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Nr. 19

TUGEND

1898

Gen ofeva Robert Engels (Düsseldorf).

Morella

Von

Edgar Allan Poe.

it einer Enipfindung tiefer, wenn auch
seltsamer Zuneigung schaute ich meine
Freundin Morella an. Seitdem mich vor vielen
Jahren ein merkwürdiger Zufall ihr nahe brachte,
brannte in meiner Seele ein heftiges, wildes
Feuer, das ich nie zuvor gekannt: aber das
Feuer stammte nicht vom Gotte Eros, und
bitter und qualvoll war für mich die stets deut-
licher werdende Ueberzeugung, daß es mir nie-
mals gelingen würde, mir seine ungewöhnliche
Bedeutung zu erklären, noch auch seine unge-
stiime Heftigkeit in etwas zu mildern. Gleich-
wohl fanden wir uns; und das Schicksal ver-
einte uns am Altar. Und niemals sprach ich
von Leidenschaft, noch dachte ich an Liebe. Sie
hingegen mied die Menschen scheu; sie wollte sich
nur nur und mir allein ergeben und machte mich
so glücklich. Es ist ein Glück so wunderbar, ein
traumhaft-schönes Glück!

Morella's Bildung war sehr gründlich. Ihre
Talente waren ungewöhnlich, gigantisch ihre
Geisteskraft. Ich fühlte das, und ward ihr
Schüler in gar mancher Hinsicht. Bald schon
bemerkte ich, daß sie — in Preßburg war sie
erzogen worden — nüch mit einer ganzen Reihe
jener mystischen Schriften bekannt zu machen
wünschte, welche oft als der Sauerteig der Litera-
tur der Zukunft bezeichnet werden. Sie bildeten
ihr constantes Studium und waren ihre ganz
besonderen Lieblinge — aus welchem Grunde,
das ahnt' ich nicht — und daß sie mit der Zeit
auch die meinigen wurden, muß wohl dem ein-
fachen aber wirksamen Einflüsse der Gewohnheit
und des Beispiels zugeschrieben werden.

Mit all' dem hatte mein Verstand nur we-
nig zu schaffen. Meine Ansichten wurden —
wenn mich nicht Alles trügt — in keiner Weise
von meinem Ideal beeinflußt, und ich glaube
bestimmt, daß sich weder in meinen Handlungen
noch in meinen Gedanken auch nur eine Spur
von jenem Mystizismus verrieth, den ich damals
so gründlich kennen lernte! In dieser festen
Ueberzeugung überließ ich mich willenlos der
Führung meines Weibes und versuchte uner-
schrocken das Gewirre ihrer Studien zu durch-
dringen. Und dann, dann, während ich über
Verbotenem brütete, fühlt' ich's, wie verbotene
Begierden in mir erwachen, wenn Morella
ihre kalte Hand in meine legte, und aus der
Asche einer längst begrabenen Philosophie einige
seltsame Worte aufwühlte, deren wunderbarer
Sinn sich in mein Gedächtniß eingrnb. Und
dann könnt' ich Stund auf Stunde an ihrer
Seite schmachten und der Musik ihrer Stimme
lauschen, bis endlich — entstellt schon war der

Klang durch wilden Schrecken — ein Schatten
leis' auf meine Seele fiel; — dann ward ich
blaß und schauerte innerlich zusammen, ob des
allzu Unirdischen dieser Töne. Und so ver-
wandelte die Freude sich, ach! all zu rasch nur
in Entsetze», und das Schönste ward das Schreck-
lichste, wie Hinnom einst Gehenna ward.

