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Nr. 29

J

HEI/AKEHR

lichkeit genommen, noch weiter hinauszusehen, oder
dreist im Gesichte beguckt zu werden. Aber mein
Junge ist zähe! Er steht noch immer da, und nun
lacht er erst recht, und auf seinen Schultern hat sich
trotz des Vordaches Schnee gehäuft und auf seinem
Mützchen ein weißer spassiger Zipfel von Flocken.
Der einsame Gast muß diese Kinderaugen durch
seine Joppe hindurch am Perzen fühlen. Er
wendet sich plötzlich halb um uud sieht über die
Schulter weg forschend hinaus. Dann greift er
in die Tasche, winkt einen der Kellner herbei,
reicht ihm eine Mark, zeigt mit dem Daumen
auf den Buben hinaus, wird natürlich verstanden,
schüttelt, den Kopf und schiebt seinen leeren Teller
ärgerlich von sich fort. Der Kellner aber jagt
draußen den Buben mit einem Fluche vom Fenster
weg, droht mit der Polizei und steckt die erhaltene
Mark in die eigene Westentasche. — — — —

Nun habe ich von allem Notiz genommen,
was mir heute hier aufgefallen ist, bis auf jene
einsam bei ihrem eiligen Mahle sitzende Dame.

Sie kommt seit zwei oder drei Tagen hieher
und wird dann von einem alten, würdigen perrn
mit weißem Barte abgeholt. Sie sitzt so still an
ihrem Tischchen, daß sie gar nicht auffiele, wenn
sie nicht ganz eigenartig schön und wenn nicht etwas
Räthselhaftes in ihrer Erscheinung wäre. Sie
trägt an den Bhrläxpchen blitzende Steine in
zitternden Gehängen, an den dünnen, bleichen
Fingern kostbare Ringe, dunkle Seide um den
schlanken Leib, zarte, schwarze Spitzen an dem
seinen palse.

Ich habe bemerkt, daß die Dame, so wie ich,
früher mehrmals nach der offenen Thüre des
Pochzeitszimmers gesehen hat, und dann daß auch
sie sich mit dem lächelnden Bübchen beschäftigt

hat, das draußen vor dem Fenster gestanden und
mit den neugierig glänzenden Kinderaugen herein-
geguckt hat. Ich habe bemerkt, daß die einsame
junge Frau durch den kleinen Jungen ebenfalls
irgendwie beunruhigt worden war. Aber weder
jener noch dieser Anblick können wohl ihren Augen
jenen unergründlichen Ausdruck verliehen haben,
den sie verrathen. Denn es liegt etwas merk-
würdig Erregtes, Dunkles und Gespanntes in ihren
Zügen, und in den großen Pupillen eine seltsame
Mischung von Ernst und Entschlossenheit, ein
schwärmerischer und zugleich ängstlicher Ausdruck,
etwas, das mir unergründlich scheint, und das
mich vom ersten Blicke an beschäftigt hat. Da-
rüber fallen mir Worte ein —

Du bist schön und bist jung und seltsain. - -
Was für Wünsche und Gedanken, phantasiccn,
Träume, Sorgen oder Erwartungen regen sich
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Angelo Jank: Heimkehr
 
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