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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

DOI issue:
Nr. 52 (24. Dezember 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0450
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Nr. 52

JUGEND

1892



(Als D-dur zu lesen.)

IVi-

lllkimissmirk-Lanon von Btto Erich Sjartirlicn

grn von 8 und einen von 6 Jahren. „Ich
schenke meinen Jungen grundsätzlich nur nütz-
liche Sachen zu Weihnachten," sagte er zu mir,
„wie Stiefel, Strümpfe, Mützen, Schulräuzel
u. dgl. All der andere Tand- und Spielkram
verleitet lie nur zu Thorheit, Faulbeit und Un-
aufmerksamkeit und bringt sie dahin, den Werth
des Geldes gering zu achten. Die Großmutter
schenkt ihnen ein Stück Spielzeug, und das ge-
nügt, In ein paar Tagen ist es doch wieder kaput."

„Herr Schraffelhuber," sagte ich darauf, „Herr
Schraffelhuber, wissen Sie, was ich Ihnen gönne,
Herr Schraffelhuber? Ich gönne Ihnen, wenn
Sie mal in den Himmel kommen, daß der Herr-
gott Ihnen einen großen und dauerhaften Regen-
schirm schenkt und sagt: ,Hier, mein lieber Schraffel-
huber, hast Du einen großen und dauerhaften
Regenschirm als Krone des Lebens, Dein Platz
ist nämlich draußen in meiner dicksten Rcgen-
wolke. Da wirst Du diesen praktischen, nützlichen
und zwecknmßigen Regenschirm zu schätzen wisse».
Ich wünsch'DireinenutzbringcndeSeligkeit, mein
lieber Schraffelhuber!' — Das, Herr Schraffel-
huber" (sagte ich!), „das gönne ich Ihnen."

Seitdem haßt er mich; aber wenn solche
Leute mich hassen, daS wärmt mich so recht inner-
lich, als wär's der herrlichste Weihnachtspunsch!

An solchen Festen soll ja der Beschenkte kosten
„von dein goldnen Ucbcrfluß der Welt," und
man toll ihm spenden, was ihm unter gew öün-
lichen Umständen nicht erreichbar märe! Wenn
der arme Teufel barfuß läuft, so schenkt ihm
Stiesel und Strümpfe; wenn er aber des Leibes
Nothdurst hat, so schenkt ihm eine Trüsfelwurst
oder Henry Clays oder eine Radirung von
Klinger oder — warum nicht, wenn er sich'S
wünscht?! — eine kleine Drehorgel, gerade weil
es Verschwendung ist, weil eS Luxus ist, tveil
es ein Spiel ist! Ach mein Gott, tvir haben ja
alle daS Spiel so nöthig! Dazu sind uns ja
Tage des Festes gegeben, daß wir einmal her-
auskommen aus der verdammten Trivialität
der Regelmäßigkeit! Darum verzehrt man ja
am Weihnachtsfeste so viele Hasen, Gänse-, Enten,
Karpfen, Kuchen, Aepfei, Nüsse, Mandeln, Ro-
sinen, Datteln, Feigen, Mandarinen und Apfel-
sinen mit den zugehörigen Getränken, weil selbst
die geregelte Verdauung etwas ist, waS unter-

brochen werden muß, wenn es nicht langweilig
werden soll!

Ich kann euch sagen: ich Hab' die Nützlichkeit
geschmeckt. Die guten Eltern waren keine Pro-
saiker, wenn's nicht nöthig war. Aber als ich
vierzehn Jahr alt war, da hieß es: ..Der große
Junge braucht wohl kein Spielzeug mehr; der
kriegt diesmal was Nützliches." Natürlich stimmte
ich stolzen Herzens zu; es war ja noch 14 Tage
vor Weihnacht. Ich, ein junger Mann von vier-
zehn Jahren, werde mir Spielsachen schenken
lassen — lächerlich! Als dann aber dieBcscheer-
ung kam, da waren wirklich keine da! Die
jüngeren Geschwister hatten niedliche Windmühlen
und Baukästen und Hühnerhöfe; aber ich hatte
nicht ein einziges Stück, sag' ich euch! Nur
Kragen, Strümpfe, Halstücher und so etwas.
Geweint Hab' ich sehr, aber nur nach innen!
Zwei oder drei bitter-heiße Tropfen. Nach außen
Hab' ich den jungen Mann aufrecht erhalten.
Ein paarmal Hab' ich mich wohl vergessen und
heimlich mit den Sachen der andern gespielt;
aber — du lieber Himmel — mit 14 Jahren ist
man auch noch ein recht junger Mann, Als
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Julius Diez: Renaissance-Canon von Otto Erich Hartleben
 
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