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1898

JUGEND

Nr. 22

Wenn’s Niemand sieht

Mathilde Ade (München).

Marone

Qnd immer ist's der alte Canz
Von Penthesilea bis l^äthchen:

Sie spielt vor dern heissen Verben des jVfarms
So gern das spröde Mädchen.

pas tolle V\äthchen, die wilde V^atz,
pie widerspensi'ge l^athrine —

Sie will gern knieen vor ihrem Schatz,

Vill, dass er herrsche, sie diene.

Vill nicht verehrt im Heiligenschrein
Streng byzantinisch glotzen!

Vär' sie nicht innerlich schon sein,

Sie würde so giftig nicht trotzen!

Sie ballt so prieg’risch die kleine Hand,

Önd thut sich schrecklich erdreisten,
pass er als Sieger sie in den Sand
Ver/e mit nervigen fausten!

Sterbend vergehen an seiner V\ra/t,

Heisst ihre Siegeskrone —

€s ist besiegte Mädchenschaft
Jn jeder Amazone.

Kory Towska.

Duo. Trio und Duo

^M^raußen vor der Stadt, hinter dem Wall mit
feinen hohen Linden- und Akazienbäumen
stand das kleine Haus, das ihr der Selige hinter-
laffen. Er war nicht allzulange zwischen den
buchsumsaßten Beeten gewandelt, angethan mit
feinem geblümten Schlafrock, den Fez auf dem
haarlosen .Stopf; der Tod hatte ihm nicht ver-
gönnt, sich seines neuen kleinen Besitzthums zu
erfreuen. An einem Kühlen Frühlingsmorgen, als
die Riederung voll Diebel war und die Dbstbäume
nur mit den Kronen aus den Dunstlaken sahen,
die durch den Garten gespannt waren, hatte er
sich's geholt. Kaum drei Tage lag er krank,
dann ging's zu Lnde. Frau Christiane, die
„Lhrischtine," wie sie die alten Rebberger immer
noch nannten, betrauerte ihn wie's schicklich war;
sehr tief ging der Schmerz nicht, denn er hatte
sich in den letzten Jahren ihrer Ehe besonders
zänkisch und nörgelnd gezeigt und die ursprüng-
liche Rohheit seines Charakters nicht mehr ver-
bergen können. Der Selige hatte sich nämlich
vom Metzger zum Kellner, vom Kellner zum
(Oberkellner und dann zum Hotelier emporge-
schwungen und lebte erst in seinen alten Tagen,
als er die „Lhrischtine" geheirathet, von seinen
Renten, beneidet von allen Rebbergern.

Frau Christiane war nicht gern an den Lebens-
gang des Gatten erinnert, bei ihrer Verlobung
war er Rentier, trat mit großem Selbstbewußtsein
auf und zeigte gute, wenn auch etwas Knappe
Manieren, er hatte sich seinen Schliff in England
geholt und ließ das auch im Umgang deutlich

merken. Sie dagegen war durch lange Jahre in
Frankreich gewesen und kannte nichts Höheres als
Paris, und sprach fast von nichts als von Paris,
Bei einem ihrer seltenen Besuche in Rebberg hatte
sie den alten Ehrhardt getroffen und er, geblendet
von ihrem Witz, von ihrer Bildung, ihrer Eleganz
und ihren guten, etwas gezierten Umgangsformen,
hatte alles darangeseyt, sie zu seiner Frau zu be-
kommen. Die „Lhrischtine" hatte zu Rebbergs
hellem Erstaunen zuerst durchaus nicht daran ge-
wollt. Sie fühlte dumpf, daß dem Mann mit der
röthlichen, etwas apoplektischen Gesichtsfarbe und
den tadellos geschnittenen, englischen Kleidern, die
aber immer ein wenig versteckt waren, das fehlte,
was ihrer Seele den Schwung gab; aber, daß
sie eine Heimath bekam, daß sie in ihrer Vater-
stadt als reiche Frau sitzen konnte, die sie als armes
Mädchen verlaffen, daß das Herumbücken und
Komplimentiren bei den Fremden ein Ende hatte,
daß sie nicht mehr „das Fräulein," nicht mehr
„Mamsell," nicht mehr Dienstbote zu sein brauchte,
sondern selbst Herrschaft war, das verlockte sie.
Auch daß sie sich nicht allein als die reichste, son-
dern auch als die gebildetste Frau in Rebberg
fühlen konnte l Denn wenn Bildung und Eleganz
mit Reichthum gepaart waren, bemerkten es auch
die Rebberger. Sonst, im Allgemeinen, galt ihnen
Bildung nichts, eher lächelten sie darüber, aber
mit der Basis, die der alte Ehrhardt schaffen
konnte, sah sich die Sache schon anders an.

Unglücklich wurde die Ehe gerade nicht. Frau
Christiane schickte sich in die gelegentlichen Derb-
heiten des Gatten, wie sie sich in die Launen der
Herrschaften geschickt hatte, unterdrückte viel von

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Register
Anna Croissant-Rust: Duo, Trio, Duo
Mathilde Ade: Wenn's niemand sieht
Kory Towska: Amazone
 
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