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1893

JUGEND

Nr. 6

die Erinnerung daran mich heute noch be-
wegt; darum zögerte ich, mich Ihnen zu
nähern,'die Sie die holdeste dieser Erinner-
ungen in mir erwecken, ängstlich, mich durch
irgend eine Aehnlichkeit täuschen zu lassen.“
„Mein Herr“, erwiderte sie einfach, „ich
habe Sie gleich erkannt.“ —

Die Stimme kaum weniger ruhig, auf den
Wangen eine ganz leise Röthe, fuhr er fort:
„Sollte es möglich sein, gnädige Frau, dass
das Herz des Mannes durch die Bitternisse des
Lebens so abgenützt wäre, dass es weniger
als das Ihre jene ganz vertrauten Erinnerungen
bewahrte, deren Reichthum er allein zu be-
sitzen wähnte, denn so schwach war die Re-
action auf jene Gefühle, dass Niemand deren
Erwiderung vorausgesetzt hatte.“

„Die jungen Mädchen sind so strenge ge-
halten“, bemerkte sie. —

„Ah! Selbst nach Jahren und Jahren, wie
vergeblich ist es, gnädige Frau, jene Nächte
jugendlicher Auflehnung als Illusion empfin-
den zu wollen, jener Nächte, in denen Einen
das Bewusstsein auf die Folterbank spannte,
dass sie, die dreimal Theuere, uns nicht ein-
mal gesehen hatte, sie, zu deren Füssen man
freudig Leben und Seele hingeworfen hätte,
um, eine Secunde, jene Augen anzuziehen,
jene schönen Augen von klarem Saphir, die
nichts verdunkeln konnte, noch können wird,
da sie nur die unverwelkliche Schönheit des
Herzens wiederspiegeln.“

Sie lächelte, indem sie den Fächer leise
bewegte: „Mon dieu, mein Herr, Sie sind zu
liebenswürdig.“ —

„Süsse Empfindungen, die allerholdesten
und beständigsten, deren Zeichen das Herz
ewig trägt.... Zehn Jahre schon, und doch
ist es wie gestern, als ich noch in der
schmachtenden Erwartung Ihres Kommens
lebte, dieses strahlender. Sonnenaufgangs, ah,
diese Lippen, wie feucht, und diese Haare
von blassem Gold, die Sie über Ihren Schul-
tern schürzten, und diese Augen, diese gött-
lichen Augen anbetungswürdiger Jungfräu-
lichkeit, in deren Erinnerung ich noch zittere..“
„Man muss wohl einmal ein Kind gewesen
sein, mein Herr.“

„Kind? Gnädige Frau I Oh, ja, wenn von
jetzt ab nur das Kind allein an irgend eine
Illusion hienieden glauben soll, trotz ihres

möglichen, verhängnisvollen Schwindens....
Ah, was sind wir Alle, neben dem Kinde,
dieser noch nackten Seele, die so heftig bei
den ersten Dornen blutet. Glücklich die, die
gelitten haben, sie sind rein. Jener jugend-
liche Kummer, der wohl diese alten Herren,
die uns hier beobachten, lächeln macht,
genügt, um in den Augen Gottes eine Seele
zu retten. Die Krankheit verbittert und er-
niedrigt, die Betrübniss gibt Schwingen, es
ist die Hostie, die die Seele nährt, der Schmelz-
ofen, der sie reinigt. Leiden ist lieben; ohne
den Schmerz wird die Kraft entmannt, der
Glaube zerflattert, die Kunst zerstiebt. Leiden
ist schaffen; jeder Mensch braucht den Schmerz,
vom Grössten bis zum Kleinsten, bis zu jenem
sehr Geringen, von dem Sie vielleicht eines
Tages ein paar Zeilen bemerkten, die Sie nur
bewegten, weil, der sie schrieb, einst in der
Sommerdämmerung ein liebliches, junges Mäd-
chen traf, die seinem Blicke beharrlich aus-
wich, durch Wochen, durch Monate.“

„Sollten Sie sich mit Literatur befassen,
mein Herr? Mein Mann würde sich freuen,
Ihre Bekanntschaft zu machen. Er ist Ver-
leger.“


Vorfrühling

Verläßt der Frühling hier des winters

Grüfte,

So gleicht er einer bleichen Lungenkranken.
Glanzlose Tage, Nächte ohne Düfte,

Das Leben grau und dunkel die Gedanken.

Ein schwerer Nebel flattert durch die Lüfte
Und um die Bäume, die noch win tcrschlanken;
Voll Angst vor seines Hauches tückischem

Gifte

Verkümmern fast die jungen Blätterrankcn.

Ein feiner, kalter Regen rieselt nieder
Und stichelt höhnisch die geschwollnen Wellen
Und deckt mit Reif das kalte Pflaster wieder.

Hans Ströse.

Die Menschen starren wintermüd ins Fahle
Und sehnen fröstelnd sich nach einem hellen,
Nach einem einzigen goldnen Sonncnstrahle.

Äug» Salu».

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Index
Hugo Salus: Vorfrühling
Hans Ströse: Notturno
 
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