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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 6.1901, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 29
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Nr. 29

JUGEND

1901

Der Mensch

Ls saßen einmal vier Leute bei einander und
sprachen von der Liebe: ein Dichter, ein Maler,
ein Musiker und ein Mensch.

Ich nenne ihn Mensch, weil ich nichts beson-
dercs von ihm zu berichten weiß.

„Die Liebe besitzt eine seltene Macht," sagte
der Dichter. „Als ich das erste Mal verliebt war,
wurde mir das Schaffen unendlich leicht, und mein
erster Band Gedichte, der großes Aufsehen erregte,
stammt vollständig aus jener Epoche."

„So war cs auch bei mir," sagte der Musiker.
„Die Liebe regte mich stets zum Komponiren an,
sie gab mir Gedanken. Ihr verdanke ich meine
besten Schöpfungen, wie z. B. meine mit Beifall
anfgeführte es-rnoll-Symphonie."

„Mir ging es ebenso," sagte der Maler. „Die
Liebe führte mir den Pinsel, als ich an meiner
berühmten „Seherin" arbeitete. Seit diesem Bilde
erst ist mein Auf gemacht."

Der Mensch stand auf.

„wie klein," sagte er, „müssen Eure Gefühle
sein, daß Ihr mit ihnen Pandel treiben könnt.
Ich beklage Luch, aber ich will nichts mehr mit
Luch zu thun haben."

lind er ging. lZcinrich Stcinihcr

Veimctthkünste

Es klopfte. Auf mein unwirsches „Herein"
stand ein alter, krummbeiniger Mann im Zimmer,
einen schwarzen Ballen unter den, langen, hageren
Arm. „Etwas Heimathkunst gefällig?" lispelte
er demüthig, mit einem tiefen Bückling die Wachs-
tuchhülle auseinanderschlagend, und auf den eiche-
nen Tisch kollerten polternd und knisternd in rothen,
blauen, grünen und gelben Umschlägen einige
Dutzend neuer Zeitschriften.

Ich staunte und lächelte- Ich mußte an das
Bolk der Drucker und der Verleger denken, dem
die Leser fehlten. Und an die Herren Litteraten
in deutschen Landen, die niit den Pariserinnen
um die Wette alle Jahre eine neue Mode erfan-
den. Die alte Hutfayon zog nicht mehr- Also
flugs die Krempe umgebogen I Der blaue» Farbe
waren die Damen überdrüssig. Also für's nächste
Vierteljahr lauter rothe Roben! Die gelben Stiesel
trug nachgerade jedes Dienstmädchen. Also weiße
für den Sonnenschein und die alten ehrlichen
schwarzen für das Regenwettcrl Und wußte man
schließlich gar nichts Neues mehr auszuklügeln,
so gab man wenigstens dem guten, erprobten Alten
einen neuen wohlklingenden Namen. Idealismus,
Realismus, Naturalismus, Symbolismus, Neu-
romantik — wir haben sie alle hintereinander
hinnntergeschluckt, bald als Speise, bald als Me-
dizin, und es ist uns gut bekomnien oder übel
geworden, je nachdem unser Magen darauf reagirte.

Als um die Mitte der achtziger Jahre der Alarm-
rnf der Modernen erscholl, waren es die armen
Schlucker, die das große Wort führten. Sie fühl-
ten sich alle als die Messiasse der Zukunft; sie
wollten mit ihren Reimen die Welt erlösen; sie
stürniten mit ihren Lanzen gegen Windmühlen
an; aber sie dichteten mit ihrem Herzblut und sie
verstanden es, für ihre Ideale zu verhungern.

Wie ganz anders fünfzehn Jahre später, als
Symbolisten und Neuromantiker in die Arena
traten! Was ging sie das Volk und die Masse
an? Sie waren satt und ließen ihre Bücher auf
Büttenpapier drucken. Sie machten in Stimm-
ungen, die nur Uebermenschen mit vollem Porte-
monnaie würdigen konnten. Sie dichteten sich die
Migräne vom Leib herunter — Tandaradei!

