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1898

J UGEND

Nr. io

Sie Mammerihür'

/jßGrte Geschichte für gebildete Zuhörer oder —
fc» keine! sowohl Geschichte als Zuhörer. Auch
wird im Voraus vor der Annahme gewarnt, als
ob, da von einer Kammerthür' die Rede ist,
irgend eine Pikanterie im Spiele sei. Nichts

desgleichen, meine verehrten-aber ich sehe,

schon bin ich allein. Wem erzähl' ich es nun?

Also, ich stieg in den Vorortzug, der zur
ersten Feierabendstnnde die Stadt verlaßt. Als
ich die verschiedenen kleinen Lasten aus einer
Bank niedergclegt hatte, war ich iiu Bcgrifse,
noch, einmal ans de» Bahnsteig hinauszutreten,
um die K—10 Minuten, die „das Zügle" sich
gewöhnlich zur Verspätung nimmt, draußen auf-
nnd nbzngchn, da schlug ans dem benachbarten
Abtheil ein Wort an mein Ohr, das mich, ich
>veiß nicht warum, fesselte. Es saßen da drei
Arbeiter, Maurer oder so was, die nach ihrem
Dorfe zurückkehrten. Sie unterhielten sich, und
eben ließ also einer das Wort fallen, das mich
aufblicken machte: „Winkel imb Blei." Ich horchte
hin und der Sprecher nahm gerade im Ton
einer Entgegnung das Wort wieder auf:

„Wemmer meint, mer htttt' noch so e scharfs
Aug — 's isch 'm nit z'traue! Winkel und Blei
her, sag i!" sprach er mit einer ruhigen, ziemlich
leisen und heiser klingenden Stimme; aber es
lag so viel Nachdrückliches drin, daß cs mich
unwillkürlich auf die Bank nicderzvg, mit wv-

I^ei fentanz

möglich mehr zu hören. Ich hatte den Instinkt,
daß es hier etivas siir mich zu lernen gäbe.
Kurz, ich beschloß zu bleiben und die Ohren zu
spitzen. Und siehe da, nach einer kleinen Pause,
in der einer der beiden andern >vas hinznsetzte,
ftlhr der Sprecher fort:

„Do isch mer cmol e Gschicht passirt; an die
mneß i mi Lebtag denke!"

Panse: er nahm sich Zeit und die Andern
ließen sie ihm. Dann fuhr er fort:

„I Han emol e Kammerthür mache mücße,
bi mir, in mim Hiissi."

Das Geräusch, das neu Eintretende machten,
sowie seine leise Stimme bewirkten, daß ich die
hier folgende nähere Erläuterung der Lokalität
nicht im Zusammenhang hörte. Ich sag es aber
hier im Voraus: lieber will ich eine Lücke im
Vortrag lassen, als daß ich ihn frei ergänzen
und wühl verstümpern möchte. Es war nur
ein Maurer, aber er erzählte einfach klassisch; es
handelte sich nur um eine Kammerthür', aber
die behagliche Breite ohne Umständlichkeit, die
epische Ruhe und vollendete Sattheit seiner
Dichtung — denn eine solche war es trotz der
trivialen Wahrheit der Geschichte — schufen sic
mir zu einem ebenso vollendeten Kunstwerk, dem
ich mit dem gleichen Entzücken, der gleichen Er-
griffenheit lauschte, als ob ich einem HoMeriden
znhörte, der vom Zorn des Achilles oder von
den Irrfahrten des Odysseus vortrug, im edelsten
Griechisch, zur Harfe, wo dieser nur gundelfingisch
konnte, und das noch mit einer heiseren Stimme.

Ikecbner (lViüncben-^ürieb).

So breit er vortrng, indem jeder zur Sache ge-
hörige Umstand genügend herbeigezvgen wurde,
so hörte ich kein einziges überflüssiges Wort; so
dicht war alles; und was davon verschluckt
wurde, ivard es gewiß nur für mein Ohr, durch
die mannigfachen Hindernisse zu hören. Aber
ivie gesagt: wo ich ihm das Wort nicht lassen
kann, will ich lieber beschreiben, als ihn kon-
struiren.

„Im Anfang," machte er also fort, „isch wohl
eint do gsi" — eine Thüre zwischen der zweiten
Stube im Häuschen, vielleicht im Dachgeschoß,
vielleicht auf der andern Flnrseite — „aber der
Schuhmacher, wo emol bi m'r glvohnt het, der
het sie lveg ha ivclle. Nämlich, er het Hinte drin
g'schafft, un so het's cm mch Liecht gü solle.

Also, er het sic usghenkt un-e Tischplatte

drus g'macht!"

Schallendes Gelächter der Andern.

„He jo! 's isch en arme Kerli gsi, un het ke
Tisch g'het! Was hani mache welle? — Also
des Ding isch gut, der Schuhmacher wohnt e
Par Jöhrli bi m'r, un des Ding isch guet! Aber
noch cm isch d'.... (Name) izoge, e Wittfrau,
nn der het des Ding nit paßt: sie het wieder e
Thür' hi hä welle. Jo, i mach d'r gwiß e Thür'
hi, hani denkt; deno ziegsch du us un en Andere
kunnt un macht wieder e Tischplatte drus! un
des Ding geht so furt: i mach Kammerthüre, un
sie Tischplatte!"

Homerisches Gelächter der beiden Andern bei
dieser diabolischen Perspektive (der Sänger wahrte
Index
Karl Itschner: Reifentanz
Zeno: Die Kammerthür
 
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