Nr. 22
JUGEND
1901
Sieg über die Nacht, übers graue, gleichtönige,
schwere Dunkel, Hier itt er der Sieg über den
yroft im INeiNchenherzen, über Stumpfheit und
verschlossenes Schweigen, Hier Nt er Wärme —
und Dicht — und Bruntt...
No. Zt>07 in Beklams Universalbibliothek:
Preis 20 Pfennige, auch für den bücherscheuen
Deutkben nicht gar zu viel, wenngleich immer
schon mehr als ein 0las Helles Bier. Dort hat
ein Künstler vom Polarkreis erzählt, was der
Frühling im Norden ist. 6ettur palssons feine
poetenkunlt hat uns den Kitt eines liebedurstigen
Nordlandsweibes, und eines liebebetrogenen zu-
gleich, auf wildem Botz, in den ersten nordischen
Frühlingstag hinein geschildert, geschildert?
.Hel), wie armselig, wer den Frühling da oben
schildern wollte! Wir reiten mit dieser 3slän-
derin durch diese stumme, keusche Herrlichkeit,
und in uns steigt voll heimlichen Schauers die
grohe Dreiheit em^or, leite, ganz leite, aber
desto sieghafter nur: Wärme, und Dicht, und
Bruntt . . .
Und Björnton hat uns den nordischen Früh-
ling gegeben, und Zacobton, und . . was zahle
ich sie aut? 31m größten und ewigsten gab ihn
uns das nordgermanische Uolk in seinem ur-
alten, heiligen Heidenglauben, dieser großen,
liefen Frühlingsreligion. 3ch weih, wie uns in
der Schule von Baldur und Ostara erzählt wurde,
und in mir ein glühendes Beneiden
erwachte: dieser beiden um ihren un-
vergleichlichen glauben.
Kch, und es Nt so wenig mit
klugen zu sehen! Ueberm Buchen-
hain ein feines, bläuliches Zittern; und
die silbergrauen Stämme scheinen ge-
heimnißvoll zu leuchten. Km blaß-
blauen Himmel ziehen schneeweiße,
große Wölken in blendendem glanze
herauf. Das Bannen des INeeres
klingt wie ein Erwachen; und das
Kräuseln der tiefblauen Fläche ist ei»
Spielen mit dem weichen, lauen Wind,
der leise darüber gleitet. Und das
Braun der Matten und Fluren über-
haucht ein feiner, grünlicher Schimmer,
und das graue Both der Backstein-
kirchen hebt sich lebendiger heraus.
.Hber wenn Du Menschen begegnet!,
dann blickst Du in lachende, strah-
lende Jlugen, und hörst ein srohes
grüßen von diesem ewig schweigsamen
üolk, und treust Dich an leidsten, loten
Bewegungen der sonst so eckigen ge-
stalten, denn Ne alle fühlen es: trotz
Dismännern und KequinoktiaNtürmen,
der Frühling Nt da und der Frühling
bleibt! Und am liebsten stiegst Du
in ein Boot, und ließest dem Wind
das terrakottafarbige Segel, und
glittest hinaus, endlos hinaus, ohne
Ziel und Kurs, nur immer in den
Frühling hinein, und schlürftest Wärme
und Dicht.
3tt einer da, der diesen nordischen
Frühling gemalt hat? 3ch schließe die
.Bugen und laffe die Erinnerungen
kommen und gehen. Böcklin — ach,
den Frühling im Süden, mit dem
schweren Blau und dem satten ßrün;
Lchoma — den lieblichen mitteldeut-
schen Denz, mit den grünenden Wiesen
und Pappeln, den verliebten Katzen
und den jauchzenden deutschen Kindern; Dieber-
mann — mit keinem kalten, klaren Kuge
hat die graugrünen Dünen gemalt, und den
bleichen Himmel und die reine, scharfe Duft, und
— vergrämte Menschen dazu, ernste, schweigsame
Nordlandskinder mit den verschlossenen, schweren
Mienen; aber Frühlingsseelen? Halt — ich
weiß ein Bild! Der keuscheste und zarteste
deutsche Künstler allein konnte es schaffen.
