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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 9 (Faschings Nummer)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3886#0151

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1900

Nr. 9

. JUGEND .

Eine Vorrede in's Vlarrenschiff

IT Land' sind jetzt voll vieler Schrift
Und Rüstzeug, das die Lunst betrifft;
An Oeb und Lreid'- und Wasserfarben
Und an Musik ist gar kein Darben;

Man dichtet, malt und musizirt
Vom ersten Stockwerk bis ins viert';

Es giebt Theater und Ausstellungen,
Lonzerte und sonst'ge Lunsthandelungen
Und derlei mehr als jemals sunst:

Es trieft Europa ganz von Lunst. —
Drum dacht' ich wohl, daß ich jeyund
Das Narrenschiff neu richten kunnt'

Vom alten Sebastianus Branten;

Er ist, so dünkt mich, einverstanden.

XXnn werden itzt viel Schiss gebaut,

Doch kein's sogroß, wie mein's ausschaut:
Es war dafür, däucht mich, zu schmal
Sogar der Nordostseekanal. —

Und doch muß ich mit Darren knausen,
Es bleiben noch gar viele draußen,

Und nur, wer falsch die Lunst begriff,
Der kommt hinein Ln's Narrenschiff!

Daß Niemand mir dies übel nehm I
Er findet viele drin, schlim, schlem.

wer Kündigt an mit viel Geschrei,
Daß er der AUerKlügste sei,

Der steckt schon tief im Rarrenbrei.

Von Runstgesprächen.

Daran ist leicht ein Narr zu kennen:

Er thut kaum seinen Namen nennen
Und hat den Deinen kaum gehört,

Daß er gleich weit das Maul aufsperrt
Und läßt ein Lunstgespräch ergeh'n:

„Dies Bild ist häßlich, dies ist schön;

Die Symphonie ist sehr gefühlvoll,

Die Zuckerdose äußerst stilvoll."

Und meint, er hätte damit ganz

Die Wahrheit schon beim Lämmerschwanz.

O, Narr! Bedenk zu jeder Frist,

Daß Du ein Mensch und irrend bist!
Denn hierin liegt der Schabernack:
Verschieden sehr ist der Geschmack,

Und Niemand hat sich noch gezeigt
Auf Lunsturtheile abgeaicht.

Deß Hemd ist leinen, deß sein's wollen,
will Niemand, daß sie gleich sein sollen;
Der ißt gern Brie, der Camembert,
wer sagt, weß Läs der bessre wär'7
willst Du Dich an der Lunst erfreu'n,

Genieß sie still im Lämmerlein
Und laß von Hinzen oder Lünzen
Dir Deine Freude nicht verhunzen!

Sekirt Dich Einer, sag' nichts, als:
„Erlauben Sie, doch mir gefallt's!"

Du bist dann oft schief angeblickt,

Doch weit in Weisheit vorgerückt!

Ein Narr plagt sich mit Lunstgesprächen:
wir führen auch jetzt ein's deswegen!

wer sich auf seinen Acker stellt,

Die Ras in ein' Kuhfladen hält,

Der sieht wohl kaum das ganze Feld.

Von den Naturalisten

Der kommt zuvörderst auf mein Schiff,

Der wen'ger als ein Ochs begriff
Daß jcglich Ding im Lcbensspiel
Plicht zwei, nein, hat der Seiten viel!

Des Rosenstockes Wurzel ist
Gar oft versenkt in schlimmen Mist,
Indessen oben glüht und lacht
Der Wunderblumen Farbenpracht!
wer immer in die wurzeln schaut
Und Rcgcnwürmer, diesem graut.

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Index
Fritz Pfeffer: Narrenschiff
Julius Diez: Sebastian Brants Narrenschiff
 
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