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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 10 (5. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3886#0175

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1900

Enthüllungen

H. Fritsch (Dresden)

"Acy. Herr Direktor, was war das für'n Marsch, den Sie durch das Dorf
spielen ließen?" .

«Der Nibelungenmarsch. Herr Adjutant."

-.Aey. schade drum, perlen vor die Säue geworfen, Wacht am Rhein
genügte vollkommen!"

A'ine noch nicht dagewesene Unbekleidetheit — das ist
die Signatur der diesjährigen Ballmode. Gder viel-
mehr eine Umwerthung aller bisher geltenden Schicklich-
keitsbegriffe. ^Es wird ja vielleicht nur ebensoviel ge-
zeigt, als beim altgebränchlichen „runden Hofausschnitt"
mit bloßen Armen; doch der Eindruck, der gewollte, sorg-
fältig gesuchte Eindruck ist ein geradewegs halbaktiger,
trotzdem ein modernes Ballkleid häufig sogar lange
Aermel bis über die Finger herunter hat. Aber der
Aermel ist nicht eingenäht; er ist blos unter dem Arm
ein bischen festgehängt in einer weise, als wollte er
soeben herunterfallen. Und so muß auch die ganze Taille
anssehen, wenn sie den modernen Eindruck machen sott.
Allerdings drohten die runden Hofausschnitte ebenso mit
dem Herunterrutschen. Aber merkwürdig — einen um
wieviel unangekleideteren Eindruck eine in solch neuer
weise freigegebene Schulter unserem ungewohnten Auge
macht! Ein, zwei, drei Spangen halten die Taille über
den Achseln — man merkt sie kaum» Reine bauschen-
den Volants und Brustgarnituren, die sonst die Illusion
hervorriefen, als habe die um nichts weniger decolletirte
Dame weiß Gott wie viel Gewand an sich; diese glatten,
Halblosen Leibchen oder vielmehr Hemdchen machen ver-
gessen, daß sie überhaupt da sind, heftig decolletirte
Ballschönen hat es ja jederzeit gegeben, davon würde
man nicht reden, wenn nicht die Allgemeinheit diese
Mode voll angenommen hätte. Bebend vor sittlicher
Entrüstung sitzen Ballmütter an den wänden, stoßen sich
mit den Ellenbogen und flüstern sich haarsträubende Beo-
bachtungen in's Ghr. Später aber sagen sie zürnend zu
ihren Töchtern: Diese Kleider könnt ihr nicht mehr an-
ziehen — sie müssen weiter ausgeschnitten werden!

Die es nun vollends lieben, ihre Schönheit zu zeigen,
denen stehen bedeutend vermehrte — oder man könnte
auch sagen, verminderte Mittel zu Gebote. Das Ein-
fachste und Neueste ist es da, die Taille überhaupt unter
den Armen herum rundum abzuschneiden. Die Schulter-
linie ist einmal die moderne Schönheitslinie — bon,
lassen wir alles andere weg, ob das bischen Spangen-
heuchelei da ist oder nicht, wieder etwas Anderes ist
das Decolletä des Magens und des Rückgrates. Bitte,
es nur buchstäblich zu nehmen: die vorne und rückwärts
angebrachten Brillantschließen des Gürtels streifen die
bloße Haut» Man erinnert sich unwillkürlich der Verse:
„Zur Rechten sieht man, wie zur Linken, einen halben
Türken heruntersinken," und man ist auf diese Katastrophe
jeden Augenblick gefaßt»

vormals galt die Regel, daß die Jugend duftiges
Zeug, die nicht oder wenig Tanzenden Seide tragen
sollen» Das wollte die Mode wieder einführen. Unsere
heutigen praktischen Mädchen wollen sich aber nicht mehr
die dünnen Tüllwolken vom Leibe reißen lassen, sondern
bleiben bei der soliden Seide, der sie so und so viele
Tanzstrapazen zumuthen dürfen. Dagegen bestehen ge-
rade die großen Repräsentationsroben aus den kostbarsten
Spitzenstoffen und Durchbruchstickereien, mit Flittertüll
und Seidengaze in mehrfachen Lagen und Farben unter-
legt, wonach erst glänzende Seide den Grund ergibt, so
daß jeder Schritt ein beständiges Schillern und Glitzern
der vier bis fünf transparenten, verschiebbaren Stoff-
lagen hervorruft. Der Triumph eines guten Kleides ist
es, aus so verschiedenem zusammengestellt zu sein, daß
sich sogar die Sachverständigen eine Viertelstunde darüber
besinnen müssen» Und auf der Dame muß es oben hängen,
wie ein nasser Waschlappen, das ist der Hauptwitz.

Daß man auf den Handschuh ganz verzichten will,
um seine Ringe zu zeigen, ist auch neu. Die mit langen
Handtrichtern versehenen Einhängeärmel sind ja doch eine
Art Ersatz» weil aber die armen Wesen dennoch frieren
könnten, so gibt ihnen die Mode einen Muff in den
Ballsaal mit» Seine Lebensaufgabe ist es, an einer mög-
lichst kostbaren Kette zu hängen, einen Ersatz für die
heute unanbringbare Kleidertasche zu bilden und zum
größten Theil aus Blumen zu bestehen; ein Streifchen
pelz mag immerhin seine ursprüngliche Herkunft an-
deuten. Jedenfalls hat er das Ballbouquet zu tragen,
auch der heutige Miniaturfächer hat in ihm reichlich Platz.
Ein spezielles Täschchen, mit intensiv duftender peau d’es-
pagne gefüttert, ist an der Außenseite für das Taschentuch
Register
Hans Fritsch: Nibelungenmarsch
Natalie Bruck-Auffenberg: Enthüllungen
 
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