Es ist unnöthig, hier die genaue Beschaffen-
heit jener Untersuchungen darzulegen, welche,
aus der Lektüre der oben erwähnten Blicker
herauswachsend, während so langer Zeit für
Morella und mich das einzige Gesprächsthema
bildeten. Gelehrte würden sie in dem, was die
theologische Sittenlehre anbetrifft, sehr wohl
verstehen, von Laien indessen würden sie wohl,
glaub' ich, kaum verstanden werden. Fichte's
schwärmerischer Pantheismus, die gemäßigte
TcaXiyj/eveaia des Pythagoras und vor Allem
die Lehren der Identität, wie sie Schelling
geltend gemacht, das waren die Diskussions-
objekte, welche der phantastischen Morella am
schönsten und am anziehendsten erschienen. Jene
Identität, welche als persönlich bezeichnet wurde,
besteht, wenn ich nicht irre, Locke zufolge, in
der Gleichheit eines mit Vernunft begabten
Wesens. Und seit wir unter einem Menschen
ein intelligentes, mit Vernunft begabtes Wesen
verstehen und seit es ein Bewußtsein gibt, welches
jeden Gedanken begleitet, ist es Das, was uns
dazu führt, wir selbst zu sein, uns dadurch
von anderen denkenden Wesen zu unterscheiden
und uns unsere persönliche Identität zu ver-
leihen. Das prinoipiam inäiviänationis, der
Begriff jener Identität, welche entweder mit dem
Tode auf immer verloren geht oder erhalten bleibt,
hat mir zu allen Zeiten das größte Interesse ein-
geflößt, nicht so sehr um ihrer verblüffenden Con-
sequenzen, als uni der bezeichnenden Art willen,
in welcher Morella von ihnen sprach.

In der That aber war nun die Zeit gekom-
men, da mich das Mysterium des Wesens
meiner Frau gleich einen: Zauber zu überwäl-
tigen begann. Länger konnte ich den Druck
ihrer bleichen Finger nicht ertragen, auch nicht

die tiefen weichen Klänge ihrer musikalischen
Sprache und den Glanz ihrer melancholischen
Augen. Und all' das merkte sie und war nicht auf-
gebracht darüber; sie schien sich meiner Schwäche
oder meines Wahnsinns wohl bewußt zu sein
und nannte sie nur, lächelnd, Fatum. Sie schien
auch eine mir unbekannte Ursache für die all-
mähliche Ermattung meiner Aufmerksamkeit zu
errathen. Allein sie deutete sie mir mit keinem
Worte an. Sie fühlte sich Mutter und ward
mit jedem Tage elender und schwächer. Die
harteRöthe schwand nicht mehr von ihrcnWangen
und auf der Stirne schwollen ihr die blauen
Adern an; und oftmals gab ich dem Gefühl des
Mitleids ganz mich hin; doch gleich darauf schon,
wenn mich ein Blick aus ihren klugen Augen
traf, ward meine Seele siech und mich erfaßte ein
Schwindel, wie er Den erfaßt, der in den uner-
gründlich-tiefen Abgrund schaut.

Soll ich's gestehen, daß ich mich in solchen
Augenblicken unbeschreiblich nach Morellas Tode
sehnte? Ich that es; doch lang, unendlich lange
noch hat sich die schwache Seele an ihre irdische
Hülle festgeklammert, so lange, bis endlich die
gequälten Nerven Herr geworden über meinen
Willen und ich nun rasend ward, mit der Ge-
sinnung eines Teufels die Tage und die Stunden
und die bittren Augenblicke wild verfluchend, die
sich, gleich wie auch ihr zartes Leben sich nur
langsam seinem Ende neigte, wie Schatten in der
Abenddämmerung verlängerten.

Doch eines Abends, 's war im Herbste, und
die Winde ruhten still im Himmel, ries mich
Morella an ihr Lager. In düsteren Nebel war
die ganze Erde eingehüllt, ein warmer, dunkler
Glanz lag auf dem Wasser und in dem üppigen
schön gefärbten Herbstlaub zitterte einRegenbogen.

„Es ist der herrlichste der Tage," sagte sie,
als ich mich näherte, „ein Tag zum Leben oder
Sterben. Es ist ein schöner Tag für all' die
Söhne dieser Erde und des Lebens — ein schön-
rer noch für all' die Töchter des Himmels und
des Todes!"

Ich küßte ihr die Stirn; dann fuhr sie fort:

„Ich sterbe jetzt, und doch werd' ich noch leben!"

„Morella!"

„Der Tag ist nie gekommen, an dem Du
mich hast lieben können — doch sie, die Du im
Leben nur verabscheut, im Tode wirst Du sie
verehren lernen!"

„Morella!"

„Ich wiederhole Dir, daß ich im Sterben
liege. Doch in mir trage ich ein Pfand von jener
ach so kleinen Liebe, welche Du einst für mich
empfunden. Und wenn mein Geist dahingegangen
ist, dann wird das Kind erst leben — Dein Kind
und mein's, Morella's. Doch Deine Tage werden
Trauertags sein — von jener Trauer, welche,
intensiver noch als alle anderen Empfindungen,

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Register
Edgar Allan Poe: Morella
Bernhard Pankok: Vignette
Robert Engels: Genofeva
 
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