gesetzt hatte, sagte:
„Grossmutter hatte einmal einen Bru-
der, der Rüben hiess.“

„Darin hast Du recht, mein Jung-
chen,“ sagte Grossmutter und stand
sogleich auf.

Dies war für die ganze Jugend ein
seltsamer Eindruck. Sie bekam eine
Ahnung, dass Onkel Rüben immer gross
bleiben würde, wie sehr er auch miss-
braucht würde, nur weil er so hoch ge-
liebt worden war. —

Die Kinder unserer Zeit verhalten
sich anders gegen ihn, als die Eltern.
Sie kritisiren ihn öffentlich und un-
verhohlen. Ihre Eltern verstehen nicht
mehr die Kunst, Gehorsam durch Furcht
einzuflössen. Kleine Pensionsmädchen
stellen über Onkel Rüben Untersuch-
ungen an und forschen, ob er nicht
vielleicht nur eine — Mythe sei. Die
sechsjährige Jugend schlägt vor, mittels
Experiments zu beweisen, dass es un-
möglich ist, sich auf einer Steintreppe
tödtlich zu erkälten. Aber auch das ist
nur eine Tagesmode. Dieses Geschlecht
ist bei sich im Stillen ebenso von Onkel
Rubens Grösse, wie die vorhergehenden,
überzeugt und gehorcht ihm geradeso.

Der Tag kommt, da diese Spötter zum
Vaterhause hinziehen werden, die alte
Treppe aufsuchen und auf ihr einen
Sockel mit goldener Inschrift errichten.

Sie machen sich nun wohl einige
Jahre über Onkel Rüben lustig, aber
sobald sie erwachsen sind und eigene
Kinder zu erziehen haben, werden sie
sich schon von dem Nutzen und der
Nothwendigkeit des grossen Mannes
überzeugen.

(Aus dem Schwedischen übersetzt

von E. Brausewetter.)

Epigramme

dou wtto (Ernft

Aktuell um jeden Preis

„Nur aktuell, und nur im Dienst des

Tages stch’n!"

Der Ldle fd;reit es aus als Grundsatz

seiner Zeitung.

Das Korn vom Tag vorher mag auf

dem Halm vergeh'n;
Dem Mäusedreck von heut verhilft er

zur Verbreitung.
SL>

Der Diplomat

kjerr Luchs spricht keinem Menschen
nach dem Mund;

Tr buhlte schmeichelnd nie um bjerren-

gunst,

Und doch gelang cs ihm, so hoch zu
steigen?

Ja: denn der Schalk versteht die fein're

Kunst,

Den großen Herren nach dem Mund zu
schweigen.

Bernhard Bankok {München).

Sclavenblut

Die Maisonne stand bereits hoch am
Himmel, die gelben und grünen Matten
vergoldend, die sich unabsehbar hin-
ziehen, Feld an Wiese, Wiese an Feld,
bis an den kleinen Gebirgszug, der, im
Sonnennebel flimmernd, den Horizont
beschliesst. Heilige Ruhe. Das Wer-
den, das sich jetzt vollzieht, ist nicht
Menschenwerk; darum schaffen die fleis-
sigen Hände einstweilen in Stube und
Hof, wo Manches gethan sein muss, so-
bald die Ernte ruft... Von Zeit zu Zeit
fährt der Wind kühlend und belebend
einher, dass es in den Halmen zischt
und wogt; dann lässt er aus und alles
schweigt. . .

Da durchbricht Peitschenknall und
Wiehern die feierliche Stille. Der kleine
Franzi fährt den schadhaften Wagen zur
Schmiede; die Radbeschläge müssen ge-
bessert werden. Bios mit Hemd und
Hose bekleidet, steht der sonngebräunte
Junge auf dem Wagen, — einen Stroh-
hut von unbestimmbarer Farbe in die
Stirne gedrückt, — und freut sich des
Fahrens. „Zieh’ an, Mischko, hüt, ho!“
Und der braune wohlgenährte Hengst
stampft den weichen Feldweg mit den
breiten Hufen und folgt ohne Zügel
dem Rufen des Knaben.

Auf der grossen Linde aber, die dort
hart am Wege steht, sitzt ein Sperling.
Mit den winzigen Aeuglein in dem be-
weglichen Kopfe blickt er recht klug
und pfiiffig umher, zwitschert — und
lacht. Und es ist durchaus kein freund-
liches oder freudiges Lachen; o nein,
höhnisch klingt es, immer höhnischer
und kecker, je näher das Gespann
kommt, und man versteht auch deut-
lich, wen er verhöhnt, worüber er lacht.

„Du dummer Mischko,“ sagt er,
„sieh’ doch mich an, mich, der ich
kaum so gross bin, als ein Ohr von
Dir. Sieh’, wie ich mich meiner Frei-
heit freue; mich prügelt und jagt, mich
schindet Niemand. Mag der grösste von
allen Menschen kommen, ich pfeife
mein Lied und lache ihn aus. — Du
aber, der Du mehr Kraft hast, als zehn
solche Männer, Du lässt Dich einspan-
nen und schlagen, und thust, was der
kleinejunge will; der kleine, ganz kleine
Junge, ha, ha! Du fürchtest Dich wohl
vor ihm, vor dem Kleinen, der Dir nicht
einmal eines von Deinen struppigen
Haaren ausreissen könnte. So schwach
ist er. Und Du folgst ihm. Ha, ha, ha;
bist Du dumm, Mischko!“

Da ärgerte sich der Hengst sehr be-
greiflicher Weise und sprang gegen
den Baum an, um den frechen Spöt-
ter zu erschlagen. — Der Spatz flog
davon und der kleine Franz kopfüber
in’s Gras; denn der Wagen war mit
dem Vorderrade hängen geblieben
und umgestürzt, die Stränge waren
gerissen, und Mischko stand frei.
„Siehst Du nun“, sagte er, sein

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Register
Otto Ernst: Epigramme
Gustav Pollack: Sclavenblut
Bernhard Pankok: Zeichnung ohne Titel
 
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