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Nr. 6

JUGEND

1900

Vinter

dem Vorhang

Von Barry j)ain

Sir träumte, ich sähe
einen großen, von
Hellem Licht erfüllten Saal.

An einem @itbe desselben
hing ein dicker, schwarzer
Vorhang Der Saal war
voll von spielenden Kin-
dern. Hin und wieder ver-
schwand ein Kind hinter
dem Vorhang, doch keines
von denen, die hindurch-
geschlüpft waren, kam je
zurück.

Eine kleine Gruppe, et-
was abseits von den An-
dern, weckte meine beson-
dere Aufmerksamkeit. Ein
sanftblickendes Mädchen
und zwei Jungen; der eine
häßlich, doch klug ans-
sehend — der andere, der
niedergeschlagen schien —
hübsch.

„Ich möchte wissen,"
sagte er, „was hinter dem
schwarzen Vorhang ist?"

Das gute, kleine Mäd-
chen sagte: „Wir werden
es gewiß zur rechten Zeit
erfahren."

Und der häßliche, kluge
Junge sagte: „Ich weiß
es. Das ganze Zeug ist eilt
riesiger Schwindel. Sobald
wir durch diesen schwarzen
Vorhang gehen, hören wir
auf zu sein. Es ist zu Ende
mit uns, mit Allem. —

Das ist Alles linb ich lasse
mir keinen Schrecken ein-
jagen, nicht von sämmt-

lichen schwarzen Vorhän-
gen der Welt." Farbige Natur-Aufnahme

„Neinsagte der hübsche Junge, „ich
glaube, Du bist im Jrrthum. Was mich an-
betrifft, so möchte ich mit liebsten gar nie durch
diesen Vorhang gehen. Aber ich werde den-
noch müssen, und ich habe eine Art Vorahnung
dessen, was auf der andern Seite sein wird.
Tenn, daß wir etwas dort finden werden,
scheint mir sicher zu sein."

„Ja gewiß," sagte rasch das gute, kleine
Mädchen, „ich bin so froh, daß Du auch da-
von überzeugt bist."

„Jedoch vielleicht," fuhr der hübsche Junge
fort, „glauben wir doch nicht ganz dasselbe.

Ich stelle mir eine öde, verlassene Gegend vor.

Die Sonne scheint hier nicht und der Wind
ist rauh. Nur .bei Nacht schießen Feuerzungen
ans der Erde. Und alles Unrecht, das wir
gethan und gedacht haben, kommt frisch in unser
Gedächtniß zurück und wir erinnern uns jeder
bösen That so deutlich , als sei sie erst gestern
geschehen. Und das ist die Marter, die nie
aufhört — nie!"

Und der häßliche, kluge Junge sagte nur
verächtlich: „Blech!"

flßaria-Hcb an der Saljach

Das gute, kleine Mädchen aber seufzte tief
auf und legte ihre Hand leise auf den Arin
des hübschen Jungen.

„Nein," sagte sie, „sprich nicht so. Es ist
zu schrecklich. Uebrigens bin ich fest, so fest
davon überzeugt, daß es etwas ganz Anderes
ist, was drüben hinter dem Vorhang unsrer
harrt."

„Und was für ein Märchen kannst Du
wohl davon erzählen?" fragte der häßliche
Junge.

„Kein Märchen," sagte sie, „die Wahrheit.
Ich glaube daran. Ich weiß es sogar so sicher,
als ich weiß, daß ich hier stehe."

„Weiter," sagte der häßliche Junge' und
lächelte sarkastisch.

Das Mädchen schaute auf, mit ekstatisch
leuchtenden Augen.

„Trüben, hinter dem Vorhang," sagte sie,
„werden wir vollkommen glücklich sein, so
glücklich wie nie zuvor. Wir vergessen alles
Unrecht, alle unsere Sünden." —

„Und welches Unrecht hättest Du wohl
schon begangen?" fragte der häßliche Junge.

w.

„Viel, ach viel!"
„Blech," sagte der Jun-
ge wieder. „Meinetwegen,
weiter!"

„Ich stelle mir einen
wunderschönen Garten
vor, erfüllt von einem
Licht, wie wir es noch nie
gesehen und voll von tau-
senden süßduftenden Ro-
sen und Lilien, die nie
verblühen. Wir werden
dort weder essen noch
trinken, weder arbeiten
noch spielen. Unsere Ge-
danken werden erfüllt sein
von erhabenen Dingen
und bimmlischer Musik
und sogar unsere Kör-
per verwandelt und herr-
licher....."

Und dann träumte ich,
die drei Kinder gingen zu-
sammen durch den schwar-
zen Vorhang.

Der häßliche Junge
lachte; der hübsche Junge
schrie auf voll Schrecken-
Nur das Mädchen gab
keinen Laut. Ihre Hände
waren gefaltet und ihr
Gesicht war gleichsam ver-
klärt durch einen Ausdruck
überirdischer Glückseligkeit.
Ich folgte ihnen.

Und hinter dem schwar-
zen Vorhang war ein Saal,
genau so, wie der, den
wir eben verlassen. Auch
Kinder spielten darin-
„Merkwürdig," sagte
der häßliche Junge.

„Welche Erleichterung",
sagte der hübsche Junge.

„Es- war also doch nur
ein Märchen?" sagte das
Mädchen und sing an zu

Ziegler (Rurghans^n) weilten.

Einen Moment später jedoch wußten sie
nichts mehr von dem Vorhergegangenen. Und
der hübsche Junge blickte wieder nach dem
schwarzen Vorhang, durch den sie soeben ge-
kommen waren und sagte:

„Ich möchte wissen, was hinter dem schwar-
zen Vorhang ist?"

Das gute, kleine Mädchen antwortete: „Wir
werden es gewiß zur rechten Zeit erfahren."

Und als die Unterhaltung genrnt so fort-
fuhr, wie vorher, dachte ich, daß dieser Termin
ivohl bis in's Unendliche gehen könne, und er-
wachte. (Deutsch von Helene Valleutine).

Der theaterfeindliche Theaterkritiker

Fast war' cs denkbar noch, daß er die

Runst Dir gönnte,

Falls er bei aller Müh selbst Dramen

schaffen könnte,
So aber predigt er wie ein Zelotcnpater:
Es habe nichts gemein die Runst mit

dem Theater.
<D. <Z. Hartleben

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Register
W. Ziegler: Farbfotografie: Maria-Ach an der Salzach
Barry Eric Odell Pain: Hinter dem Vorhang
Otto Erich Hartleben: Der theaterfeindliche Theaterkritiker
 
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