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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 33 (12. August 1899)
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Nr. 33

JUGEND

1899

(Er warf das heikle Document beiseite, lehnte
den Koxf in das Riffen zurück und fing an
nachzusinnen. Die Sache brachte ihn auf allerlei
melancholisch-religiöse Gedanken. Denn er war
-in seiner weise religiös, in so einer Art pessi-
mistischer Religiosität, der z. B. die Unsterb-
lichkeit ein nothwendiges Fatum ist.

Es war so angenehm schrecklich zu denken,
daß man unsterblich, wo doch schon dieses
liebe bischen Leben im Grunde so fad ist und
man kaum weiß, wie man eigentlich die Tage
noch hinbringen soll.

Dieser Gedanke der Unsterblichkeit und
Ewigkeit! — Aber man konnte nicht um ihn
herum; diese Unsterblichkeit war ein noth-
wendiges und unausweichliches Resultat con-
sequentesten Denkens.

Lr war im Begriff, sich so recht in die
satanische Wollust dieses . seines religiösen
Lieblingsgedankens zu vertiefen, als er plötz-
lich auffuhr und das Gesicht zur Thür des
Nebenzimmers herumwandte.

Nebenan sang jetzt frisch eine volle wohl-
iönende Altstimme den alten schönen Lantus:
„Lorenz, Lorenz, Lorenz!

Mach keine Raupen,

Sattle Dir Dein Roß,

Steig in den Bügel,

Reit einmal in's Schloß!"

Ls war Monikachen, die sich mit diesem
schönen Rundgesang, den ihr einer von Ma-
ma's Zimmerherrn, ein Kandidat der Rechte,
hinterlassen, in ihrer weise die Zeit vertrieb.

Den Roxf aufgestützt, lauschte er.

Richtig, richtig! Die Kleine! Die da, als
er neulich mit Mama im Lorridor conferirte,
so allerliebst gelacht hatte!...

Hahaha!...

Natürlich hatte er nicht versäumt, mit
diesem reizenden Käfer bei nächster Gelegen-
heit ein „einleitendes" Gespräch anzuknüxfen.
Aber er hatte nicht die mindeste Ursache, mit
seinem Lrgebniß zufrieden zu sein. Denn
Monikachen hatte ihm mit der ganzen Naive-
tät ihrer jungfräulichen Unschuld die bereits
gekennzeichnete Auffassung seiner (Charakter-
eigenschaften so rückhaltslos und unmißver-
ständlich zu erkennen gegeben, daß er trotz all
seiner gewohnten Sieghaftigkeit sich hatte ge-
stehen müssen, daß hier ein für allemal „nichts
zu machen" sei...

Begreiflicherweise war die Sache ein Pro-
blem und zwar ein um so interessanteres, als
Monikachen der Zahl ihrer Jahre uttb ihrer phy-
sischen Entwicklung nach bereits um ein Beträcht-
liches über den Backfischzustand hinaus war.

Und eigenthümlich: dieses Problem fing
an, ihn nachhaltigst zu beschäftigen.

Lr hatte Monikachen angetroffen, wie sie,
die brennende Ligarre zwischen den Fingern,
sich mit dem Papagei unterhielt, und dieser
Anblick hatte, im Verein mit ihrem sonstigen
Benehmen, sein kluges und feines Nachdenken
in eine seltsame Verlegenheit, wenn nicht Be-
fangenheit gebracht.

So backfischmäßig sich ihre Aufrichtigkeit
nämlich auch ausgenommen, so glaubte er

doch als ihren Hintergrund eine ungewöhnlich
reife, klare weibliche Intelligenz zu gewahren,
die geradezu etwas von Genie und Raffe hatte.

Und überhaupt! Ihre reife, schlanke Ge-
stalt in dem schlichten, schwarzen Kleidchen;
diese weiche, unsagbar anmuthige Linie ihres
Hellen, aufgeknoteten Haares und ihrer pfirsich-
frischen Wange; ihre freimüthig bestimmten,
aufrichtigen und doch weiblich graziösen Be-
wegungen; der feste und offen freie Blick dieser
prächtigen, goldbraunen Augen: Offenbar, daß
er es hier mit einer Dame von Lharakter
und Temperament zu thun hatte, und zwar
einem höchst ungewöhnlichen und originalen..
Und das Fatale war, obgleich sie in ihrer
Unschuld sicher kaum etwas von seinen heim-
lichen Absichten gemerkt hatte, so war in ihrem
Wesen doch so eine geradezu belustigte, sichere
Zurückweisung gewesen, so eine freie, vornehme
und selbstbewußte Zurückweisung, wie etwa
nur eine Dame von Stand einen zudringlichen
Plebejer in Distanee zu halten weiß.

Zum ersten Mal, daß er keinen Eindruck
gemacht!...

Hm! — Ja, und die Ligarre... wie
eigen das gewesen war!... Eben Rasse, Rasse!
Rasse!...

Diesen Eindruck hatte Monikachen auf den
„Fatzken" gemacht...

Und er entdeckte mit einem Mal verwundert
und beschämt, daß er ja wohl im Grunde ein
„guter Mensch" sei? ...

Die Affaire hatte ihn wirklich außerordent-
lich nachdenklich gemacht. Ja, sie schien ja
wohl direkt eine fundamentale Revolution
seines Temperamentes und Lharakters herbei-
führen zu wollen?

