1897
JUGEND
Nr. 26
eigenes Erstaunen über den unvermutheten
Ausgang der Sache verbergend, „dass es
nur von meinem Willen abhängt, frei zu
sein?“ Damit setzte er sich in Galopp und
jagte davon, immer den Weg entlang, dem
hohen Getreide ausweichend. Lange lief er
so. Endlich auf einer schönen, grünen
Wiese, nicht zu hoch und doch üppig,
machte er Halt und ergötzte sich an der
reichlich gebotenen Speise . . „Ich hätte
wahrlich nicht geglaubt, dass Du so ge-
scheidt seist“, höhnte der Spatz, der nach-
geflogen war. —
Unterdessen hatte sich der kleine Franz
von seinem Schrecken erholt und war
heulend heimgelaufen, den Unfall zu mel-
den. Dass er mit der Peitsche geknallt
habe, erzählte er nicht, und da er in Folge
dessen ohne Prügel davon kam, fing er
an, den Fall weniger tragisch zu finden.
Er ging mit dem Vater und den Knechten
zu der verhängnisvollen Linde, und bald
darauf war der Wagen, der nur geringen
Schaden genommen hatte, wieder flott ge-
macht. — Mischko aber stand noch immer
weit, sehr weit vom Orte seiner Unthat und
freute sich der köstlichen Nahrung . . .
„Lasst ihn,“ wehrte der Bauer seinen
Leuten, „wenn ihr ihn jagt, zertritt er mir
viel mehr, als er fressen kann. Jetzt ziehen
wir den Wagen heim, und — heut’ Abend
bleibt die Stallthür’ offen —-.“
Mischko hat das Vertrauen seines Herrn
nicht getäuscht. — Noch ehe es ganz finster
geworden war, ging es klipp, klapp, klipp,
klapp durch die nächtliche Stille, und der
freiheitsstürmende Hengst kehrte in ge-
mächlichem Schritt auf seinen Platz zurück.
Ruhig Iiess er sich das arg zerzauste Ge-
schirr abnehmen und die Stall-
hafter anlegen, und bei der in
Form von derben Peitschen-
hieben vollzogenen Sühne
hatte er wieder vergessen, dass
ein einziger Schlag seines
Hufes genügen würde, den
Peiniger zu tödten-
Der Sperling aber, als tags
daraufdas Gespann an ihmvor-
beizog, lachte, dass er schier
vom Zweige fiel . . .
Gustav Pollak.
Ein verzwicktes Gesetz
Ort der Handlung: ein amerikanischer Ge-
richtssaal im fernen Westen.
Richter: Der Fall, den wir heute zu
behandeln haben, ist ausserordentlich klar
und einfach. Der hier anwesende John
Abraham Taylor ist angeklagt, sich gegen
das Gesetz vergangen zu haben, welches im
Staate Tenessee, wie wohlbekannt ist, einem
Manne verbietet, den Bruder seiner Wittwe
zu heirathen.
Angeklagter: Euer Ehren wollen
wohl sagen: Die Schwester seinpr Wittwe.
Richter: Der Angeklagte hat «u schwei-
gen, bis er gefragt wird. Uebrigens habe ich
durchaus nicht sagen wollen, die Schwester
seiner Wittwe, sondern die Wittwe seiner
Schwester — das heisst, ich meine selbst-
verständlich den Wittwer.seiner Schwester
— pardon, ich beginne nochmals. Der hier
anwesende John Abraham Taylor ist ange-
klagt, das Gesetz verletzt zu haben, welches
in Tenessee einem Manne verbietet, den
Bruder seiner Schwester— nein, die Schwester
seines Bruders — aber Himmelkreuzmillionen-
donnerwetter, Ihr wisst ja ohnehin, was ich
meine, Angeklagter.
Angeklagter: Ich weiss gar nichts,
Euer Ehren, als dass ich ein ehrlicher Mann
bin, der weder gestohlen, noch betrogen hat,
und der gar nicht weiss, was Euer Ehren
von ihm wollen.
Richter: Wenn Ihr mich nicht versteht,
so werde ich es versuchen, Euch die Frage
so begreiflich wie nur möglich zu machen.
Habt Ihr die Frau Eures Wittwers geheirathet?
Nun ?
Angeklagter: Euer Ehren meint, ob
ich den Wittwer meiner Frau geheirathet
habe ?