Heinrich öogeler hat uns den nordischen Früh-
ling geschenkt. „Frühling" — steht darunter.
0 ich glaub’s, daß er’s konnte, dort oben im
stillen, tiefen Schauen, und Spüren der Ein-
samkeit von Worpswede. Dort mag er den
Frühling erlebt haben, wie er ihn uns nun er-
leben läßt, wie vor keinem Werke es in uns
leite, leise aber voll seliger Sieghaftigkeit er-
wacht und Deib und Seele durchrieselt.
Km (tage, da ich Kbtchied nahm vom
Norden, zog der Frühling ein: Und nun bleibt
das ein Sehnen und Dürsten, wie in Krnes
Diedern, und läßt mich nicht wieder los. Und
als ich südwärts fuhr, in die Berge hinein, da
kam ich gerade zur rechten Stunde, um mit-
anzutehen, wie dem Zmperator fei» rauschen-
der Einzug verregnete, gleichtönig rieselnder
Märzenregen, alles ertränkend, was Nch zum
Beben regen wollte — Wärme — und Dicht
— und Bruntt . . .
Mein lyerf, du wirft es tragen
nun will ich mir den holden Zag
Des Frühlings nicht verleide»,
Es muß, was Herz an Herzen lag,
wohl oftmals schlimmer scheiden.
wie eine Blüthc läßt vom Baum
Und mir dem winde weher
Ein Weilchen hin, und wie ein Traum
Am Morgcnlichr vergehet,
Go weher wohl die Liebe auch
wie Blütchen hin und Träume
Und weher wie ein todrer Hauch
Durch ausgestorbnc Räume.
Und ist es Dir auch nicht so leicht,
Nlein Herz, du wirst es tragen,
Und wenn der Lenz dir Rosen reicht»
Dich ihnen nicht versagen.
Gustav Falke
Mutterliebe
Kus dem Bussischen von 3. v. 3mmendorl
Sch hatte einen Freund, — Herr, nimm fei|ne
Seele zu Dir, denn wozu soll dieser feurige
Geist brennen, dort an den Polarkreisen, wo er
gegenwärtig verweilen muß? — Herr,
nimm seine Seele zn Dir, weil ihre
Helle die Finsterniß des Nordens nickzt
erleuchten wird, ihr Feuer den Schnee
der Wüste nicht schmelzen, und die dichte»
Nebel der Sehnsucht und der Einsamkeit
nicht verwehen wird!
Ich hatte einen Freund,. . . jung
war er zu jener Feit, als das Unglück
sich ihm nahte. Aber da er einer von
Denen war, die immer den geraden
Weg fahren, kam er auch den gerade»
Weg dorthin, wo er jetzt weilt und
woher er nimmer znrückkehren wird ...
Mein Freund hatte eine Mutter,
eine Greisin von 63 Jahren, bei der
der Tod schon vor der Schwelle stand.
An einem und demselben Tage er-
hielt ich die Nachricht von dem, was
ihyr geschehen, und den Brief seiner
Mutter, der mir berichtete, daß ihr
Sohn als Gast bei mir ankomme»
werde. Sie vertrante meiner Obhut
seinen Körper und seine Seele und be-
fragte mich, ob er sdzon bei mir sei,
wie er sich fühle, und ob wir uns
miteinander gut vertrügen?
Als ich den Brief gelesen hatte, sah
ich dieses alte Mütterchen im Geiste vor
mir, so gebrechlich und krank, ... ich
sah ihre sanften, absterbenden Angen,
die von einer grenzenlosen Liebe zu
ihrem Sohne sprachen, und ich erinnerte
mich, daß der Gedanke an ihn und die
Sorge um sein Glück den einzigen Kern
dieses armen, verlöschenden Lebens bil-
deten.
Soll ich ihr die Wahrheit mit-
theilen ? ...
