Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1901

JUGEND

Nr. 14


Da band der Herr den Lockvogel fest, richtete
die Schnur und ging mit seinen! Freunde in die
Hütte.

Die ersten Krähen ließen sich hören. Jetzt
war es wirklich, als ob der Hansl draußen säße.
Er strafte das Gesindel immer mit regungsloser
Verachtung.

Es zeterte und schrie wie früher in respekt-
voller Entfernung, ja, die unerschütterliche Ruhe
des Feindes schien das Gesindel eher cinzuschüchtcm.

Der Herr schoß nicht, er wollte überhaupt
nicht schießen, nur beobachten.

Ein Mäuscbnßard von schmutzig brauner Farbe
schwang sich auf den Fallbanm, klagte zornig herab,
schüttelte in völliger Rathlosigkcit das Gefieder.

Der Herr zog am Schnürchen, der Lockvogel
blähte die Flügel, drehte de» Kopf.

Der Mäusebußard wäre fast vom Aste gefallen,
so erschreckt tauchte er nieder, dann strich er schleu-
nigst ab.

Die Kunst konnte sein feldgeübtes Auge nicht
täuschen, er hatte Vorsicht gelernt in der Acker-
furche, und kühles Abwäge».

Lange Pause — da, ein pfeifendes Sausen,
wie ein Pfeil stürzt der zornige Falke herab-
Tie Ruhe empörte ihn. Hinauf in kühnem Schwung
und wieder herab.

Federn flogen, der Lockvogel richtete sich schief
vom heftigen Schlag; — und wieder rauschte es
in den Lüften, ein mächtiger Weih umflatterte
mit ausgespannteu Flügel» den Lockvogel.

Ter Herr zog eifrig an der Schnur, der Hansl
blähte sich und drehte den Kopf.

Der Weih stieß herab, der Lockvogel sank zu
Boden, dann erklang ein seltsam klagender Schrei.
Weih und Falk schwangen sich auf dein Fallbaum
ein, schlossen die Flügel und blickten starr herab
auf den Gefallenen.

Jetzt erhob sich wildes Kräheugekrächz, Nuß-
hähergeschrei und Elsterngeschnatter, ganze Schaaren
sausen heran, balgen sich in der Luft, stürzen
über den Gefallenen und zerren sein Gefieder,

Oer Lockvogel

bis Wolle und Heu herumfliegt und der Holz-
körper bloß liegt.

Der große Weih ans dem Fallbaum oben
hatte den Kopf ganz eiuge,zogen unter die Flügel.
Der lleiue Falke aber sah zu ihm auf, als ob er
eine Frage au ihn richte» wolle betreffs des Ge-
sindels: ob er nicht dreinfahren solle.

Doch der Weih stieß nur einen klagenden Ruf
aus, dann schwang er sich aufwärts und ver-
schwand in den Lüften. Ter Falke aber stürzte
mitten hinein in die schwarze Schaar und kämpfte
um de» zerrupften Vogelbalg, bis er zuletzt selbst
von diesem nicht mehr zu unterscheiden war und
verblutend am Boden lag.

Aus allen Windrichtungen kamen die Krähen,
immer neue Schaaren, und ihr häßliches Gekrächze
störte den Frieden des Herbstes.

Der Herr aber hatte genug gesehen, er steckte
eine Feder des gefallenen Falken auf seinen Hut
und überließ den Rest des Lockvogels dem schwar-
zen Gesindel, das ringsum muthig kreischte.

Der große Weih auf dem Fallbaum hatte es
ihm angcthau. Er ging überhaupt auf keine
Krnhenhütte mehr. lllatsn v. Perfall

E. L. Hoess (Immenstadt)

Me die Alten ftmgen

von A. Laragon

f ls Else am Morgen des 3. Oktober erwachte,
konnte sie sich erst gar nicht besinnen, weshalb
dies mit einem so frohe», glücklichen, erwartungs-
vollen Gefühle geschah, aber sehr bald kam ihr
die Erkcnntniß, und da sprang sie mit einem
Juchzer aus dem Bett: sie hatte heute nämlich
ihren Geburtstag. Als sie ein halbes Stündchen
später am Kaffeetisch erschien mit dem halb glück-
lichen, halb verlegenen Gebnrtstagsgesicht, wurde
sie auch mit einem Juchzer empfangen, der kam
aus dem Mnude ihres Papa's, ihres „lieben, guten,
schönen, klugen" Papas, an dem sie mit wahrer
Begeisterung und Liebe hing. Er warf seine
Zeitung fort und fing sein Töchterchen in den
Armen ans. „Mein Herzenskind, 1000 mal gra-
tuliere ich Dir zu Deinem Geburtstag, nun bist
Du schon ein großes, großes Mädchen! Bleib
nur gut und brav wie bisher und liebe deinen
Papa weiter wie bisher, hörst Du wohl? Ja
dicsinal müssen wir beide nun allein feiern, aber
in Gedanken werden Mama und Bubi wohl heute
ganz und gar bei uns sein." Dann gingen sie
Arm in Arm an den Gabentisch, und nach einigen
lauten Entzückungsschreien über die so sehr ge-
wünschten und nun wirklich erhaltenen Herrlich-
keiten kam die Hauptsache — die Eröffnung des
von Mama geschickten Pakets, das schon am
Abend vorher gckouimen war, und das der Vater
sorgfältig verborgen gehalten hatte.

Die Mama konnte heute zum ersten Male
nicht beim Feste ihrer Nettesten zugegen sein,
der Arzt hatte ihr um ihrer Gesundheit und der
dcs kleinen Bubi willen dringend einen Badeanf-
enthalt verordnet, und so mußte sich das Geburts-
tagskind mit den schriftlichen Glückwünschen der
Mutter begnügen. Mit zitterndem Stimmche»
las das lebhaft empfindende Kind die lieben, guten
Worte dein Papa vor, und beinah kamen ihr
die Thränen der Rührung in die Augen bei Bubi's
krakelig geschriebenen Zeichen seiner brüderlichen

2:;
Register
Eugen Ludwig Hoess (Höß, Hoeß): Der Lockvogel
Otto Eckmann: Schlußvignette
A. Saragon: Wie die Alten sungen
 
Annotationen