Und heute? Heute heißt das Stichwort „Hei-
mathkunst". Ich muß dabei immer an Moritz
Arndt denken und an sein schönes Lied: „Was
ist des Deutschen Vaterland?" Dem Alten aus

Rügen konnte das deutsche Vaterland nicht groß
genug sein; den Heimathkünstlern von heute wird
es schon in Greiz oder in Lobenstein ganz unge-
müthtich; denn mehr als einen halben Kilometer
Erde kann ein Dichter nicht überschauen. Wo
bliebe sonst der Erdgeruch der Sprache und die
Gefühlstiefe der heimischen Scholle? Es läßt sich
nun freilich nicht leugnen, daß sich unsere moderne
Bildung längst nicht mehr um die Grenzpfähle der
34 souveränen Staatengcbilde des weiland heiligen
römischen Reiches dcnlscher 'Nation kümmert. Sagte
doch schon Goethe in frevelhaster Ueberhebung:
„Orient und Occident
Ist nicht mehr zu trennen."

Aber was geht den deutschen Dichter von heute
Goethe und die moderne Bildung an? Je enger
der Kreis, in dem er sich bewegt, um so inniger
wird er mit dem eigenen Volksthnm verwachsen;
und je weniger er seine Gedanken rechts und links
ansschweisen läßt, um so tiefer wird sein Gesühl
im mütterlichen Boden Wurzel schlagen. Der
Bauer als Culturträger — das ist das Ideal des
Heimathdichters. Ist erst die Welt rechts und links
mit Brettern vernagelt, so läßt es sich am besten
Wiederkäuen.

„Etwas Heimathkunst gefällig?" näselt es da
wieder neben mir, und ich besinne mich, daß ich
dem Hausirer noch immer keine Antwort erlheilt
habe. Ich will mir doch mal die Titel der neuesten
Zeitschriften ansehn.

„Der Böblinger Repsbauer. Schwäbische Rund-
schau, herausgegeben von Pfarrer Weitbrecht
in Ulm."

„Der Waggis. Die Littcratur und Kunst des
Elsasses. Schriftleiter: Fritz Lien Hardt in
Strahburg."

„Das Sieaesthor. Organ sür die künstlerischen
Interessen von München-Nord. Mit besonde-
rer Berücksichtigung des Schwabingcr VolkS-
charakters. Bon * * *."

Das ist mein Fall. Schon das Titelblatt ist
vielversprechend. Ein Münchner Dienstmann, der,
von einem Fremden angeredet, sich eine Ladung
Schmalzler in die Nase schiebt und dabei die denk-
würdigen Worte spricht: „Bis in d'Hohenzollcrn
straß'n? Da wär' i schön eing'gang'n. I bin
doch kein Preuß, der nach Schwabing ransg'hört.
I bin a Münchner. Aici Ruah will i Hab'»!"
O prächtiges Symbol der Heimatknnstl Du hast
es mir angethan. Dich muß ich besitzen.

Und ich kaufe dem glückstrahlenden Hausirer
seinen ganzen Ballen ab, Zeitschriften von Pose-
muckel und Ratibor, von Meppen und Eidtknhnen,
von Apcnrade und Tarnowitz, schleswigsches Platt
und singendes Schlesisch, breitmäuliges Ostprenßisch
und spitzes Westfälisch — ein buntscheckiges Bre-
vier für Christi Jünger an Pfingsten oder die Ar-
beiter beim babylonischen Thurmbau. Der Han-
sirer dankt unter Thränen und katzbuckelt rückwärts
zur Thüre hinaus. Ich aber stehe rathlos vor
meinen Reichthümern und betrachte verlegen die
mir fremden Hieroglyphen. Da kommt mir im
letzten Augenblicke ein rettender Gedanke.

