Nr. 10
JUGEND
1898
Ein neuer Todrcntanz (III. Folge)
die Ruhe) und aus den letzten Strähnen seines
Lachens drehte der Eine den Zwischenruf:
„Ult gell, du hesch g'wißt, wer ei'm e Thür
inacht, wenuucr eint will!"
„Frili!" nickte der Sänger lächelnd und fuhr
in seinem Tvne fort: „wenn de abselnt e Thür
ha willsch, so mach d'r halt selber cini, oder loß
d'r eini mache!"
Erneutes, dankbares Lachen.
„Uit richtig, wie der Winter kumme-n-isch —
nn 's isch e kalte g'si un sie het in der Stube
nit warm genueg kriegt — so isch sie halt kuinme
nn het gsait: sie well halt eini mache lasse. Un
ivie sie des gsait het, Hanl denkt: nn, 's isch
Winter, z'schaffe hani mit, zahle will sie's — die
Par Märkli kannsch an verdiene, nn sie hets so
na billiger als bim Schriller. Also des Ding
isch gnet, m'r henns mit enander usgmacht, un
so bini halt dra gange, 's Holz. . ."
Hier mußte ich aufstehn, nni Bekannte zu be-
grüßen, die zum Glück in die andre Hälfte des
Durchgangs- und Doppelwagens gingen; so sing
ich nur noch die Worte „Keller" und „Oepfel-
hurd" oder so >vas auf; aber es war doch dar-
aus zu schließen, daß er die zu der Thüre nöthi-
gen Bretter und Latten durch Abbruch einer alten
Aepsel- oder Kartoffelhürde gewann.
„Bim Küefer in d'r Werkstatt hauis schaffe
derfe; er het e Hobelbank, un do hani halt d'
Bretter g'hobelt, einkantet un . .
Es wurde unterdessen immer voller und un-
ruhiger, und da der Sänger jetzt bei dem aller-
ruhigsten Abschnitte seiner Geschichte war, wo
er behaglich und gründlich beschrieb, wie nun
die Thüre allmählich entstand, auch wo und wie
das übrige Material beschafft wurde, die Be-
schläge und Bandeisen und die Falle, so sank
auch seine ohnehin nicht laute Stimme noch tiefer
heimnter, und ich mutz Daraus verzichten, zu sagen,
wie alles gerichtet, gepaßt, geleimt, genagelt und
genietet wurde. Aber ich wiederhole es noch
einmal, und diesmal mit dem Worte des Sokrates
über Heraklit: „Was ich von ihm verstand, war
vortrefflich;" ich schließe daher ebenso auf das,
was ich nicht verstand, oder nur halb; statt der
einzelnen Worte vernahm ich doch den gleich-
mäßigen Fluß seiner nie stockenden Rede. Nur
bei einem Punkte hob sich seine Stimme etwas,
aber gar nicht viel; er betonte, aber nicht aus
sehr vordringliche Weise, daß der Küfer auch
einen großen eisernen Winkel habe, mit dem er
die Thüre nach allen Seiten hin so winkelrecht
gebaut habe, daß sie: „nit emol e Milimeter
winsch (winkelschief)" gewesen sei.
Kurz, sie sei so winkelrecht geschaffen gewesen,
wie sie nur ein gelernter Schreiner oder Zimmer-
mann hätte machen können.
„Also!" — seine Stimme rauschte wieder an
— „endlich isch mi Thüre fertig!" — Es entging
mir, wie viel Tage er daran geschafft hatte —
„scheen, glatt, sufer, winkelrecht, daß es e Fraid
gsi isch! M'r packe sie also uf — im Küefer si
Bue het m'r sie heimtrage helfe un au no lrichte
— d'Klvbe sin natürli no do gsi — mir lupfe
mi Thüre, henke sie i — nn-(große Spann-
ung) Herrgotts dunnerwetter! — isch mi scheeni,
suferi, glatti, winkelrechti Thür uf einer Site —
drei un e halbe Santimeter hets usgmacht-"
,,Z' kurz!" schrieen seine Zuhörer wie aus
einem Munde und sprengten damit die ihnen
unerträglich gewordene Spannung, in der Ent-
zücken und Entsetzen, Grausamkeit und Mitleid
wunderlich, aber süß-kräftig gemischt waren. Aber:
„Nai!" — machte der Sänger in olympischer
Heiterkeit — „Gvttseidank — z'hvch! — Dees
Glück!" Seine Hörer erschienen einen Augenblick
lang zugleich erlöst und versteinert, bis endlich
der Leichtblütigere von beiden nachstammelte:
„Herrgottsdunnerwetter — dces Glück! —
Aber — wie isch denn des nur mügli gsi-
aha, ahaaa — i merk cbbis! i merk ebbis!"