Es gibt eine Wahrheit, die dem
Menschen nothwendig ist: Diejenige
die aus der Seele des Menschen jeden
Schmutz tilgt und durch die Flamme
der Scham alle Niedrigkeit und Flach-
TAE DAILLE Hans Frei (Paris)
U 3
JUGEND
1901
Sieg über die Nacht, übers graue, gleichtönige,
schwere Dunkel, Hier itt er der Sieg über den
yroft im INeiNchenherzen, über Stumpfheit und
verschlossenes Schweigen, Hier Nt er Wärme —
und Dicht — und Bruntt...
No. Zt>07 in Beklams Universalbibliothek:
Preis 20 Pfennige, auch für den bücherscheuen
Deutkben nicht gar zu viel, wenngleich immer
schon mehr als ein 0las Helles Bier. Dort hat
ein Künstler vom Polarkreis erzählt, was der
Frühling im Norden ist. 6ettur palssons feine
poetenkunlt hat uns den Kitt eines liebedurstigen
Nordlandsweibes, und eines liebebetrogenen zu-
gleich, auf wildem Botz, in den ersten nordischen
Frühlingstag hinein geschildert, geschildert?
.Hel), wie armselig, wer den Frühling da oben
schildern wollte! Wir reiten mit dieser 3slän-
derin durch diese stumme, keusche Herrlichkeit,
und in uns steigt voll heimlichen Schauers die
grohe Dreiheit em^or, leite, ganz leite, aber
desto sieghafter nur: Wärme, und Dicht, und
Bruntt . . .
Und Björnton hat uns den nordischen Früh-
ling gegeben, und Zacobton, und . . was zahle
ich sie aut? 31m größten und ewigsten gab ihn
uns das nordgermanische Uolk in seinem ur-
alten, heiligen Heidenglauben, dieser großen,
liefen Frühlingsreligion. 3ch weih, wie uns in
der Schule von Baldur und Ostara erzählt wurde,
und in mir ein glühendes Beneiden
erwachte: dieser beiden um ihren un-
vergleichlichen glauben.
Kch, und es Nt so wenig mit
klugen zu sehen! Ueberm Buchen-
hain ein feines, bläuliches Zittern; und
die silbergrauen Stämme scheinen ge-
heimnißvoll zu leuchten. Km blaß-
blauen Himmel ziehen schneeweiße,
große Wölken in blendendem glanze
herauf. Das Bannen des INeeres
klingt wie ein Erwachen; und das
Kräuseln der tiefblauen Fläche ist ei»
Spielen mit dem weichen, lauen Wind,
der leise darüber gleitet. Und das
Braun der Matten und Fluren über-
haucht ein feiner, grünlicher Schimmer,
und das graue Both der Backstein-
kirchen hebt sich lebendiger heraus.
.Hber wenn Du Menschen begegnet!,
dann blickst Du in lachende, strah-
lende Jlugen, und hörst ein srohes
grüßen von diesem ewig schweigsamen
üolk, und treust Dich an leidsten, loten
Bewegungen der sonst so eckigen ge-
stalten, denn Ne alle fühlen es: trotz
Dismännern und KequinoktiaNtürmen,
der Frühling Nt da und der Frühling
bleibt! Und am liebsten stiegst Du
in ein Boot, und ließest dem Wind
das terrakottafarbige Segel, und
glittest hinaus, endlos hinaus, ohne
Ziel und Kurs, nur immer in den
Frühling hinein, und schlürftest Wärme
und Dicht.
3tt einer da, der diesen nordischen
Frühling gemalt hat? 3ch schließe die
.Bugen und laffe die Erinnerungen
kommen und gehen. Böcklin — ach,
den Frühling im Süden, mit dem
schweren Blau und dem satten ßrün;
Lchoma — den lieblichen mitteldeut-
schen Denz, mit den grünenden Wiesen
und Pappeln, den verliebten Katzen
und den jauchzenden deutschen Kindern; Dieber-
mann — mit keinem kalten, klaren Kuge
hat die graugrünen Dünen gemalt, und den
bleichen Himmel und die reine, scharfe Duft, und
— vergrämte Menschen dazu, ernste, schweigsame
Nordlandskinder mit den verschlossenen, schweren
Mienen; aber Frühlingsseelen? Halt — ich
weiß ein Bild! Der keuscheste und zarteste
deutsche Künstler allein konnte es schaffen.