Er wurde es nicht wieder los. Dieser
backfischmäßige Reiz, hinter dem hervor das
Weib mit unbewußter Ungeduld nach Ent-
faltung und Blüthe drängte! — Diese un-
bewußte , innerlich treibende Sehnsucht aus
dieser Einsamkeit heraus, die in ihrer Unschuld
zu burschikos genialer Laprice und Kobold-
haftigkeit geworden war und doch jeden zweifel-
haften versuch, sie zu „erlösen," so wunder-
sam fremd und mit so naturwüchsiger Instinkt-
sicherheit zurückwies!...

Er begann solid zu werden, war viel zu
Hause, philosophirte und war in allerbester
Gefahr, sich zu einem heimlichen Anbeter zu
entwickeln...

Und wirklich steckte er sich hinter Mama
und brachte es zu Wege, daß er in die kleine
Familiengemeinschaft ausgenommen wurde.

Und als er sich gelegentlich einmal erstaunt
fragte, wie er es nur ermögliche, ganze Abende
lang mit Mama diese ehrbaren, schon mehr als
hausbackenen Gesprächsthemen abzuwickeln,
da kam es ihm zur Klarheit, daß es nicht
lediglich wieder so eine Art von Sport und
raffinirten Zeitvertreibes sei, sondern, daß er
wirklich und wahrhaftig zum ersten Mal in
seinem Leben auf das kläglichste verliebt sei,
und daß, wie er wohl philosophirte, das „Weib
anfing, ihm respektabel zu werden...'

* » *

praktischer Resignation, in eine seltsame innere
Stille, die, zum Kuckuck, gar nicht unangenehm
war...

Der bisherige Anarchismus seines Fühlens
und Denkens gewann zunächst den festeren
Boden einer Philosophie des — Philisterthums,
wie er's hieß. Und dasjenige, über das er sein
Lebtag am meisten gespottet, enthüllte sich ihm
nun plötzlich mit einer ganz eigenartigen und
tiefen Bedeutung. Ja, er gelangte zu einem
Satz, der ungefähr dahin lautete, daß die bis-
herige Entwicklung einer gewissen Neuart des
modernen Menschen aus den alten Dogmen her
über eine kritisch-materialistische und pessimi-
stische Periode in die höhere praktische Einheit
eines geläuterten, freien, mit dem Leben aus-
gesöhnten Philisterthums münde...

Du großer Gott! Er schämte sich förmlich
dieses Resultates, konnte es sich nicht ohne
ein inneres Lrröthen zugestehen! Ein so eigen-
artig gedemüthigter Zustand von Resignation!
Und doch! was weiter? er fühlte sich wohl
dabei...

* * *

Noch nie in seinem Leben hatte er so ehr-
erbietig und schüchtern, mit so viel aufrichtigem,
zwischen Hoffen und verzagen hin- und wieder-
schwebendem Hangen und Bangen um irgend
ein weibliches Wesen geworben! — wirklich:
irgend so ein sauberer, rangirter Musterknabe
von Philisterjüngling hätte sich nicht ehrbarer
betragen können!...

Monikachen ihrerseits zeigte sich durch den
neuen Zustand ihres Anbeters zunächst ver-
blüfft, dann sehr belustigt, bis schließlich ein
gewisses Mitleid, das sie nach und nach für
ihn spürte, dem Zustand ihrer jüngferlichen
Freiheit verhängnißvoll zu werden begann,
zumal Mama dem „Fatzken" sekundirte, und
die Romantik seiner bewährten, durch ihr gegen-
wärtiges Ziel veredelten Don Juan-Künste
ihre Wirkung übte.

Und eines Tages, des schwersten in seinem
Leben, als er ihr den entscheidenden Antrag
machte, erbarmte sie sich mit Thränen im
Auge und so verliebt, wie — Seligkeit! —
nur eine so frische, liebenswürdige Unschuld
immer sein kann, des armen Kerls...

Nicht lange darauf war Monikachen seine
Frau.

Er hatte, im Bedürfniß nach dem Deck-
mantel irgend einer „soliden bürgerlichen Be-
schäftigung" einen Theil seines beträchtlichen
Vermögens für eine comfortabe Sportzeitschrift
angelegt, hatte am Wansee ein schmuckes,
idyllisches Landhaus angekaust, machte mit
Monikachen, die Reitunterricht genommen —
sie machte zu Pferde eine sehr elegante Figur —
und der er eine prächtige Fuchsstute erstanden,
Spazierritte und lebte im Stillen mit seiner
intelligenten, lebhaften, kleinen Frau ein zu-
friedenes Dasein.

Es war eine Musterehe. — Als Monikachen
ihren ersten Jungen bekam, entwickelte sie die
Eigenschaften einer ebenso verständigen, wie zärt-
lichen Mutter, die übrigens nicht verhinderten,
daß sie nach wie vor ihre Ligarre rauchte und eine
sehr geschickte und verwegene Reiterin blieb.. -

wirklich: aus den Wirbeln der Philosophie
und der Liebe schien sein Schiff in den trafen
treiben zu wolleil: und er gerieth in eine Art

G. E. Dodgef

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George Ernest Dodge: Zierleiste
 
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