„Sie, Mensch!" schrie ich dem Alten nach.
„Haben Sic zufällig auch die nöthigen Spezial-
wörterbücher bei sich?"

„Woßu denn?"

„Nun, damit ich diese deutschen Bücher wenig-
stens lesen kann." ie,ijr»r-

Gin ödunscb

In einem Menschenalter bin ich tobt;

Das ist der Welt und meines Seins Gebot.

Ich had're nicht. Vom Born der Lust geflossen
Ist mir ein reicher, reiner, schöner Strahl.

Ich habe viel am Lebenstisch genossen
Und setzt' mit edlen Gästen mich zum Mahl;
Und liebe pände gossen goldnen wein
In der Erinnerung heil'gen Becher ein.

Und das Gesindel ließ ich mich bedienen
Und fand pumor in seinen Schelmenmiene».

Und daß ich bald in kühler schwarzer Lrde
Als Dünger künft'ger Saaten modern werde,

Das schreckt mich nicht, was noch von mir geblieben,
Kann besser nicht die Mutter Lrde lieben,

Als in des Ackers roh gepflügten Krumen
Die Kost zu sein den wurzeln ihrer Blumen.

Doch ein Gedanke, wüst und fürchterlich,
Zerquält und ekelt und durchschauert mich;

Daß mir der Würmer widerliche Brut
Ins Auge kriecht und in dem Schädel ruht
Und frißt und buhlt und schleimt und übernachtet
Im Dirn, das alles Kriechende verachtet;

Im pirn, in dem jetzt Wille, Wunsch und Wort
In weißer wäikde enger Zelle dort ....

Ich wollt' ein Freund, bevor er mir ins Grab
Drei Schaufeln würfe, trauernd, doch gelassen,
Sägt' meines Schädels weiße Decke ab
Und ließ den Rand in spiegelnd Silber fassen.
Die Knochenmauer, die mein pirn umspannt
Und heute will den edlen Dienst verlieren,

Ließ er von kund'gen Goldschmied's fleiß'ger pand
Zum Becher formen und niit Kunst verzieren.

Und eine junge pand der andern gibt
Den Becher, der einst heißes Lebe:: faßte.

Lnkel der Frau'n, die ich im Lenz geliebt,

Lnkel der Männer, die ich reifend haßte,

Sie sollten all' mit frohem Augenblinken
Aus meinem Schädel sich Genesung trinken.

Und wie die Muschel noch des Meers Getön
Im perzen hegt, so sollt' er leis' und schön
Den Trinkern All'n, die ihn mit Andacht heben,
von längst verrauschten Zeiten Kunde geben ...

Rudolf prcsber

ttulturliistorisclie Sntciecliung

Der Fernsprecher int alten Rom
Telephum, quem tu petis, occupavit... puella
dives . . . (Horatius, carmlnuin llb. IV. 20).

Das Telephon, das Du wünschst, benutzt eine
reiche, junge Dame...

Das lässt tief blicken

Der Kommandirende besichtigt das Bataillon.
In der Instruktion fragt er den strammen Flügel-
mann der z. Lompagnie: „wissen Sie auch, wo
sich die Fahne des Bataillons befindet?"

„Zu Befehl, Lxcellenz, im Pause des perrn
Majors."

„Sie müssen auch für den Fall eines Feuer-
ausbruchs das Zimmer wissen. Kennen Sie das?"

„Zn Befehl, im Zimmer neben dem Schlaf-
zimmer des Dienstmädchens."

Llebersetjungskunst

Receptui canere.

Auf (die) Rezepte pfeifen.

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Register
Heinrich Steinitzer: Der Mensch
[nicht signierter Beitrag]: Übersetzungskunst
Rudolf Presber: Ein Wunsch
Julius Diez: Finis
Edgar Steiger: Heimathkünste
[nicht signierter Beitrag]: Kulturhistorische Entdeckung
 
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