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Nr. 11

. JUGEND -

1900

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Hermann Moest (München)

Die Königin Vernunft

In Rlamm und Schroffen hart ich mich verloren,
wo sich des Urgebirges höchste Zinken
Spitz graden Weges in den Himmel bohren.

wo Einsamkeiten in die Stille sinken,

So ungeheurer Stille sich verketten,

2lls wollten sie dem Tod die Thür aufklinken.

Klar zieht die Luft aus diesen Firnschneebetten,
Scharf hat sie jeden Dampf und Dunst verjagt,
Hier kann sich kaum der Bar vor Rälte retten.

Tief unter mir, wo sich die Arbeit plagt,

Seh ich Lawinen in die Thäler stürzen,

Und nichts, was ihrem Ueberfall entragt.

Nun aber will ich mich zum Abschied schürzen,

Nach Laut und Liebe sehnt sich stark mein Sinn,
Nach grünem Waldschmuck, den die Veilchen würzen.

Schon wandelt sich mein Fuß zur Heimkehr hin,
Da: will ein Wunder plötzlich mich verleiten?
wie angewurzelt starr ich, wo ich bin.

wo sich fünf Felsenkämme thürmend breiten,
wo Grat an Grat sich mit den Stirnen stoßen,
wo Höllenschlünde senkrecht niedergleiten,

Sitzt hoheitsvoll auf einem grandiosen
Vorspringenden Zackenstein, im Onyxstuhl,

Umkränzt von Ouadern, wie von ihren Großen,

Siizr eine blasse Frau im Onyxstuhl,

Und sieht mich ruhig, seltsam frostig an:
was willst du hier aus deinem Menschenpfuhl?

Ihr stahlgrau Seidenkleid mit engem Spann
Sticht herrlich ab vom rothem Onyxsessel —

Ich steh und starre ganz in ihrem Bann.

wie sie da thront! So frei von Frohn und Fessel!
Ihr langes Haar fällt über Hals und Lehne
Und „braut" ein wenig, wie im Nebelkessel.

Die kalte Sonne glitzert auf die Scene;

Bergkegel, schneebedeckt, ziehn sich, oh sieh,

Fern hin wie eine Alpencantilene.

Und diese große Alpenmelodie,

Schweigselig, tonlos bis zum tiefsten Grund,

Steigt auf aus einer Riesensymphonie.

Ich starr ihr bang auf den geschloßnen Mund,

Da spricht sie langsam, eisig, fast im Scherz,

Und gibt mir ihre grause Wahrheit kund

Und senkt sie mir wie einen Dolch ins Herz:

„Zuerst halt die gekrümmte hohle Hand,

Die Trinkgeldhand, dem lieben Schicksal hin,

Daß sie mit Gold gefüllt wird bis zum Rand.

Denn ohne Geld, heißt Leben ohne Sinn.

Ein Tausendmarkschein, ach, der engelreine,

Ist wirklich der erhebendste Gewinn.

Mach Geld, damit er sich nicht grault im Schreine,
Mach Geld, bis sich dein Mammon häuft wie Ries:
Dann tanzt das Hundepack an deiner Leine.

Ganz gleich, wodurch: Make money, Mister Smith!
Und wage Alles, bis es dir geglückt!

Va banque um Hals und Hemd! pah Hindernis!

Mensch gegen Mensch! Daumen aufs Herz gedrückt!
Und Heuchelei setz gegen Heuchelei!

So wills die Bestie, die dich sonst zerpflückt.

Sei Egoist! Spei auf den Mitleidsschrei,

Ersticke aller Leidenschaften Feuer,

Verhärte dich! Dann bist du wahrhaft frei.

Dann stehst du bald im Lebensschiff am Steuer,
Und schaust ins Meer der Aengste still und kalt,
Und wirst dir selber jeden Tag getreuer.

Und wenn es noch in dir nach Freude lallt,

Dann weihe dich der Philosophenzunft,

Die Einsamkeit sei deine Heilanstalt!

Das kündet dir die Rönigin Vernunft."-
Index
Detlev v. Liliencron: Die Königin Vernunft
Hermann Moest: Wolkenzug
 
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