lachte er verzückt, sagte es aber nicht, sondern
wahrte so zart und mit einer solchen Keuschheit
im Denken das halbenthüllte Geheimniß des
Sängers, der harte, kalkbespritzte Mann, und ließ
ihm dankbar und willig den süßen Triumph,
das Räthsel zu lösen und seinen Gesang bis zur
letzten Note auszudehnen, seine Zuhörer nicht
mehr durch die Lösung an sich oder durch eine
neue Wendung der in sich fertigen Geschichte
spannend, sondern durch die Kunstsorm, mit der
er sie zum Besten gab, und die immer noch einen
neuen, unerwarteten Genuß möglich machte, ja
versprach: so sehr glaubte hier das Volk beut
Sänger.
Der aber lehnte sich zurück, warf de» Kops
hoch und rief, sich selbst genießend:
„Jo, jo! —M'r ka lang e Thür winkelrecht
baue, wenn d'r Futterrahme winsch isch!"
Und ein unendliches Gelächter erhob sich.
Als es sich gelegt hatte, sagte der Dritte:
„Jo, de hesch halt numme-n-uf einer Site
g'messe!"
„Welleweg, (allerdings!) des hani! llf der
Klobesite! — Un drei un e halbe Santimeter
hets usg'macht! — Des Glück, daß i d'höcher
Site verwitscht Hab! — I hält sie tvegkeie (weg-
tversen) müeße!"
„Die ganz Arbet war umesuscht gsi!" rief der
Zweite.
„Radikahl wegkeie!" schloß der Dritte, im
Tone der tiefsten Ueberzeugung.
Und dann versanken sie in Nachdenken, bis'
nach einer kleinen Weile der Erzähler noch ein-
mal rief:
„Aber sider weiß i, wie m'r e nein Thür in
e-n-nlte Rahme macht, daß m'r uf der Klobesite
mißt un an der F-allesitc!"
lüo
JUGEND
1898
Ein neuer Todrcntanz (III. Folge)
die Ruhe) und aus den letzten Strähnen seines
Lachens drehte der Eine den Zwischenruf:
„Ult gell, du hesch g'wißt, wer ei'm e Thür
inacht, wenuucr eint will!"
„Frili!" nickte der Sänger lächelnd und fuhr
in seinem Tvne fort: „wenn de abselnt e Thür
ha willsch, so mach d'r halt selber cini, oder loß
d'r eini mache!"
Erneutes, dankbares Lachen.
„Uit richtig, wie der Winter kumme-n-isch —
nn 's isch e kalte g'si un sie het in der Stube
nit warm genueg kriegt — so isch sie halt kuinme
nn het gsait: sie well halt eini mache lasse. Un
ivie sie des gsait het, Hanl denkt: nn, 's isch
Winter, z'schaffe hani mit, zahle will sie's — die
Par Märkli kannsch an verdiene, nn sie hets so
na billiger als bim Schriller. Also des Ding
isch gnet, m'r henns mit enander usgmacht, un
so bini halt dra gange, 's Holz. . ."
Hier mußte ich aufstehn, nni Bekannte zu be-
grüßen, die zum Glück in die andre Hälfte des
Durchgangs- und Doppelwagens gingen; so sing
ich nur noch die Worte „Keller" und „Oepfel-
hurd" oder so >vas auf; aber es war doch dar-
aus zu schließen, daß er die zu der Thüre nöthi-
gen Bretter und Latten durch Abbruch einer alten
Aepsel- oder Kartoffelhürde gewann.
„Bim Küefer in d'r Werkstatt hauis schaffe
derfe; er het e Hobelbank, un do hani halt d'
Bretter g'hobelt, einkantet un . .