Richter: Nein, das meine ich nicht!
A n g e k 1 a g t e r: Das meine ich auch nicht.
Euer Ehren.
Richter: Die Zeugen vorl Mit dem
Angeklagten ist nicht zu verhandeln. Ent-
weder ist der Mann blödsinnig, oder er stellt
sich so. Ehe er die Frage in Unordnung
gebracht hat, war sie klar wie nur etwas.
Nun passt einmal auf. Der Mann hat seine
Frau geheirathet, nicht wahr?
i. Zeuge: Natürlich, das ist ganz klar.
Euer Ehren.
Richter: Wartet eine Minute. Ich will,
dass Ihr mich diesmal versteht. Wenn nun
diese Frau die Frau seines Bruders ist, ist er
dann nicht der Bruder seiner Frau? Ver-
steht Ihr mich jetzt?
1. Zeuge: Beinahe, Euer Ehren. Sagt’s,
bitte, noch einmal.
Richter: Gut. Dieser Mann ist der
Bruder seiner Frau, folglich ist er doch auch
der Bruder seiner Wittwe. Und wenn dem
so ist, so hat er doch seine Wittwe geheirathet.
2. Zeuge: Jetzt haben sich Euer Ehren
verständlicher ausgedrückt als früher. Es
scheint, dass John Abraham die Wittwe seines
Wittwers geheirathet hat und es ist offenbar,
dass dies eine grosse Sünde ist.
Angeklagter: Aber ich habe doch in
meinem ganzen Leben noch nie den Wittwer
meiner Wittwe geheirathet, denn dann müsste
ich doch mich selbst geheirathet haben, Euer
Ehren.
Richter: Still, Angeklagter 1 Das könnte
Euch so passen, die Sache wieder
zu verwirren, nachdem ich sie
mit vieler Mühe klar gestellt
habe. Wenn Ihr logisch zu
sprechen wünscht, so äussert
Euch darüber, ob Ihr die Mittel
habt. Euch einen Advokaten zu
nehmen. Denn Ihr seid viel
zu unklar, um Euch selbst ver-
teidigen zu können. Hiermit
ist die Sache vertagt. —
Ruft den nächsten Fall!
K. T.
U5
JUGEND
Nr. 26
eigenes Erstaunen über den unvermutheten
Ausgang der Sache verbergend, „dass es
nur von meinem Willen abhängt, frei zu
sein?“ Damit setzte er sich in Galopp und
jagte davon, immer den Weg entlang, dem
hohen Getreide ausweichend. Lange lief er
so. Endlich auf einer schönen, grünen
Wiese, nicht zu hoch und doch üppig,
machte er Halt und ergötzte sich an der
reichlich gebotenen Speise . . „Ich hätte
wahrlich nicht geglaubt, dass Du so ge-
scheidt seist“, höhnte der Spatz, der nach-
geflogen war. —
Unterdessen hatte sich der kleine Franz
von seinem Schrecken erholt und war
heulend heimgelaufen, den Unfall zu mel-
den. Dass er mit der Peitsche geknallt
habe, erzählte er nicht, und da er in Folge
dessen ohne Prügel davon kam, fing er
an, den Fall weniger tragisch zu finden.
Er ging mit dem Vater und den Knechten
zu der verhängnisvollen Linde, und bald
darauf war der Wagen, der nur geringen
Schaden genommen hatte, wieder flott ge-
macht. — Mischko aber stand noch immer
weit, sehr weit vom Orte seiner Unthat und
freute sich der köstlichen Nahrung . . .
„Lasst ihn,“ wehrte der Bauer seinen
Leuten, „wenn ihr ihn jagt, zertritt er mir
viel mehr, als er fressen kann. Jetzt ziehen
wir den Wagen heim, und — heut’ Abend
bleibt die Stallthür’ offen —-.“
Mischko hat das Vertrauen seines Herrn
nicht getäuscht. — Noch ehe es ganz finster
geworden war, ging es klipp, klapp, klipp,
klapp durch die nächtliche Stille, und der
freiheitsstürmende Hengst kehrte in ge-
mächlichem Schritt auf seinen Platz zurück.
Ruhig Iiess er sich das arg zerzauste Ge-
schirr abnehmen und die Stall-
hafter anlegen, und bei der in
Form von derben Peitschen-
hieben vollzogenen Sühne
hatte er wieder vergessen, dass
ein einziger Schlag seines
Hufes genügen würde, den
Peiniger zu tödten-
Der Sperling aber, als tags
daraufdas Gespann an ihmvor-
beizog, lachte, dass er schier
vom Zweige fiel . . .
