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1898

' JUGEND »

Mr. 22

dort das stillwirkende Licht ans Annes Zimmer.
Ls war Nacht. Da wallte es in mir auf.
Ich riß das Weib an mich.

„Komm," sagte ich und mir war, als habe
ich keine Stimme. „Ls ist Nacht."

Sie wich zurück, sie brach in Thräucn aus.
Durch all meine Erregung zuckte eine despcktir-
lichc Ungeduld. „Jetzt noch Zierereien und
Srenen," dachte ich ärgerlich.

„Ich kann nicht," stammelte Anne. „Ich
will nicht." — „Du mußt. Und Du willst auch.
Den ganzen Tag hast Du gewolltI" sagte ich
fast rasend vor Zorn und umfaßte sie. Furcht-
sam riß sie sich los.

„vergeben Sie mir, vergeben Sie mir.
Ich liebe Sie nicht!" schrie sie.

Ich weiß garnicht mehr genau, was alles
an zornigen und bangen Pin- und perreden
gerufen ward, ob ich bat und ob ich zudringlich
ward. Sicherlich! Ich weiß nur noch, daß
wir endlich auf derselben Bank vom Ukorgen
saßen und ich, wie ein abwartender Richter,
ihr pandgelenk umklammert hielt, während
sie sprach.

„Ls ist ganz einfach — aber ich fürchte,
ich kann es Ihnen doch schwer erklären. Sie
haben ja ganz Recht, wenn Sie sagen, ein
temperamentvolles Weib kann sich wohl durch
den Moment Hinreißen lassen, einen ungelieb-
ten Mann zu küssen, während ich Ihre Leiden-
schaft langsam wachsen sah und ihr auch mit
wachsendem Lntgegeukominen in's Auge sah.
DH, wenn Sie wüßten, wie mir das wohl
that. Zu sehen, wie Sie begannen, mich zu
lieben, wie Sie mich schön und gut und klug
fanden und meine Fehler gering anschlugcn,
wie Liebe Ivcrthe schätzt. Ich habe so Fürchter-
liches erlebt, wir Frauen begreifen cs eben
nie, niemals, wenn wir unser Bestes und
Tiefstes in grenzenloser Selbstaufopferung hin-
gegeben haben, daß man eines Tages bei
Seite geschoben werden kann, um einer Andern
willen, deren «Dualitäten Niemand, auch der
Unbefangenste, den unseren gleichschätzt. Ich
zweifelte an meinem Werth als Mensch, an
meinem Reiz als Weib. Ls war in mir et-
was krank. Das einfache, grade Selbstbewußt-
sein war krank. Sie gaben cs mir wieder."

„Das entschuldigt Dich nicht," sagte ich
hart, „daß Du so weit gingst — mir so viel
poffnung gabst — das entschuldigt Deine
Küsse nichtl"

Sie wand sich förmlich, mir ihre pand zu
entziehen.

„L>h mein Gott," sagte sie, „wie ist das
für mich . . . wie schrecklich . . . Ich war
so arm. Ls war, als wenn mich sror. Ich
lechzte darnach, wieder eine streichelnde pand
auf meiner pand zu fühlen. Und solch lodern-
des verlangen in dunklen, herrischen Augen

zu sehen. Ach, es war das Bedürfniß einer
verwaisten nach Liebkosung — nach — ich
weiß nicht, wonach . . . nur sich wieder ge-
borgen fühlen — nur die warmathmende
Nähe eines Mannes spüren, dem ich das
Leben bin. . . nur der breuneude Durst nach

ein bischen Glück.und mir war,

als könnte es mir auch ein Anderer geben

.Aber nun weiß ich.es war

doch nur ein verlangen und ein Drängen zu-
rück nach ihm! Ich bin ihm treu — ich kann
nicht anders. ..."

Ihre arme liebe Stimme brach in Thränen.

Und ich saß da, stumm und still und ließ
sacht ihre pand los. Ich mußte cs begreifen:
meine Liebe und inein Kuß und mein ver-
langen hatten in ihr die Treue aus dem
Scheintod wieder aufgeweckt für Linen, der
sie vcrrathen hatte und den sie, in glühendem
Lcbcnsdraug, gern vergessen geivollt.

wie lange ich so saß, weiß ich nicht.

Ich ließ sie fort weinen — wie sollte ich
sie trösten. Endlich war sie still, wir
schwiegen immer weiter. Und zuletzt stand
sie auf und sagte leise:

„vergeben Sie mir. Und — und —
ich danke Ihnen — oh so sehr."

Und weiß Gott, es war ein heimlicher
Jubel in ihrer Stimme, wie bei Ieinand, der
was wiedergefundcn hat.

Dann ging sie. Und ich saß immer noch,
betäubt vor Schmerz. Ls that fürchterlich
weh! Denn ich fühlte, daß ich sie doch ge-
beten haben würde, mein Weib zu werden —
keinen Tag und keine Arbeit könnt ich mir
noch ohne sie denken.

Noch in der Nacht reiste ich fort.

Förmliche Anstrengungen Hab' ich gemacht,
ihr böse zu sein. Ich kann nicht, ich bin
blos traurig. Aber verstehen kann ich doch
nicht, wie das ist: treu sein und doch eine
Treulosigkeit begehen.

Ich bleibe noch lange fort. Das muß erst
zuheilen. Dci„ mfr^

Klein lieber Alfred! Als meine heißge-
liebte Erna ein halbes Jahr in Paris zu-
bringen mußte, ertapptest Du mich einmal,
wie ich von der Baronin Famort kam. Und
bist Du Dir von früher keiner ähnlichen Treu-
losigkeiten in aller Treue bewußt? Auch
glühender Lebensdrang, mein Junge! Bei
uns ist der Lasus so einfach, wie 2X2 vier
ist. Bei den Weibern gibt's einen sinnlich-
übersinnlichen Lonflikt. Das ist das Ganze
— darin stockte Deine arme Anne, und da
sie eine tiefe, vornehme Seele ist, zogst Du
eben den Kürzeren.

Baldige Peilung wünschend, grüßt

Dein Pa NS, Margarethe v. Brauchitsch (Halle).
Register
Margarethe v. Brauchitsch: Zierleiste
 
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