Es wurde unterdessen immer voller und un-
ruhiger, und da der Sänger jetzt bei dem aller-
ruhigsten Abschnitte seiner Geschichte war, wo
er behaglich und gründlich beschrieb, wie nun
die Thüre allmählich entstand, auch wo und wie
das übrige Material beschafft wurde, die Be-
schläge und Bandeisen und die Falle, so sank
auch seine ohnehin nicht laute Stimme noch tiefer
heimnter, und ich mutz Daraus verzichten, zu sagen,
wie alles gerichtet, gepaßt, geleimt, genagelt und
genietet wurde. Aber ich wiederhole es noch
einmal, und diesmal mit dem Worte des Sokrates
über Heraklit: „Was ich von ihm verstand, war
vortrefflich;" ich schließe daher ebenso auf das,
was ich nicht verstand, oder nur halb; statt der
einzelnen Worte vernahm ich doch den gleich-
mäßigen Fluß seiner nie stockenden Rede. Nur
bei einem Punkte hob sich seine Stimme etwas,
aber gar nicht viel; er betonte, aber nicht aus
sehr vordringliche Weise, daß der Küfer auch
einen großen eisernen Winkel habe, mit dem er
die Thüre nach allen Seiten hin so winkelrecht
gebaut habe, daß sie: „nit emol e Milimeter
winsch (winkelschief)" gewesen sei.
Kurz, sie sei so winkelrecht geschaffen gewesen,
wie sie nur ein gelernter Schreiner oder Zimmer-
mann hätte machen können.
„Also!" — seine Stimme rauschte wieder an
— „endlich isch mi Thüre fertig!" — Es entging
mir, wie viel Tage er daran geschafft hatte —
„scheen, glatt, sufer, winkelrecht, daß es e Fraid
gsi isch! M'r packe sie also uf — im Küefer si
Bue het m'r sie heimtrage helfe un au no lrichte
— d'Klvbe sin natürli no do gsi — mir lupfe
mi Thüre, henke sie i — nn-(große Spann-
ung) Herrgotts dunnerwetter! — isch mi scheeni,
suferi, glatti, winkelrechti Thür uf einer Site —
drei un e halbe Santimeter hets usgmacht-"
,,Z' kurz!" schrieen seine Zuhörer wie aus
einem Munde und sprengten damit die ihnen
unerträglich gewordene Spannung, in der Ent-
zücken und Entsetzen, Grausamkeit und Mitleid
wunderlich, aber süß-kräftig gemischt waren. Aber:
„Nai!" — machte der Sänger in olympischer
Heiterkeit — „Gvttseidank — z'hvch! — Dees
Glück!" Seine Hörer erschienen einen Augenblick
lang zugleich erlöst und versteinert, bis endlich
der Leichtblütigere von beiden nachstammelte:
„Herrgottsdunnerwetter — dces Glück! —
Aber — wie isch denn des nur mügli gsi-
aha, ahaaa — i merk cbbis! i merk ebbis!"
lachte er verzückt, sagte es aber nicht, sondern
wahrte so zart und mit einer solchen Keuschheit
im Denken das halbenthüllte Geheimniß des
Sängers, der harte, kalkbespritzte Mann, und ließ
ihm dankbar und willig den süßen Triumph,
das Räthsel zu lösen und seinen Gesang bis zur
letzten Note auszudehnen, seine Zuhörer nicht
mehr durch die Lösung an sich oder durch eine
neue Wendung der in sich fertigen Geschichte
spannend, sondern durch die Kunstsorm, mit der
er sie zum Besten gab, und die immer noch einen
neuen, unerwarteten Genuß möglich machte, ja
versprach: so sehr glaubte hier das Volk beut
Sänger.
Der aber lehnte sich zurück, warf de» Kops
hoch und rief, sich selbst genießend:
„Jo, jo! —M'r ka lang e Thür winkelrecht
baue, wenn d'r Futterrahme winsch isch!"
Und ein unendliches Gelächter erhob sich.
Als es sich gelegt hatte, sagte der Dritte:
„Jo, de hesch halt numme-n-uf einer Site
g'messe!"
„Welleweg, (allerdings!) des hani! llf der
Klobesite! — Un drei un e halbe Santimeter
hets usg'macht! — Des Glück, daß i d'höcher
Site verwitscht Hab! — I hält sie tvegkeie (weg-
tversen) müeße!"
„Die ganz Arbet war umesuscht gsi!" rief der
Zweite.
„Radikahl wegkeie!" schloß der Dritte, im
Tone der tiefsten Ueberzeugung.
Und dann versanken sie in Nachdenken, bis'
nach einer kleinen Weile der Erzähler noch ein-
mal rief:
„Aber sider weiß i, wie m'r e nein Thür in
e-n-nlte Rahme macht, daß m'r uf der Klobesite
mißt un an der F-allesitc!"
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