Gustav Pollak.
Ein verzwicktes Gesetz
Ort der Handlung: ein amerikanischer Ge-
richtssaal im fernen Westen.
Richter: Der Fall, den wir heute zu
behandeln haben, ist ausserordentlich klar
und einfach. Der hier anwesende John
Abraham Taylor ist angeklagt, sich gegen
das Gesetz vergangen zu haben, welches im
Staate Tenessee, wie wohlbekannt ist, einem
Manne verbietet, den Bruder seiner Wittwe
zu heirathen.
Angeklagter: Euer Ehren wollen
wohl sagen: Die Schwester seinpr Wittwe.
Richter: Der Angeklagte hat «u schwei-
gen, bis er gefragt wird. Uebrigens habe ich
durchaus nicht sagen wollen, die Schwester
seiner Wittwe, sondern die Wittwe seiner
Schwester — das heisst, ich meine selbst-
verständlich den Wittwer.seiner Schwester
— pardon, ich beginne nochmals. Der hier
anwesende John Abraham Taylor ist ange-
klagt, das Gesetz verletzt zu haben, welches
in Tenessee einem Manne verbietet, den
Bruder seiner Schwester— nein, die Schwester
seines Bruders — aber Himmelkreuzmillionen-
donnerwetter, Ihr wisst ja ohnehin, was ich
meine, Angeklagter.
Angeklagter: Ich weiss gar nichts,
Euer Ehren, als dass ich ein ehrlicher Mann
bin, der weder gestohlen, noch betrogen hat,
und der gar nicht weiss, was Euer Ehren
von ihm wollen.
Richter: Wenn Ihr mich nicht versteht,
so werde ich es versuchen, Euch die Frage
so begreiflich wie nur möglich zu machen.
Habt Ihr die Frau Eures Wittwers geheirathet?
Nun ?
Angeklagter: Euer Ehren meint, ob
ich den Wittwer meiner Frau geheirathet
habe ?
Richter: Nein, das meine ich nicht!
A n g e k 1 a g t e r: Das meine ich auch nicht.
Euer Ehren.
Richter: Die Zeugen vorl Mit dem
Angeklagten ist nicht zu verhandeln. Ent-
weder ist der Mann blödsinnig, oder er stellt
sich so. Ehe er die Frage in Unordnung
gebracht hat, war sie klar wie nur etwas.
Nun passt einmal auf. Der Mann hat seine
Frau geheirathet, nicht wahr?
i. Zeuge: Natürlich, das ist ganz klar.
Euer Ehren.
Richter: Wartet eine Minute. Ich will,
dass Ihr mich diesmal versteht. Wenn nun
diese Frau die Frau seines Bruders ist, ist er
dann nicht der Bruder seiner Frau? Ver-
steht Ihr mich jetzt?
1. Zeuge: Beinahe, Euer Ehren. Sagt’s,
bitte, noch einmal.
Richter: Gut. Dieser Mann ist der
Bruder seiner Frau, folglich ist er doch auch
der Bruder seiner Wittwe. Und wenn dem
so ist, so hat er doch seine Wittwe geheirathet.
2. Zeuge: Jetzt haben sich Euer Ehren
verständlicher ausgedrückt als früher. Es
scheint, dass John Abraham die Wittwe seines
Wittwers geheirathet hat und es ist offenbar,
dass dies eine grosse Sünde ist.
Angeklagter: Aber ich habe doch in
meinem ganzen Leben noch nie den Wittwer
meiner Wittwe geheirathet, denn dann müsste
ich doch mich selbst geheirathet haben, Euer
Ehren.
Richter: Still, Angeklagter 1 Das könnte
Euch so passen, die Sache wieder
zu verwirren, nachdem ich sie
mit vieler Mühe klar gestellt
habe. Wenn Ihr logisch zu
sprechen wünscht, so äussert
Euch darüber, ob Ihr die Mittel
habt. Euch einen Advokaten zu
nehmen. Denn Ihr seid viel
zu unklar, um Euch selbst ver-
teidigen zu können. Hiermit
ist die Sache vertagt. —
Ruft den nächsten Fall!
K. T.
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