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Nr. 22

1898

Julie Wolfthorn (Berlin).

AKT-STUDIE

dem, was ihr am Herzen und auf der Seele lag,
und hatte eine wirkliche Freude an ihrem Reich-
thum, was wollte sie denn mehr? Daß sie
für sich ein Leben haben wolle und für sich wünsche,
trug, fiel ihrem Satten gar nicht ein, Aber in
der kleinen, zierlichen Frau Lhristiane regte sich ein
unbändiger Eigenwille, den die Jahre unter den
fremden geknechtet hatten und der sich nun von
Zeit zu Zeit zu des Alten Erstaunen ganz plötzlich
und zwar sehr bemerkbar machte. Er nannte es
zuerst Schrullen und lachte, und meinte, so lange
es ihn nicht betreffe, könnte sich's seine Frau
leisten, aber bei einer sehr wichtigen Angelegen-
heit betraf's auch ihn, und die Schrulle wollte
ihm nicht in den Kopf, Das war, nachdem er
das kleine Haus vor der Stadt gekauft, und daran
gehen sollte, den Garten umzuwandeln, denn diesen
Rebberger Haus- und Gemüsegarten wollten sie
alle Beide nicht. Daß es etwas ganz Zeines,
Elegantes, oder wie Frau Lhristiane in ihrem
Pfälzer Dialekt, den sie nie abgelegt, sagte „etwas
Foines, Elegantes" werden müffe, darüber waren
sie ganz einig, Aber er wollte den Garten englisch,
natürlich, darüber war nicht zu reden, grüne Bos-
quet's, Rasen, viel Schatten, aber sie redete doch
darüber und zwar ganz nachdrücklich, so nachdrück-
lich wie er sie nie gehört, S i e wollte den Garten
französisch, natürlich, darüber war nicht zu reden,
denn nur ein französischer Garten paffe zu dem

Stil des weißen Häuschens, Das müffe man
eben verstehen. Und wie er sich auch erstaunte,
wie er wetterte und stuchte, sie blieb unerschütter-
lich, „Ich will mei' Lluatorze-Gärtche hawwe,"
Und sie stampfte dabei mit dem Fuße, sie die Stille,
Sanfte, Bescheidene! Sie schalt seinen Geschmack
plebejsch, sie verlachte ihn, zuletzt schmiß er wüthend
seinen Fez in die Ecke und unterlag ihrem fran-
zösischen Geschmack und ihrer französischen Bildung,
Und das „Auatorze-Gärtche" kam.

Kam mit lang gestreckten Beelen an beschnitt-
enen Hecken hin, mit einem kleinen eckigen Teiche,
mitRabatten, gesäumtvon steifem, blechernen Buchs;
die alten Bäume fielen, und durch eine schnurgerade
Buchenallee sah man auf die Wellenlinien der
Pfälzer Berge, Klein, zierlich, niedlich alles,
„Puppenwirthschaft!" stuchte er, wenn er,
schwer und ungeschlacht, auf den weißen Kies-
wegen hin- und hertrable. wie würde er erst ge-
flucht haben, hätte er den Sommer erlebt! Welche
Gluth auf den schattenlosen wegen, welche Aval,
in dem reizenden Garten zu wandeln!

Frau Lhrlstianens zweite Schrulle war die Auf-
stellung eines weißen Götterbildes an dem kleinen
Teich, der in dem geschorenen Rasen ruhte. Im
Princip war er ja einverstanden, besonders nach-
dem sie ihm kurz erklärtem „Ich will mei' Statue
hawwe," Den Ton kannte er nun und fügte
sich diesmal gleich, aber als die Kiste aus der Resi-

denz anlangte, die Emballage fiel, und er sah,
was seine Frau gekauft, erlitt er fast einen tvhn-
machtsanfall, Das für ihren Garten, das für
Rebbergs keusche Augen und schnelle Jungen!
Seine ganze englische Bildung empörte sich — der
weiße Gott hatte nämlich nichts — gar nichts
an! Und er sah ganz unbefangen dabei aus, der
schöne Götterjüngling, ganz wie wenn er es in der
Grdnung fände, vollständig splitternackt vor den
Augen der Menschen zu stehen! Er machte nicht
einmal den versuch, seine unanständige Racktheit
durch eine halbwegs verblümte Stellung oder Be-
wegung zu verbergen. Es war einfach skandalös!
Das hatte seine Frau gewählt, darin fand sie
nichts! Und der ehemalige Hotelier, der mit un-
erschütterlicher Ruhe und vollendetem Takt das
Unanständigste in seinem eigenen Hotel übersehen
hatte, wurde klrschroth im Gesicht und brüllte
wie ein Stallknecht, Damals fiel von ihren Lippen
— ihren gebildeten Lippen! — ein Wort, das er
ihr bis zu seinem Tode nicht verzieh; „Unkultivirter
Beefsteakfreffer!“ Das war also ihre wahre
Meinung über ihn!

Lr ermangelte nicht, ihr zu erwidern, gleich-
sam ihr Idol von Land mittreffend, wie sie das
seine getroffen; „Ausgeschämte Grisettel" Sic
warf aber nur die Lippen auf und zuckte die
Achseln, — Ja, wenn es eine weibliche Figur ge-
wesen wäre! aber, daß sie an dieser offenbaren,

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Julie Wolfthorn: Akt-Studie
 
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