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Nr. 1

JUGEND

1902

wächlcrlicd

lNeujahrznächl des laßres noo)

^^chwingt euch auf/ Posaunen Ltiörc/

Daß in fternenfelarer Nacht
6ott der Herr ein Loblied höre
von der Lhllrmc hoher Macht;

Seine band fuhrt die Planeten
Sichern lauf; durch kaum und Zeit/
führt die Seele nach den fehden
Dicfcr weit jur Lwigkeir.

ein Jahrhundert will zerrinnen
Und ein neue; hebt sich an/

Wohl dem/ der mit reinen Sinnen
Stätig wandelt feine vahn!
klirrt sic auch in Stahl und Lifen/

Soldnc Zeit folgt der von Lrz/

Und zum Neil/ das ihm verheißen/

Dringt mit Kampf ein männlich Der).

küftig mög' drum jeder schaffen/
was sich nemt nach kecht und fug/
ln der Kulte/ in den Waffen/

In der Werkstatt wie am Pflug:

Daw/ Herr/ den Segen fpcndc
Deiner vurg/ dem verg/ der 7lu ....

Netz an des Jahrhunderts wende
Sic mit Deiner Saeldc sihau.

Jofef Victor Scheffel

UDartburBlied'' in ,frau 7U)tmmrc')

Alax Feldbauer (München)

Phifofophenweg

Sie silberstämmigen Buchen zittern in leisem
Frösteln. Nebelfetzen flaggen des grau-
rothen Schlosses Finnen. Herbstregen rieselt
eintönig aus den immergrünen Epheu hernieder,
hüllt Stadt und Fluß, Brücken und Berghänge
in einen feinen, feuchten Schleier. Und da
mitten drin steht er, im Stein noch voller
Lebensgluth und Jugendlust, nicht steif und
mit Pose, sondern grad' wie einer, der im
frischen Wanderschritt durch die Berge streift
und mit tollem Sang den Rodensteiner foppt.
Grad' als rüstete er sich zum Ritt ins Neckar-
thal, dieweil ihn die Dornen stechen . . . Und
ein bissel ärgert er sich wohl über die Leute,
die hier nie aussterben, die Neugierigen, die
vor ihm stehen mit dem Bädeker oder dem
Amateur, von der Spree und der Themse und
vom Hudson, neben sich den uniformirten
Führer, der ihnen die Geschichte der Pfalz-
grasen und des Schloßbrandes erzählt, auf die
Landschaft aufmerksam macht — weil manches
Sehenswürdige darin sein soll — und sie hier-
her zum Scheffel — Denkmal führt. Fum
Scheffel nicht! Da trägt wohl von hunderten
einer den Ekkehard und den Trompeter im Her-
zen. Die Lieder kennt man, mindestens von
den Ansichtspostkarten; aber hier singt man
nicht, wie auf Saaleck und Rudelsburg, auf
Staffelstein und Drachenfels, denn Heidelberg
ist eine vornehme Stadt, der Schloßberg ein
Treffpunkt der fashiouablen Internationale mit
blauen Banknoten, weißhaarigen Windhunden
und blaßfarbiger Nervosität . . .

Ich bin schon unten auf der Neckarbrücke.
Denn neben der Menschenklasse dort oben
halte ich's nicht aus. Am andern Ufer geht's
wieder in die Höhe. Da bin ich neulich drei
Backfischen begegnet, ein Titusköpfchcn, ein
Defreggerkrönchen und ein Mozartzöpschen war's,
und weiß der liebe Himmel, wo sie ihre Pen-
sionsmutter hatten: weit, weit von hier, denn
sie jauchzten ganz unbändig in den blauen
Sonnentag hinein: es klingt wie junges Lie-
ben Dein Name mir so traut I Das ist nichts
für Pensionsmütter; die haben alles hinter
sich und find, gottlob, recht tugendllch, sind eitel
Lebensweisheit in Röcken, zumal im vornehmen
Heidelberg: glaubst Du, mein schwarzäugiger
Tituskopf, daß Deine Eltern das viele Geld für
die Bildung bezahlen, damit Du Scheffel-Lieder
durch den Odenwald jubelst? Glaubst Du's,
mein blondes Defteggerkind? Glaubst Du's,
mein goldrother Mozartzopf? Auch über euch
wird die Enttäuschung kommen, der Nebel und
Sprühregen und Moderduft. Ihr könnt nicht
ewig hier oben bleiben. Auch er mündet unten
in die breite, graue Landstraße ein, der schmale
Pfad, den ihr jetzt entlang tollt, der Philo-
sophenwcg.

. . . Dort hinten über dem Königsstuhl la-
gert ein schweres, einziges Grau. Aber ein
Fetzen hat sich losgerisfen und zieht nun seine
eigene Bahn. Erst eine lustige Jagd über
den Waldhang herunter; dann verdeckt er mir
den Scheffel eine Sekunde lang; nun streift er
wohl durch's alte Schloß; betippt neugierig die
grünen Thürmchen der brandrothcn Billen mit
ihren buttergelben Fensterladen, die ihn so herz-
lich froh auslachen mit seinem kopfhängerischen
Trübsinn; grüßt ehrfürchtig den gothischen Helm
der Peterskirche — und init einem Male ist
er mir aus den Augen, ist wieder hinein in's
einzige, schwere Grau, das draußen in der Ebene
schläfl. Und von der Buche neben mir schwebt
ein Blatt herunter, halb zerfallen schon, noch
einmal heftet sich's an meine Schulter — das
ist sein letztes Erinnern, denn unahlässig raunen
im Odenwald die Bäume sich die Mär von
Siegfrieds Tode zu; dann knistert'? hinab in
den Morast, zurück in's große Ganze, Eine,
in sein Grab am Philosophenweg.

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Register
Ernst Gystrow: Philosophenweg
Joseph Viktor v. Scheffel: Wächterlied
Max Feldbauer: Zeichnung zum "Wächterlied"
 
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