Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 26

JUGEND

1897

Die Heilskandidatin

Skizze von Ilse Frapan.

Lange genug, sagten sie, hätten sie
sich mit ihr abgeplagt. Aber sie gaben
bereitwillig zu, dass sie ihrerseits sich
auch redlich für sie abgeplagt hätte.

Eine lange Reihe von Jahren. In der
Waschküche! Morgens um drei Uhr auf
und bis zum späten Abend auf den Beinen;
vom heissen erstickenden Qualm und Bro-
dem, der da drinnen quoll, hinaus in den
Bis’wind, wie sie in der Schweiz den Nord-
wind nennen, der so dauerhaft weht und
blauen Himmel bringt, Wäschtrocknungs-
wetter. Mit schweren Gelten voll triefen-
der Leintücher und Tischlaken, die wie
weisse Wände an dem Rebenzaun hin-
reichten, und so fort und so fort, bis der
ganze weite Garten einer Bühne mit lauter
weissen Coulissen glich, zwischen denen
die Sonnenflecke auf und abspazirten. Eben
die Hände halbgekocht von der dampfen-
den Seifenlauge, dann geritzt und geschun-
den vom Morgenreif.

An andern Tagen stand sie im Ge-
müsegarten, gebeugt und gebückt, bis
Einem vom Ansehen das Kreuz schmerzte,
stapfte in der lockeren fetten Erde herum,
bis ihre groben Schuhe fast einsanken,
verwuchs sozusagen mit dem Beet voll
gelber Rüben, oder Wirz (Wirsing) oder
Spinat, an dem sie grub, kratzte, wühlte
und pflanzte. Der zerknickte, rand- und
bandlose gelbe Strohtrichter rutschte bald
rechts, bald links auf dem ergrauenden
Haar; sie arbeitete fort, ohne ihn auch
nur zurechtzurücken. Und wenn sich ein
Anderer erkühnte, Gemüse hereinzuholen,
dann ging sie hinaus, um ihre Pfleglinge
mit dem eigenen Leibe zu schützen, wie
die Löwin ihre Jungen. „Nur die grossen
Erbsen! Die jungen lässt ihr mir stahn,“
„rühret mir nur den Spinat net a’, der ist
noch munzig (winzig)“; und dann zur Haus-
frau: „Sie werdet die abgeblühte Nägeli
(Nelken) doch net wegwerfe? Lasset sie
nur stah', ich thu’ sie in Garte abe (hin-
unter), nächstes Jahr blühet sie wieder.“
Am bewunderungswürdigsten aber war
sie, wenn Gülle (Jauche) getragen werden
musste. Unermüdlich von der gefürch-
teten Grube mit der grossen Kanne in
den Küchengarten, einer Kanne, halb so
gross wie sie selbst, vor der sonst
im Hause Alles floh, was Beine
hatte. Ihr Stoizismus bei der Be-
handlung der „Seele der Landwirth-
schaft“ ragte wirklich „weit über
Menschliches hinaus“. Zudem habe
ich die Stoiker im Verdacht, es
mag vielleicht ungerecht sein, aber
ich sträube mich vergeblich dagegen
— als seien sie griesgrämliche, süss-
säuerliche Gesellen gewesen, mit
Runzeln um den Mund, in deren
jeder geschrieben stand: „Seht, was
ich dulde“. Keine Spur davon bei
„ihr“; aber wir wollen ihr endlich
ihren Namen geben. Sie hiess Luis-
le, „wie alle Schöne und Brave,“

fügte sie hinzu, wenn sie gefragt ward. An
diesen Prüfungstagen für die Nasennerven
der Hausbewohner und Pensionäre ging
Luisle mit einem gewissen seelenvollen
Schmunzeln ihrem Geschäft nach; das
hohe Ziel ihrer Bestrebungen hob sie über
jede Empfindlichkeit hinaus. Was hätte aus
dem „Filderkraut“ (Weisskohl) werden sol-
len, wenn sie sich nicht in dieser auf-
opfernden Weise seiner angenommen hätte!
Doch war sie sich wohl bewusst, dass Leute,
die das Sauerkraut nur in der Metzelsuppe
kannten und verehrten, ihres beschränkten
Gesichtskreises wegen eine gewisse Scho-
nung verlangten, und wenn sie auch nicht
gerade ein Schwert zwischen sich und dem
ahnungslosen Fremdling in den Boden
stiess, wie die Aussätzigen im Mittelalter,
so pflegte sie doch zurück und hinter den
Wind zu treten, sobald sich ihr solch ein
Menschenkind näherte. Die kurze, breit-
schulterige Figur mit dem abenteuerlichen
Strohtrichter und der grossen Kanne an
eine Hecke gedrückt, glich dann so voll-
ständig einer Zeichnung aus den „Fliegen-
den“, dass man sich ordentlich wunderte,
wenn sie zu sprechen anfing!