Heinrich öogeler hat uns den nordischen Früh-
ling geschenkt. „Frühling" — steht darunter.
0 ich glaub’s, daß er’s konnte, dort oben im
stillen, tiefen Schauen, und Spüren der Ein-
samkeit von Worpswede. Dort mag er den
Frühling erlebt haben, wie er ihn uns nun er-
leben läßt, wie vor keinem Werke es in uns
leite, leise aber voll seliger Sieghaftigkeit er-
wacht und Deib und Seele durchrieselt.
Km (tage, da ich Kbtchied nahm vom
Norden, zog der Frühling ein: Und nun bleibt
das ein Sehnen und Dürsten, wie in Krnes
Diedern, und läßt mich nicht wieder los. Und
als ich südwärts fuhr, in die Berge hinein, da
kam ich gerade zur rechten Stunde, um mit-
anzutehen, wie dem Zmperator fei» rauschen-
der Einzug verregnete, gleichtönig rieselnder
Märzenregen, alles ertränkend, was Nch zum
Beben regen wollte — Wärme — und Dicht
— und Bruntt . . .
Mein lyerf, du wirft es tragen
nun will ich mir den holden Zag
Des Frühlings nicht verleide»,
Es muß, was Herz an Herzen lag,
wohl oftmals schlimmer scheiden.
wie eine Blüthc läßt vom Baum
Und mir dem winde weher
Ein Weilchen hin, und wie ein Traum
Am Morgcnlichr vergehet,
Go weher wohl die Liebe auch
wie Blütchen hin und Träume
Und weher wie ein todrer Hauch
Durch ausgestorbnc Räume.
Und ist es Dir auch nicht so leicht,
Nlein Herz, du wirst es tragen,
Und wenn der Lenz dir Rosen reicht»
Dich ihnen nicht versagen.
Gustav Falke
Mutterliebe
Kus dem Bussischen von 3. v. 3mmendorl
Sch hatte einen Freund, — Herr, nimm fei|ne
Seele zu Dir, denn wozu soll dieser feurige
Geist brennen, dort an den Polarkreisen, wo er
gegenwärtig verweilen muß? — Herr,
nimm seine Seele zn Dir, weil ihre
Helle die Finsterniß des Nordens nickzt
erleuchten wird, ihr Feuer den Schnee
der Wüste nicht schmelzen, und die dichte»
Nebel der Sehnsucht und der Einsamkeit
nicht verwehen wird!
Ich hatte einen Freund,. . . jung
war er zu jener Feit, als das Unglück
sich ihm nahte. Aber da er einer von
Denen war, die immer den geraden
Weg fahren, kam er auch den gerade»
Weg dorthin, wo er jetzt weilt und
woher er nimmer znrückkehren wird ...
Mein Freund hatte eine Mutter,
eine Greisin von 63 Jahren, bei der
der Tod schon vor der Schwelle stand.
An einem und demselben Tage er-
hielt ich die Nachricht von dem, was
ihyr geschehen, und den Brief seiner
Mutter, der mir berichtete, daß ihr
Sohn als Gast bei mir ankomme»
werde. Sie vertrante meiner Obhut
seinen Körper und seine Seele und be-
fragte mich, ob er sdzon bei mir sei,
wie er sich fühle, und ob wir uns
miteinander gut vertrügen?
Als ich den Brief gelesen hatte, sah
ich dieses alte Mütterchen im Geiste vor
mir, so gebrechlich und krank, ... ich
sah ihre sanften, absterbenden Angen,
die von einer grenzenlosen Liebe zu
ihrem Sohne sprachen, und ich erinnerte
mich, daß der Gedanke an ihn und die
Sorge um sein Glück den einzigen Kern
dieses armen, verlöschenden Lebens bil-
deten.
Soll ich ihr die Wahrheit mit-
theilen ? ...
Es gibt eine Wahrheit, die dem
Menschen nothwendig ist: Diejenige
die aus der Seele des Menschen jeden
Schmutz tilgt und durch die Flamme
der Scham alle Niedrigkeit und Flach-
TAE DAILLE Hans Frei (Paris)
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