1898
JUGEND
Nr. 10
Ein neuer Todtentan; (III. Folge)
Und »och einmal ergoß sich eine Welle Lachens
unter ihnen und dann versanken sie eine Schattier-
n»g tiefer in Nachdenklichkeit darüber, was es
doch für kuriose Dinge im Leben gibt und >vie
man — das weiß jeder Schaffer — nie anslernt!
Ich aber erhob mich, ich muß sagen, in einem
kleinen Rausch von genossenem Leben und reif-
ster Kunst; in einem Rausch, in dem ich hell und
nüchtern genug blieb — und das inacht die
Räusche selig —, um so gcscheidt zu sein, in die
andere Wagenhälfte zu gehn, um die Rundheit
der genossenen Dichtung nicht in Gefahr zu
bringen. Ich >var satt und — nun ich Hab's
gesagt — trunken!
Und nun weiß ich nicht; ist denn diese Ge-
schichte so schon, oder kann ich so wenig vertrage»,
daß ich von dem voll ward? Und >ver hat es
mir am meisten angethau: die Fabel, der Sänger
oder seine kostbaren Zuhörer, die Künstler im
— Hören und Genieße»? Was frag ich: es ist
die vollendete Harmonie aller drei zrl einer glück-
lichen Einheit. Alles war Kunst daran, Kunst
der Natur. Es war — daß ich es mit einem
Worte decke — es war: kristallisirtes Leben.
Jens.
Im 1>3L1M
Auf Erden tiefste Mitternacht.
Schleichendes, keuchendes Dunkel.
Die Welt erliegt der Last der Finsterniss.
Plötzlich darüber her
In zuckenden Rissen ein blutiger Himmel,
Und Glockengeläute
Wie ausfernsten Sternen herabgeschüttet
In hallenden, wallenden Fluthen.
Dazwischen Sehnsuchtsruf
Voll brünstiger Angst,
Wie Flammen im Ersticken —
Aus wundenweh’ster Brust
Ein nie gehörter Schrei.
Und immer neue Rufe.
Ist’s Götterschrei um Hilfe
In Noth, wie sie kein Mensch erfand?
Schrillt so im Glücksbegehr,
Im Freudenhunger,
Im wilden Lebensdrang
Die stumme Ewigkeit?
Ein letztes Brüllen wie Sturmgewoge
Wollusttoller Selbstvernichtung,
Selbstverhöhnung
Vereint die Stimmen mit dem
Läuteschwall,
Dem erzenen Klangsturz
Weltenferner Glockenchöre ...
Ein Schweben, Schwinden, Sterben jetzt,
Ein Ineinanderrinnen im Verweh’n
Von Nacht und Laut.
Unfassbar heilige Zwielichthelle
Schliesst still den Himmel zu.
Süss, leis und lau bebt’s durch die Luft
Wie Frühlingsathem keuscher Blüthen
Aus halberschlossenen Knospen.
In veilchenfarbenen Dünsten
Steigen, zögernd sich enthüllend,
Die Berge auf.
In weitem Kranz umsäumen sie
Den See,
Vom goldnen Morgenroth beglänzt.
Und in den Himmel ragen fragend
Der Firnen Eisesstirnen
Gleich Flimmerkronen:
Majestät, wo ist Dein Thron? —
Wie Schneegeriesel wirbelt
Und Flockentanz
Der Blütenfülle duftiger Reigen
Durch der Lüfte lichte Räume
Und bedeckt des Sees Spiegel.
Im blüthenschweren goldnen Nachen
Nur zwei allein: Du und ich —
Am Steuer Du, mein stummes Schicksal,
Verhüllt in Purpurschleiern,
Drohend aufgerichtet,
Und an die Ruderbank gefesselt ich,
Mit müden Armen,
Kummervoller, wissensdurstiger Seele
Wohin? Was sinnst Du?
Ich wiederhole scheu die Frage:
Wohin? — — Ich athme kaum.
Der Nachen schwankt und sinkt.
Wer löst des Tages bangen Traum?