Aber ach, je heller das Licht, desto
tiefer der Schatten. Es ist nicht zu ver-
tuschen, dass Luisle einen Fehler hatte,
der verhängnissvoll für sie wurde, weil er,
seiner Natur nach, von Tag zu Tage wuchs.
Sie sagte, wenn man ihr Vorwürfe machte,
unter zahlreichen Seufzern und Thränen,
dass sie „aus Melancholie“ dazu gekom-
men sei, einen so schrecklichen unstill-
baren Durst zu haben. Auf Befragen er-
zählte sie dann, dass eines Tages, grade
an ihrem vierzigsten Geburtstag, ihr Mann
ausgegangen sei, um ein. paar Cigarren zu
holen und nicht zurückgekehrt, sondern
geradeswegs nach Amerika verduftet sei.
Vielleicht wollte er die Cigarren dort kaufen,

Latest Fashion

wo sie wachsen, der Badenser „Rusticus“
hatte ihm längst nicht mehr gemundet.
Kinder hatte sie nicht, an Arbeit war sie
auch in der Ehe reichlich gewöhnt ge-
wesen, da sie den Mann ohne grosse
Widerrede zwanzig Jahre lang mit ernährt
hatte; so änderte sich äusserlich nicht viel
mit seinem Verschwinden, nur dass sie
den grossen Durst bekam, der auch dann
nicht wieder von ihr weichen wollte, als
sie sich von der „Melancholie“ vollständig
erholt hatte. Jetzt trank sie „Alles, was
sich nicht wehrte“: Most, Branntwein,
Bier, am liebsten und meisten Wein, wie
er im Weinlande auch den Armen zugäng-
lich und erreichbar ist, — Alles das ausser
den dreiviertel Liter Landwein, die ihr als
Tagesration von ihrer Herrschaft gespen-
det wurden. Die Wirkung trat anfangs
selten zu Tage, denn die allmähliche Ge-
wöhnung hatte sie rauschfest gemacht. Ihr
war höchstens eine vermehrte Lebhaftig-
keit und der Wunsch sich im Garten statt
im Hause zu beschäftigen, nachzuweisen.
Allmählich aber ward es schlimmer, und
nun hiess es bald jede Woche einmal
„’s Luisle hat en Dampes, ’s ist nur un-
begreiflich, wie sie dabei noch so schaf-
fen kann“. Denn sie schaffte auch „mit
dem Dampes“, war unermüdlich wie je
zuvor, gab aber oft verdrehte Antworten,
gerieth in Wuth, wenn man ihr die Wege
verlegen wollte und blieb endlich an Sonn-
tagen nicht nur die Nacht, sondern selbst
den folgenden Montag noch bei ihrem
„Schöppli“ sitzen. Die Sonntagsausgänge
waren der Stolz ihres Daseins, die Höhe-
punkte und Verklärungen ihrer Existenz.
Am Samstagabend, oft wenn schon Alles
schlafen gegangen war, verhängte sie die
Fenster der Waschküche, richtete einen
guten Kessel voll Lauge her und wusch
sich im buchstäblichen Wortverstande allen
Wochenstaub und Schweiss herunter. Sonn-
tags dann, gleich nach dem Abräumen der
Gasttafel verschwand sie in ihrem halb-
dunkeln Kämmerchen, um sich schön zu
machen und tauchte nach einer Stunde
erst im grössten Staat wieder auf, einen
Duft von Haaröl und Eau de Cologne um
sich her, den Hut mit rothen Sonnen-
blumen auf dem blankgestriegelten Haar,
Handschuhe an den Händen und eine
unerschütterliche feierliche Lustigkeit im
sonnverbrannten runzeligen Ge-
sicht. In der Küche war derweil
ein Männchen angelangt mit einem
hohen Cylinder, Ohrringen, bun-
tem Vorhemd und übernatürlich
glänzend gewichsten Stiefeln. Meist
hatte er schon einen Dreierwein
getrunken, und seine Aeuglein
glitzerten vergnüglich der eintreten-
den „Braut“ entgegen. Das Männ-
chen war Luisles „Schatz“; sagte
die Hausfrau etwas darüber, so be-
merkte sie gemüthlich: „Se hänt
alle Schätz! mi hört au eppes“.
Fragte man sie etwa, warum sie
denn den Schatz nicht heirathe, so
Max Feldlauer (Münden). entgegnete sie frisch: „I han koi

4,8
Register
Ilse Frapan: Die Heilskandidatin
Max Feldbauer: Latest Fashion
 
Annotationen