M. G. Conrad.
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JUGEND
Nr. 10
Ein neuer Todtentan; (III. Folge)
Und »och einmal ergoß sich eine Welle Lachens
unter ihnen und dann versanken sie eine Schattier-
n»g tiefer in Nachdenklichkeit darüber, was es
doch für kuriose Dinge im Leben gibt und >vie
man — das weiß jeder Schaffer — nie anslernt!
Ich aber erhob mich, ich muß sagen, in einem
kleinen Rausch von genossenem Leben und reif-
ster Kunst; in einem Rausch, in dem ich hell und
nüchtern genug blieb — und das inacht die
Räusche selig —, um so gcscheidt zu sein, in die
andere Wagenhälfte zu gehn, um die Rundheit
der genossenen Dichtung nicht in Gefahr zu
bringen. Ich >var satt und — nun ich Hab's
gesagt — trunken!
Und nun weiß ich nicht; ist denn diese Ge-
schichte so schon, oder kann ich so wenig vertrage»,
daß ich von dem voll ward? Und >ver hat es
mir am meisten angethau: die Fabel, der Sänger
oder seine kostbaren Zuhörer, die Künstler im
— Hören und Genieße»? Was frag ich: es ist
die vollendete Harmonie aller drei zrl einer glück-
lichen Einheit. Alles war Kunst daran, Kunst
der Natur. Es war — daß ich es mit einem
Worte decke — es war: kristallisirtes Leben.
Jens.
Im 1>3L1M
Auf Erden tiefste Mitternacht.
Schleichendes, keuchendes Dunkel.
Die Welt erliegt der Last der Finsterniss.
Plötzlich darüber her
In zuckenden Rissen ein blutiger Himmel,
Und Glockengeläute
Wie ausfernsten Sternen herabgeschüttet
In hallenden, wallenden Fluthen.
Dazwischen Sehnsuchtsruf
Voll brünstiger Angst,
Wie Flammen im Ersticken —
Aus wundenweh’ster Brust
Ein nie gehörter Schrei.
Und immer neue Rufe.
Ist’s Götterschrei um Hilfe
In Noth, wie sie kein Mensch erfand?
Schrillt so im Glücksbegehr,
Im Freudenhunger,
Im wilden Lebensdrang
Die stumme Ewigkeit?
Ein letztes Brüllen wie Sturmgewoge
Wollusttoller Selbstvernichtung,
Selbstverhöhnung
Vereint die Stimmen mit dem
Läuteschwall,
Dem erzenen Klangsturz
Weltenferner Glockenchöre ...
Ein Schweben, Schwinden, Sterben jetzt,
Ein Ineinanderrinnen im Verweh’n
Von Nacht und Laut.
Unfassbar heilige Zwielichthelle
Schliesst still den Himmel zu.
Süss, leis und lau bebt’s durch die Luft
Wie Frühlingsathem keuscher Blüthen
Aus halberschlossenen Knospen.
In veilchenfarbenen Dünsten
Steigen, zögernd sich enthüllend,
Die Berge auf.
In weitem Kranz umsäumen sie
Den See,
Vom goldnen Morgenroth beglänzt.
Und in den Himmel ragen fragend
Der Firnen Eisesstirnen
Gleich Flimmerkronen:
Majestät, wo ist Dein Thron? —
Wie Schneegeriesel wirbelt
Und Flockentanz
Der Blütenfülle duftiger Reigen
Durch der Lüfte lichte Räume
Und bedeckt des Sees Spiegel.
Im blüthenschweren goldnen Nachen
Nur zwei allein: Du und ich —
Am Steuer Du, mein stummes Schicksal,
Verhüllt in Purpurschleiern,
Drohend aufgerichtet,
Und an die Ruderbank gefesselt ich,
Mit müden Armen,
Kummervoller, wissensdurstiger Seele
Wohin? Was sinnst Du?
Ich wiederhole scheu die Frage:
Wohin? — — Ich athme kaum.
Der Nachen schwankt und sinkt.
Wer löst des Tages bangen Traum?
M. G. Conrad.
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